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Ich hab mit meinen Börsenmillionen Ravepartys geschmissen und Drogen vertickt

Shaun „English Shaun“ Attwood ist ein verdammt ungewöhnlicher Drogenbaron.

Wenn du an Drogenbosse in Amerika denkst, hast du sehr wahrscheinlich launische Männer mit einem Harem zugekokster Tussis auf einer fetten Yacht in Miami im Kopf. Oder falls du ein HBO-Junkie bist und dir alle Staffeln reingezogen hast, todkranke Chemielehrer oder Idris Elba. Ein Klischee, das dir sehr wahrscheinlich nicht in den Sinn käme, ist ein wohlerzogener und gebildeter Ex-Börsenhändler aus dem ländlichen Cheshire. Shaun „English Shaun“ Attwood ist ein verdammt ungewöhnlicher Drogenbaron. Er wuchs in Widnes in der Nähe von Liverpool auf. In seinen jungen Jahren investierte er in amerikanische Aktien und machte damit ein millionenschweres Vermögen. Dann zog er nach Phoenix, Arizona und fing an riesige Raves zu veranstalten. Innerhalb kurzer Zeit wurde er dadurch zu einem der größten Drogendealer in Phoenix. Wenn er nicht gerade Partys in der Wüste von Arizona plante, arbeitete er in direkter Konkurrenz zur italienischen Mafia mit der neu-mexikanischen Mafia zusammen, um die Neunziger Jahre-Raver in Phoenix mit Ecstasy im Wert mehrerer Millionen Dollar versorgen zu können. Was seine Motivation für all das war (abgesehen von der Tatsache, dass es wesentlicher mehr Spaß bringt für seinen Lebensunterhalt zu feiern anstatt Aktien zu verkaufen)?
Er wollte den Amerikanern die britische Ravekultur, mit der er aufgewachsen war, näher bringen. Blöderweise, wie das halt meistens so ist wenn du mit Betäubungsmitteln im Wert mehrerer Millionen Dollar handelst, wurde Shaun geschnappt und endete letztlich im Maricopa County Gefängnis, das als so ziemlich härtester Knast der USA gilt. Seit einigen Jahren ist Shaun aus dem Gefängnis entlassen, also hab ich ihn mal angerufen, um herauszufinden ob er noch immer so scharf darauf ist, ein bisschen Liebe an die Amis zu verteilen.

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Vice: Hey Shaun. Du bist also vom superreichen Börsenmakler zu einem der größten Drogendealer in Arizona geworden. Wie kam‘s dazu?
Shaun Attwood: Die Raveszene von Manchester hatte mich so krass beeindruckt dass ich mich dazu entschied genau diese Szene auch nach Phoenix, Arizona zu bringen, nachdem ich dort hingezogen war. Ich bin schon sehr jung sehr reich geworden und hatte als Millionär mehr Geld als Verstand. Ich hab das Gesetz nicht als Hindernis meiner Feierei gesehen, geschweige denn, dass es mich davon hätte abhalten können, Unmengen an Ecstasy von Holland nach Amerika zu bringen. VICE: Das war alles für die Mafia, stimmt‘s?
Ja, ich hab mit dem Ecstasy die neu-mexikanische Mafia versorgt. Am Anfang hatte ich keine Ahnung, wer die waren, aber ich hab‘s rausgefunden weil ich mit dem Bruder eines Mitglieds befreundet war. Jahre später wurden die Alle festgenommen und in den Schlagzeilen kamen Meldungen darüber, dass sie zu der Zeit die einflussreichste und gewalttätigste Mafia in Arizona waren. Die haben Auftragsmorde durchgeführt und Zeugen exekutiert. Und du standest in direkter Konkurrenz mit Sammy „The Bull“ Gravano, einem Mitglied der italienischen Mafia, richtig? Wie geht die Geschichte dazu?
Ja, das ist richtig. Jahre später erzählt mir sein Sohn, Gerard Gravano, im Gefängnis, dass er dazu beauftragt wurde mich aus einem Club zu kidnappen und die Wüste zu bringen. Ich bin ihm in dieser Nacht nur entkommen, weil mein bester Freund Wild Man in eine Schlägerei verwickelt wurde und wir den Club Hals über Kopf verlassen mussten. Wenn wir schon über Clubs reden, wie lässt sich die amerikanische Raveszene zu der britischen in dieser Zeit vergleichen?
Oh, am Anfang war die sehr klein. Es hat Jahre gedauert das aufzuholen. Ecstasy war ziemlich teuer—ein Trip hat Mitte der Neunziger knapp 25 Euro gekostet.

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Wo hast du deine Partys veranstaltet?
Die erste war in einer Lagerhalle in West Phoenix, die der mexikanischen Mafia gehörte, aber danach fanden die Raves an verschiedenen Orten statt. Hast du mit dem Drogen verticken erst angefangen, nachdem du schon einige Partys geschmissen hattest? Es scheint als wäre das Veranstalten von Raves der perfekte Weg sich einen soliden Kundenstamm aufzubauen.
Nun, ich hab Ecstasy schon vorher verkauft, aber die Raves haben natürlich den größeren Markt geboten. Wie kamst du damit klar von einem super-stressigen und verdammt gut bezahlten Job ins Partybusiness zu wechseln und die ganze Zeit nur noch zu dealen und zu feiern?
Zuerst hab ich‘s ziemlich genossen. Es gab einen Rave, für den ich Chris Liberator und Dave the Drummer gebucht hatte. Ich erinnere mich daran, wie ich die Beats von Chris Liberator hörte und ganz hypnotisiert davon war, tausende Leute mit dem gleichen glückseligen Ausdruck zu englischen Djs tanzen zu sehen, den ich auch im Gesicht hatte als ich zum ersten Mal auf einem Rave war. Ich dachte ,Das ist es, ich hab meinen Traum verwirklicht‘. Aber ich hab angefangen zu viele Drogen zu nehmen und bin ziemlich paranoid geworden wegen all der Risiken, die ich auf mich genommen hatte. Das klingt nach einer bekannten Geschichte. Hat dich die Polizei irgendwann erwischt?
Das war unvermeidlich. Mit Drogen zu dealen bringt dir Stress mit der Polizei, dich ins Gefängnis oder gleich den Tod. Ich hab die Samen meines Niedergangs gesät und nehm jetzt die volle Verantwortung auf mich, hinter Gittern gelandet zu sein. Aussagen von Informanten haben dazu geführt, dass mein Telefon angezapft wurde und 10.000 Gespräche mitgehört und aufgezeichnet wurden. Ich hab über meine Geschäfte kaum am Telefon gesprochen, wohl aber über meinen privaten Konsum, und viele meiner Angestellten haben meinen Namen am Telefon erwähnt, was zu einer Verschwörungsanklage gegen mich führte.

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Was hast du davon gehalten, dass die Medien deine Organisation „Das Teufelsimperium“ nannten, als du geschnappt wurdest? Denkst du, dass das ein bisschen übertrieben war?
Mein Herz schlug wie verrückt, als ich ein Foto von mir als Nosferatu auf dem Titel der Phoenix New Times sah mit der Überschrift „Das Teufelsimperium“. Auf dem Titelbild waren auch vier meiner Mitangeklagten abgebildet, darunter Wild Man und mein Chefsecurity Cody im Vordergrund, und meine Arme umschlossen die beiden wie ein fieser Puppenspieler. Ich konnte das nicht fassen. Warst du zu dieser Zeit bereits hinter Gittern?
Das war bevor ich verurteilt wurde und ich hab mir ziemliche Sorgen gemacht, dass sich die ganze Sache negativ auf meinen Fall auswirken könnte. Ich hatte gelesen, dass der Oberstaatsanwalt mich als schweren Drogenstraftäter eingestuft haben soll. In solchen Fällen lautet das Urteil in der Regel lebenslänglich. Ich war schockiert. Bis dahin dachte ich, recht bald wieder auf freiem Fuß zu sein, aber nun sah ich mich mit 25 Jahren Gefängnis konfrontiert. Wenn ich wirklich lebenslänglich bekommen hätte, wäre ich bei meiner Entlassung 58 Jahre alt gewesen und hätte im Grunde genommen direkt in Rente gehen können. Aber ja, als ich den Artikel gelesen hatte, fühlte ich mich ein bisschen wie einer der Bösewichte aus den Marvel-Comics, die ich als Kind gesammelt hatte.

Wie war deine Zeit im Knast?
Ganz zu Anfang hing ich mit vielen Leuten rum, die zusammen mit mir verhaftet worden waren, darunter mein riesiger und furchtloser bester Freund und Ravepartner aus meiner Heimatstadt Widnes, Wild Man, den alle Gangs für seine Kampfkünste respektierten. Er hat in der Zeit auf mich aufgepasst. Nach dem ersten Jahr allerdings wurde ich von meinen Mitverurteilten getrennt, sodass ich mich auf meine Menschenkenntnis, mein britisches Understatement, meine Bildung usw. verlassen musste. Du hast in der Zeit auch gebloggt, richtig?
Ja, das hat es mir ermöglicht einige einflussreiche Bündnisse aufzubauen mit Typen wie T-Bone und Two Tonys, der ein Mafia-Massenmörder war und mehrere lebenslängliche Haftstrafen absaß. T-Bone war ein zutiefst spiritueller Afro-Amerikaner mit einem beeindruckenden Körperbau, der die meisten Insassen locker überragte. Er war gewissermaßen der Gladiator des Knastes und von Stichwunden überseht. Es war definitiv gut, wenn man jemanden wie ihn an der Seite hatte. Du hast mir im Vorfeld auch von dem Stress erzählt, den du mit der Arischen Bruderschaft hattest.
Ja, während meiner gesamten Zeit im Knast hab ich versucht den Umgang mit Straftätern der Arischen Bruderschaft irgendwie zu vermeiden. Die haben die Weißen im Gefängnis dominiert, entweder du hast gemacht was sie sagten oder du bekamst auf die Fresse oder wurdest gleich ermordet.

Verstehe ich das richtig dass Rassismus in dem Gefängnis, in dem du eingesessen hast, ziemlich präsent war?
Ja, das war ethnisch komplett getrennt. Das läuft folgendermaßen ab: Sobald du reinkommst, kommt einer der Mitglieder deiner ethnischen Gruppe auf dich zu und erklärt dir die Regeln, die vom Anführer der jeweiligen Gruppe aufgestellt wurden. Ungehorsam bedeutet, dass du entweder zusammengeschlagen, abgestochen oder gleich umgelegt wirst. Die Regeln umfassen auch, dass man mit den anderen Ethnien nicht am selben Tisch sitzen darf oder mit ihnen gemeinsam Sport machen kann. Aber sobald es um Drogen geht, dealen alle Gangs unabhängig ihrer Hautfarbe miteinander. Ich wette es gab da ein paar sehr nette Zeitgenossen in dem Umfeld.
Oh mein Gott, es war voller gruseliger Typen. Als ich im Hochsicherheitstrakt einsaß, lebte ich Tür an Tür mit einem Serienkiller und mein erster Mitbewohner in meiner Zelle war ein Satanismus-Priester, der ein Pentagram auf seinen Kopf tätowiert hatte. Er saß für Mord ein und war Anhänger eines Kults, in dem Blut trinken und menschliche Körperteile essen zum Alltag gehörten. Zum Glück war er sehr nett zu mir. Das ist doch schön. Was machst du jetzt mit deinem Leben? Bist du nun ein komplett veränderter Mensch?
Ja, und ich rechne es der Zeit im Gefängnis zu, dass mein Leben nun in eine vollkommen neue und positive Richtung verläuft. Ich erzähle meine Geschichte in Schulen in Großbritannien und in ganz Europa, um junge Menschen über die Konsequenzen aufzuklären, die ein Drogen-Lifestyle mit sich bringt. Ich hoffe, sie dadurch davor bewahren zu können die gleichen Fehler zu begehen die ich damals machte. Das nicht endende Feedback, das ich von den Schülern bekomme, gibt mir das Gefühl dass meine Vorträge ein wesentlich besserer Weg sind, der Gesellschaft meine Schuld zu begleichen als die Haftstrafe, die ich abgesessen habe. Shaun hat zwei Autobiographien geschrieben—Hard Time und Party Time—, falls ihr mehr über sein Leben lesen wollt.