FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Neue Grenzen der Nüchternheit

Anti-high zu sein, fühlt sich anti-gut an.

Laut dem dritten Newtonschen Gesetz folgt auf jede Aktion eine gleich starke, aber entgegengerichtete Reaktion. In der Teilchenphysik lernen wir, dass es für jede Materie Antimaterie mit der entgegengesetzten Ladung geben kann. Aber wie ist das mit Drogen? Gibt es Anti-Gras, Anti-Heroin oder Anti-Bier? Pharmakologisch betrachtet lautet die Antwort: ja. Wissenschaftler können die Regionen des Gehirns identifizieren, die von einer bestimmten Droge stimuliert werden und können dann eine Anti-Droge mit dem genau entgegengesetzten Funktionsmechanismus schaffen. Substanzen, die die entgegengesetzte Wirkung häufig verwendeter Drogen haben, können bei der Behandlung einer Überdosis sehr nützlich sein, werden aber selten zu eigenständigen Freizeitdrogen—aus dem schlichten Grund, dass man sich davon komplett mies und elend fühlt. Ich beschloss, drei dieser wirkungsstarken Anti-Highs im Verlauf einer Woche systematisch auszuprobieren. Hier sind meine Ergebnisse:

Das schlimmste Omelette aller Zeiten. Danke, Rimonabant. Foto von Maggie Lee

ANTI-GRAS: RIMONABANT
DOSIS: 60 MG Pharmakologen haben festgestellt, dass man vom Pot-Rauchen mordsmäßig Lust auf Knabbern bekommt, also ist der logische Schluss daraus, dass man, wenn die Hirnrezeptoren, die für den Cannabisrausch zuständig sind, deaktiviert sind, die Anti-Knabberlust kriegt. Man hat eine Droge mit genau dieser Wirkungsweise getestet und festgestellt, dass sie unglaublich effektiv ist. Die Droge wurde in Europa anerkannt und stellte sich als eine der besten Diätpillen der Geschichte heraus. Rimonabant ist kostengünstig, effektiv und macht nicht abhängig. Leider wurde festgestellt, dass es außer seiner Anti-Appetit-Wirkung auch noch einen merklichen Nebeneffekt namens Anti-Glücklichsein, aka selbstmörderische Depressionen, gibt. In den Monaten nach den klinischen Studien stellte man fest, dass über 70 Patienten Anzeichen von Selbstmordgefährdung aufwiesen, zwei sich tatsächlich umgebracht hatten und es zudem zu einer ganzen Reihe von epileptischen Anfällen, Erkrankungen an Multipler Sklerose und Fällen häuslicher Gewalt gekommen war und ein Mann seine Tochter erwürgt hatte. Wenn man Gras raucht, stimuliert es den Teil des Hirns, der als Cannabinoid-Rezeptor bezeichnet wird. Logischerweise hat das Gehirn diese Rezeptoren aus anderen Gründen, als zum Zweck high zu werden. Unsere Cannabinoid-Rezeptoren haben eine Reihe von lebenswichtigen regulierenden Funktionen im nicht-bekifften Hirn. Unser Körper braucht einen Cocktail aus Gras-ähnlichen Substanzen, die sich endogene Cannabinoide nennen, um mit deren Hilfe Entzündungen, den Appetit und die emotionale Stabilität zu regulieren. Wenn man also Rimonabant einnimmt, ist es für einen nicht nur unmöglich, von Gras high zu werden, sondern der Körper ist auch nicht mehr in der Lage, seine endogenen Cannabinoide zu nutzen. Ich habe schon mehr als einen Kiffer über eine mögliche Zukunft spekulieren hören, in der die Regierung Leuten schon bei der Geburt Rimonabant implantieren lässt, um die Bevölkerung davon abzuhalten, „ihr Bewusstsein zu erweitern“. Das ist irgendwie nicht sehr wahrscheinlich, aber man fragt sich, wie es sich wohl anfühlen würde, in einer solchen Welt zu leben! Da normale Drogen üblicherweise nachts und zusammen mit anderen Leuten eingenommen werden, hatte ich eigentlich beschlossen, meine Anti-High-Experimente morgens und allein abzuhalten. Ich bin aber neugierig, wie mein Kumpel Sam auf Rimonabant reagieren würde, also überrede ich ihn, es mit mir auszuprobieren. Sam raucht seit fünf Jahren täglich und ständig Gras, und als ich ihm vorschlage, eine Pille zu nehmen, die es ihm für mindestens 24 Stunden unmöglich machen würde, high zu werden, ist er zunächst nicht sonderlich scharf auf die Idee. Aber nachdem ich ihn zwischen 50- und 60-mal bitte und ihm verspreche, ihm als Ausgleich, Gras zu kaufen, nimmt er mein Angebot schließlich zögernd an. Sam und ich nehmen also beide eine fette Ladung Rimonabant—das Dreifache der maximalen Dosis, die zur Gewichtsabnahme verordnet wird. Nachdem er die Pillen geschluckt hat, zieht Sam los, um seinen Grasdealer in Manhattan zu treffen. Eine halbe Stunde später schickt er mir eine SMS, um mir zu sagen, dass er einen Anfall „explosiven Durchfalls“ hat. Ich bemerke zur gleichen Zeit, wie mich eine leichte, aber stetige Unruhe befällt. Sam kommt wieder in meiner Wohnung an und stopft sich mit zittrigen Händen eine Pfeife. Er nimmt einen tiefen Zug, wartet und schüttelt dann den Kopf, um festzustellen, dass er „absolut nichts“ fühlt. Wir beschließen auszugehen und in einem polnischen Restaurant etwas zu essen. Bei unserer Ankunft in dem Restaurant, bemerken wir, dass unser Keller so ein unglaublich langsamer Typ ist, den wir schon ein paarmal hatten und der nie die kleinen Wassergläser auffüllt. Wir sind beide leicht irritiert. Ich bestelle ein Eiweiß-Omelette und Sam unterbricht mich, um zu sagen: „Was redest du da? Nimm doch das ganze Ei. Warum solltest du denn nur das Eiweiß nehmen?“ „Ich nehme immer nur das Eiweiß. Das schmeckt gut. Wo liegt das Problem?“ Sam wendet sich dem Kellner zu. „Er möchte das ganze Ei.“ Ich schau nach unten und sehe, dass meine Hände zittern. Ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass Rimonabant die Reizschwelle für epileptische Anfälle heruntersetzt. Ich sage Sam nichts davon. Mein Omelett kommt und mir ist schlecht, sobald ich es sehe. Es hat diesen ekelhaften, orangefarbenen amerikanischen Käse drauf. Kann gut sein, dass ich gleich kotzen muss. Sam hat einen gesunden Appetit. Ich habe ihn schon ein komplettes Huhn bis auf die Knochen abnagen sehen, aber auf Rimonabant stochert er nur eine Weile in dem Omelett herum, bevor er sich lautstark beschwert: „Wenn nicht sofort jemand dieses Omelett entfernt, werde ich kotzen … Ich werde kotzen und dann werde ich krepieren!“ Wir verlassen das Restaurant und laufen nervös den St. Mark’s Place runter. Ich halte bei einem Bong-Laden an und drücke meine Finger gegen die Scheibe wie ein mittelloser Bauer Weihnachten vor einem Kaufhaus. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so un-high gefühlt. Ich muss zugeben, dass meine Gedanken ungewöhnlich klar sind und ich mir vorstellen könnte, dass eine kleinere Dosis Rimonabant hilfreich sein könnte, wenn man für eine Prüfung lernen muss—oder es zumindest wäre, wenn man sich nicht gleichzeitig so fühlen würde, als müsste man jede Minute losheulen, kotzen oder einen Anfall kriegen. Die Tatsache, dass es sich hier um ein häufig verschriebenes Medikament handelt, ist unglaublich. Die Idee, dieses Zeug täglich einzunehmen, ist der Horror. Es würde weniger als eine Woche dauern, bis ich jemanden umbringen würde. Später am Nachmittag versuche ich etwas Gras zu rauchen. Ich nehme einen tiefen Zug und verspüre einen kurzen Anflug von Beinah-Bekifftheit, der sich aber binnen fünf Minuten in nichts auflöst. Sam ist nicht gewillt, das Rimonabant gewinnen zu lassen, und versucht den ganzen Tag lang, trotzdem high zu werden, indem er permanent an einer Aluzigarette pafft. Gegen Mitternacht höre ich, wie er noch einmal tief inhaliert, dann brüllt er: „Verdammt!“