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Kultur

Ich habe Experten gefragt, warum Menschen eine so enge Bindung zu ihren Haustieren suchen

Liegt es an der anonymen Großstadt? Oder einfach daran, dass wir generell sozialere Wesen geworden sind?
Foto von gwaar, via Flickr

Viele meiner Freunde besitzen Haustiere. Hunde, Katzen, verschiedene Nagetiere—typische Stadt-Haustiere eben. Sie lieben diese Tiere. Sie lieben sie echt. Ich mag sie auch. Ich brauche sie aber nicht um mich. Versteht mich nicht falsch; ich bin auch keine Cruella de Vil—ich finde Pelz scheiße, ich finde Tierquälerei scheiße und ich finde die nicht artgerechte Haltung von Tieren, egal ob zuhause, im Zoo oder sonst wo, scheiße.

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Nur gehört für mich zu einer artgerechten Haltung auch, dass ein Hund nicht im Bett schläft und wie ein Kind behandelt wird. Meine Freunde mit Haustieren neigen dazu, ihre Tiere wie Menschen zu behandeln. Das finde ich äußerst seltsam. Ich bin geborene Ost-Slowakin. Meinem Opa habe ich mit sieben Jahren bei der Schlachtung seiner Tiere zugesehen. Das hat mich als Kind schrecklich traurig gemacht—immerhin habe ich diesen Hühnchen und Häschen Namen gegeben, nur um sie zwei Wochen später als Mittagessen serviert zu bekommen.

In meiner frühen Jugend war ich deshalb Vegetarierin. Mir liegt das Wohl der Tiere sehr am Herzen. Schon immer. Ich hatte auch ein Kaninchen, mehrere Mäuse, einen Hund und eine Katze. Ich habe mich auch gut um sie gekümmert—wenn man das von sich so sagen darf—, aber ich habe niemals eine so tiefe Bindung zu ihnen aufgebaut, wie ich das bei meinen Freunden beobachte.

Ich wäre froh, wenn ich so romantisch wäre, wirklich. Aber auch jetzt bewegt sich nichts in mir, wenn ich mit einem Hund spiele oder ihn streichle. Und ich habe viele Lieblingstiere im Freundeskreis—ich freue mich zum Beispiel immer auf einen kleinen Hund namens Mia. Mia ist super und ich beschäftige mich gerne mit ihr.

Ich mag es aber nicht, wenn sie stinkt und mir übers Gesicht schleckt. Ich mag es nicht, wenn sie bellt oder winselt. Ich mag es auch nicht, wenn sie in mein Bett kommt, oder wenn Menschen mit ihr reden, als würde sie verstehen, worum es geht. Der hellste Stern unter Gottes Hündchen ist sie nämlich nicht.

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Sie weiß, wann man eher böse ist und wann man eher lieb ist—das hört sie an der Stimmlage. Empathie besitzt sie also—aber nicht die kognitive Fähigkeit, komplexe Sätze zu verstehen. Es ist ihr auch scheißegal, was man zu ihr sagt, wenn sie ein Stück Fleisch will—sie möchte einfach ihr Leckerli. Genau wie sie manchmal einfach im Bett liegen will—ganz ohne irgendwelchen süßen, idealistischen, nächstenliebenden Gedanken dahinter.

Hunde brauchen ganz klar einen Alpha und nicht Menschen, die ihre Einsamkeit mit einem Tier kompensieren. Wo ich herkomme, ist es noch nicht so lange üblich, Wachhunden einen Namen zu geben. Tiere sind im der Slowakei immer noch Tiere. Sie haben einen bestimmten Nutzen. Woran das liegt, ist nicht ganz so einfach zu sagen. Stimmen die Klisches von der großen, anonymen Stadt, in der wir alle vereinsamen und Tiere als Menschenersatz brauchen? Logisch betrachtet kostet ein Hund oder eine Katze sehr viel Geld—die Stadt ist keine perfekte Umgebung für sie. Und sie bedeuten Bindung. Haustiere bedeuten, dass man sich regelmäßig um sie kümmern und sie pflegen muss.

Vielleicht finden wir es schön, gebraucht zu werden—immerhin brauchen uns, ganz pragmatisch und biologistisch gesehen, weder unsere Freunde, noch unsere Eltern wirklich zum Überleben und unsere Partner sowieso nicht. Generell wirken emotionale Beziehungen in Zeiten von „Netflix & Chill" eher wie unnötige Ablenkungen. Das ist natürlich ein Blödsinn. Wir sind soziale Lebewesen und ohne unser Rudel (auch wenn dieses vielleicht eher großmaschig um uns herum existiert und wir es beim Serien-Bingen nicht direkt wahrnehmen) würden wir zusammenbrechen. Siehe Cast away. Vielleicht suchen wir im Tier das, was uns früher das Dorf oder die kleinstädtische Gemeinschaft war.

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So oder so bin ich dank meines pragmatischen Backgrounds von dem sozialen Bonding mit Tieren ausgeschlossen und ja,ihr Leben durch Tiermedizin künstlich zu verlängern empfinde ich als Geldverschwendung und auch ein bisschen als Quälerei.

Vielleicht bin aber auch ich die mit der merkwürdig verdrehten Einstellung und es ist völlig ignorant, auf archaische Tier-Mensch-Beziehungen zu pochen, während sich die Welt rundherum verändert. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und habe drei Personen, die es wissen müssen, gefragt, was hinter der Vermenschlichung der Tiere steht: eine Psychologin, einen Tierarzt und die Besitzerin eines Hundesalons.

Grazyna Jedrasiak, HUNDESALON ZIRKUSGASSE

Foto via Facebook-Seite des Hundesalons

VICE: Glauben Sie, es ist in der Natur des Menschen, Tiere zu vermenschlichen?
Also wenn es um die erste Frage geht denke ich, dass wir Menschen einfach sehr emotional sind in Gegenteil zu Hunden. Deshalb neigen wir dazu Hunde zu vermenschlichen. Darüber könnte ich Stunden diskutieren.

Muss überhaupt die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch gemacht werden?
Ja, ich denke schon. Die Hunde werden sich niemals zur Menschen entwickelt selbst wenn wir uns das so sehr wünschen. Wir haben die Hunde zu uns geholt also sind wir ihnen schuldig sie so zu behandeln wie sie von Natur aus gewöhnt sind.

Ab wann geht Tierliebe zu weit?
Für mich dann, wenn der Mensch aus den Augen verliert, dass er mit dem Hund zu tun hat. Die sind einfach anders. Hunde brauchen klare Strukturen, Bewegung und Regeln. Ich lebe seit vielen Jahren mit vier Hunden—wenn man sie gut beobachtet, kann man viel über ihr Verhalten lernen. Viele Menschen wollen Hunden keine Grenzen setzen, weil sie glauben, sie werden sie verletzen oder erniedrigen. Unsere Familie ist für sie sowas wie ein Rudel, und im Rudel gibt es klare Regeln und Grenzen. Selbst die Mutterhündin zeigt dem Welpen, was richtig und was falsch ist. Meiner Meinung nach geht die Tierliebe zu weit, wenn der Hund kein Hund mehr sein darf.

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Warum glauben Sie, haben Menschen in besonders wohlhabenden Staaten so eine Bindung zu Ihren Haustieren aufgebaut? Warum ist das in ärmeren Ländern nicht so?
Die Armen haben nicht genug Mittel, um sich auch noch um Hunde zu kümmern. Das Leben ist einfach und anstrengend. Aber in diesen Ländern gibt es weniger auffällige Hunde— sogenannte Problemhunde. In unsere Gesellschaft sind die Leute reicher und arbeiten viel. Dann brauchen sie einen Ausgleich, die Bindung innerhalb der Familie ist nicht so stark—also brauchen wir jemanden, den wir lieb haben, um uns besser zu fühlen. Hundebesitzer haben oft keine Kinder, oder bereits ausgezogene Kinder.

Psychologin Mag. Florentina Steiner

Glauben Sie, es ist in der Natur des Menschen Tiere zu vermenschlichen?
Nein. „Natürlich" war es, sich das Tier zu Nutzen zu machen, wie es auch heute noch in ärmeren Ländern gehandhabt wird. Ursprünglich diente das Tier dem Menschen als Nahrung, Kleidung, Fährtenleser, Lasten-Schlepper oder sonstige Arbeitskraft. Dem Tier—vor allem dem Hund—den Lebensstil der Menschen aufzudrängen, inklusive Frisörbesuch und Designer-Outfit, ist ein Phänomen der heutigen Luxusgesellschaft. Die Vermenschlichung der Tiere ist sicherlich eher dem natürlichen Streben des Menschen nach Status und Individualität geschuldet.

Muss überhaupt die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch gemacht werden?
Sicher. Sonst müsste man sich fragen, wer hier wem gleichgestellt werden soll. Tierrechte sind sehr wichtig und besonders schützenswert – eine komplette Gleichstellung würde erstens Pflichten mit sich bringen, die ein Goldhamster einfach nicht erfüllen können wird; und zweitens würden wir plötzlich alle unseresgleichen essen – und wer will das schon? Dass allerdings Tiere mit Dingen gleichgesetzt werden und Tierquälerei oft als „Sachbeschädigung" geahndet wird, ist längst überholt. Sachbeschädigung mit Todesfolge ist dann ja doch sehr skurril.

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Ab wann geht Tierliebe zu weit?
Wenn sie bei Tisch essen und aufs Klo gehen. Wenn es also der Natur des Tieres ganz klar zuwiderläuft und ihre Wirbelsäule einfach nicht darauf ausgerichtet ist. Gegen einen neuen Haarschnitt ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Jeder, der schon mal gesehen hat wie ein Tier, das zu Operationszwecken rasiert wurde, sich dieser kahlen Stellen schämt, weiß, dass auch Tieren eine gewisse Eitelkeit nicht abzusprechen ist. Das liegt vor allem daran, dass auch sie Anerkennung brauchen und gefallen wollen. Trotzdem: Ein Tier muss Tier sein dürfen.
Natürlich kann man hier auch über Fälle diskutieren, in denen die Bedürfnisse des Tieres weit über jene des Menschen gestellt werden. Das ist aber jeweils individuell zu beurteilen. Oft geben sozial schwächer gestellte Menschen ihr ganzes Geld für Tiernahrung aus noch bevor sie sich selbst etwas zu Essen besorgen. Das geschieht aus einem Versorger-Denken und auch –Bedürfnis heraus. Das Tier wird als unterstützungsbedürftiger Gefährte erlebt.

Warum glauben Sie, haben Menschen in besonders wohlhabenden Staaten so eine Bindung zu Ihren Haustieren aufgebaut? Warum ist das in ärmeren Ländern nicht so?
Tiere sind tolle Foto- und Videomotive. Die sozialen Medien waren da also sicher sehr hilfreich. Es ist wie in der Produktwerbung—es gibt den Grundnutzen und den Zusatznutzen. In der westlichen Welt ist man vom Grundnutzen sehr weit abgekommen. „Meine Frau, mein Haus, mein Auto" wurde ergänzt durch „mein Hund" oder „meine Katze". Auf YouTube, Facebook und Instagram glitzern einem Halsbänder entgegen, Hunde pinkeln in Kloschüsseln, Katzen führen Kunststücke vor—bevorzugt im Ballett-Röckchen—und so weiter.
Das Haustier selbst ist nicht vermenschlicht worden—es dient nur einer weiteren Zurschaustellung unserer eigenen Persönlichkeit. In ärmeren Ländern wird die Welt noch ohne Smartphone-Kamera gesehen und die Sorgen sind andere als eine derartige Selbstdarstellung. Hier dominiert noch der Grundnutzen. Hier ist das Tier noch Nutztier und erfüllt seinen—jedenfalls im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte—ureigenen Zweck.

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Veterinärmediziner Dr. Boris Ferko

Glauben Sie, es ist in der Natur des Menschen Tiere zu vermenschlichen?
Ja, das glaube ich.

Muss überhaupt die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch gemacht werden?
Ja. Jedes Lebewesen hat seinen optimalen Lebensraum, artgerechte Lebensbedingungen und Verhaltensweisen. Man muss beispielsweise akzeptieren, dass Fische im Wasser leben, Hunde bellen und Katzen jagen. Das ist normal und zugleich ist das auch der große Unterschied zu Menschen.

Ab wann geht Tierliebe zu weit?
Wenn das Tier—zum Beispiel ein Hund—im Bett schlafen darf und der Partner am harten, unbequemen Boden schlafen muss. Oder wenn das Tier trotz massiver Hygienebedenken geküsst wird. Also wenn das Tier nicht mehr als Tier, sondern als etwas anderes wahrgenommen wird; als Partner, Spielzeug, Schmuseding und so weiter.

Warum glauben Sie, haben Menschen in besonders wohlhabenden Staaten so eine Bindung zu Ihren Haustieren aufgebaut? Warum ist das in ärmeren Ländern nicht so?
Ich denke, bei dem Existenzkampf konzertiert man sich auf das Wesentliche: auf das Überleben, die Nahrungs- oder Wohnraumbeschaffung und die Kindererziehung. Man hat weniger Zeit für „Unsinn" und reduziert zusätzliche Sorgenquellen. Tiere werden hier meistens als Nahrungsquelle angesehen und haben nicht den Stellenwert eines „Partners" erreicht.
Falls Tiere vorhanden sind, müssen sie irgendein Nutzen darstellen—als Wachhund oder Zugpferd, für Wolle oder als Nahrungsmittel und so weiter. Darüber hinaus sind auch religiöse Beschränkungen im Spiel. Der Islam zum Beispiel betrachtet Hunde als unsaubere und unwürdige Tiere.

Fredi ist auf Twitter: @schla_wienerin


Titelbild: gwaar | Flickr | CC BY 2.0