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Tierquälerei

Mann gegen Känguru: ein historischer Abriss moderner Tierquälerei

Schon ein gewisser Woody Allen hat im Ring einem boxenden Känguru gegenübergestanden. Doch wie ist diese „Sportart" (lies: Tierquälerei) überhaupt entstanden?
Foto: FPG/Getty Images

Es war im Frühjahr 1891, als fast zeitgleich in Australien und den USA das fragwürdige Spektakel boxender Kängurus seine Prämiere feierte.

Australiens erstes „Star-Känguru" war Jack, das täglich vor Publikum gegen einen gewissen Professor Lindermann anzutreten hatte. In Amerika konnte man hingegen mit John L. aufwarten (benannt nach einem der beliebtesten Boxer seiner Zeit, John L. Sullivan), der im Zoo von Philadelphia beheimatet war und zum „Sparringspartner" seines Pflegers wurde, nachdem dieser bei seinem Schützling eine gewisse Boxneigung entdeckt zu haben glaubte.

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Doch diese angeblich angeborene Boxvorliebe ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Mischung aus Selbstverteidigung und natürlicher Körperhaltung. Denn Kängurus benutzen ihre Vorderbeine, um ihren Gegner festzuhalten, um dann mit ihren Hinterfüßen, die mit sehr scharfen Krallen ausgestattet sind, zuzulangen. Bis einige Menschen eben auf die Idee kamen, die Vorderbeine als Arme anzusehen, die boxähnliche Bewegungen ausüben. Also zogen sie Kängurus Boxhandschuhe an, um sie zu „trainieren"—und schon war eine neue Form der Tierquälerei geboren.

Zeitungsartikel, die damals über die ersten Kämpfe mit Kängurus berichteten, zeigten sich dabei als besonders unkritisch und betonten einzig und allein die Neuartigkeit dieser Veranstaltungen sowie die „kühnen" tierischen Protagonisten, die schlau genug waren, um Boxstunden nehmen zu können.

So schrieb beispielsweise die Phillipsburg Herald über John L.: „Dieser besonders clevere Trick hat er von seinem Pfleger gelernt, zu dem er eine sehr enge Bindung hat. Alles begann damit, dass der Pfleger das Känguru, das bisher eher griesgrämig gewirkt hatte, beim Reinigen der Anlage als besonders verspielt erlebte. Es stellte sich auf seine Hinterbeine und stellte seine Vorderbeine wie ein echter Kämpfer auf. Daraufhin ballte auch der Pfleger die Fäuste und ging auf John L. zu. Auch wenn der erste Kampf noch ein bisschen unbeholfen ausgesehen hat, zeigte sich das Känguru im Anschluss als lernwilliger Schüler, der schon nach kurzer Zeit bis auf K.O.-Schläge alles Wichtige konnte." Fehlt eigentlich nur noch ein Zeugnis, oder?

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In den folgenden Jahren wurden Boxkämpfe mit Kängurus zu einer echten Modeerscheinung, die sich ihren Weg auf Kirmisse, Messen und in Sportstätten bahnte—und das nicht nur in Australien und den USA, sondern auch in England, Deutschland und Frankreich. Dabei kam keiner auf die Idee, mal öffentlich in Frage zu stellen, ob es wirklich eine so schlaue Idee ist, wilde Tiere mit Menschen kämpfen zu lassen. Nachdem der ursprüngliche Jack gestorben war, wurde er von einem neuen Jack ersetzt. Dieser wurde dann schon bald von einem neuen Jack abgelöst. Das Tiersterben nahm kein Ende. Dann stand in Chicago 1893 eine große Weltausstellung auf dem Programm, bei der natürlich das Spektakel boxender Kängurus nicht fehlen durfte. Also wurde eine ganze Ladung Beuteltiere Richtung Windy City geschickt, wovon schon mal eins den Transport nicht überlebte. Ein weiteres, mit dem Kampfnamen „Big Frank", wurde gegen den Boxer Tom Tully im berühmten Chicago Theatre in den Ring geschickt. Und zwei Jahre später feierte der „Sport" sein Leinwanddebüt im deutschen Stummfilm „Das Boxende Känguruh."

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ebbte das Interesse langsam wieder ab. Aber nicht weil man sich um das Wohl von Mensch und Tier Sorgen machte, sondern weil es vielen schlichtweg zu langweilig und unblutig war. Das heißt zwar nicht, dass es danach keine Kämpfe mehr mit Kängurus gegeben hätte (man findet übrigens auch auf YouTube einschlägige Videos aus jüngster Zeit), doch das Konzept des boxenden Kängurus wurde am Ende weitaus populärer als sein Vorkommen in der Wirklichkeit. Passend dazu erschien 1920 eine Art Zeichentrickfilm mit dem Titel „Boxing Kangaroo". Auch Disney ließ sich nicht lange bitten und entwickelte drei „Silly Symphonies", bei denen kampfbereite Kängurus eine wichtige Rolle spielten. Auch bei Looney Tunes, den Flintstones, bei den Simpsons und Futurama kommen die Beuteltiere vor.

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Als australische Flugzeuge und Schiffe im zweiten Weltkrieg in die Schlacht zogen, waren sie mit Bildern von boxenden Kängurus bemalt. Und die australische Olympiamannschaft benutzt es noch heute als eines ihrer Maskottchen.

Was die fiktive Umsetzung von boxenden Kängurus betrifft, war der Höhepunkt—wenn man ihn denn als solchen bezeichnen möchte—der Film Matilda aus dem Jahr 1978, in dem Elliot Gould einen Boxpromoter spielt, der mit einem … dreimal dürft ihr raten … zusammenarbeitet. Auch Robert Mitchum spielte in dem Streifen mit, der ein echter Flop wurde.

Doch damit nicht genug. Nur kurze Zeit später stieg in der britischen Show „Europe's Big Top Circus Stars Live from the Hippodrome" ein gewisser Woody Allen in den Ring, um gegen ein echtes Känguru zu kämpfen.

Glücklicherweise lässt sich konstatieren, dass jüngere Erzählungen und Sendungen, die sich dem Thema angenommen haben, deutlich reflektierter und kritischer wirken. So wird das Hauptaugenmerk des Lesers bzw. Zuschauers vor allem auf den Aspekt der Tierquälerei gelenkt und gleichzeitig die Absurdität organisierter Kämpfe zwischen Mensch und Tier in den Vordergrund gestellt.

Außerdem konnten wir ja letztes Jahr auf Fightland lernen, dass ein Kampf zwischen zwei Kängurus eh viel spannender ist.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FIGHTLAND.