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Popkultur

'Circus HalliGalli' liefert den Soundtrack zum Erdoğan-Irrsinn

"Noch nie gab es Songs zum Terror-Regime, zu denen man so ausgelassen tanzen konnte."

Der Weg der Erdoğan-Nachricht verläuft etwa so: Erst melden die Tagesschau oder Zeit Online die neuesten Abgründe ("Deutsch-türkisches Verhältnis: Erdogan sieht Religionskrieg", Erdoğan will Todesstrafengesetz "ohne Zögern" unterzeichnen"), dann reißen die heute-show und Die Anstalt Witze ("Durch dick und Döner", "ErdoCard"), und schließlich kommen Böhmermann oder Joko und Klaas.

Weil Böhmermann die satirische Beleidigung Erdoğans schon bis zur Staatsaffäre durchgespielt hat, erscheint es nur logisch, dass Joko und Klaas nun das Autokratiestreben des türkischen Präsidenten musikalisch aufarbeiten. Aber nein, nicht ein Song, eine ganze Compilation – angepriesen wie beim Teleshopping. (Wir von VICE haben in derselben Sendung übrigens auch unser Fett wegbekommen.)

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Der "Sultan" bietet so viel Material, dass es eigentlich ausarten musste: "Spy Up Your Life", "Can't Putsch This" oder "Progapanda-Style" sind mit dabei, außerdem ein Video zum Song über Erdoğans Nazi-Vergleiche. Und beim Kauf gibt es gleich dazu: einen "Gutschein für einen Brunch in einem türkischen Gefängnis Ihrer Wahl".

Erdoğan, ein Selbstläufer für Comedians? Nein, denn so einfach ist es gar nicht mehr, das Handeln des Präsidenten zu überdrehen. Das meiste nimmt er ja schon vorweg – indem er es wirklich macht. Wenn er beispielsweise wütend den niederländischen Botschafter nicht mehr ins Land lässt oder mit Nazi-Vergleichen um sich wirft.

Das Schlimme an wirren Diktatoren wie Kim Jong-un und Diktatur-Liebäuglern wie Donald Trump oder Recep Tayyip Erdoğan ist ja: Als Memes oder South Park-Charaktere wären sie großartig. Wäre ihr einziger Zweck, uns mit ihrem egozentrischen Auftreten und ihren Eigenheiten zu unterhalten – wie Trump, der ein exzellentes Steak mit Ketchup übergießt. Nur haben sie eben so viel reale Macht über so viele reale Menschen.

Seit 51 Tagen sitzt der deutsche Journalist Denis Yücel im türkischen Gefängnis, so wie rund 150 andere Journalisten in der Türkei. Der deutsche Generalkonsul in Istanbul durfte Yücel jetzt besuchen. Aber wie es genau weitergeht, weiß niemand so recht. Es sind Machtspielchen auf dem Rücken von Menschen, die ihren Job machen und dafür eingesperrt werden.

Sollte am 16. April die Mehrheit der Türken für die Verfassungsänderung stimmen, die aus dem parlamentarischen System ein präsidiales macht – sprich Erdoğan noch mehr Macht gibt –, dann kommen wir womöglich genau in die Situation, die Klaas besingt:

"Demokratie
Heißt bei mir sowas wie
Jeder darf hier frei wählen,
Womit wir ihn quälen,
Gefängnis oder Strick."

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