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Politik

Der AfD-Nachwuchs glaubt, "alle Probleme" mit Verfassungsschutz gelöst zu haben

Am Wochenende hat sich die Junge Alternative von ihrem Landesverband Niedersachsen getrennt – die Presse durfte das nur von draußen verfolgen.
Jan Endert, Mitglied der Jungen Alternative, schwenkt eine Fahne der JA Sachsen
JA-Mitglieder vor dem Bundeskongress | Foto: Henrik Merker

"Wir sind die Niedersachsen / sturmfest und erdverwachsen / heil Herzog Widukinds Stamm!" Eine Gruppe junger Männer in Hemden und Sakkos steht am frühen Sonntagabend vor dem alten Zechensaal in der kleinen Bergbaustadt Barsinghausen, lauthals singen sie das "Niedersachsenlied". Feierstimmung bei der Jungen Alternative. Obwohl diese gerade einen kompletten Landesverband aufgelöst und dessen Mitgliedern vorerst ihre Mitgliedschaft entzogen hat.

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Die Nachwuchsorganisation der AfD hat zuvor etwas gemacht, was alle Kinder ihren Eltern irgendwann antun: Sie hat ihrer Partei Probleme bereitet. Der Verfassungsschutz beobachtet die JA-Landesverbände in Bremen und Niedersachsen, nachdem sich führende Mitglieder unter anderem mit Kadern der rechtsextremen Organisation "Identitäre Bewegung" gezeigt hatten.

In der AfD geht nun die Angst um, dass bald der gesamte Nachwuchs und auch die Partei selbst überwacht werden könnten. Ein von der Partei beauftragter Gutachter hat der AfD Ende Oktober geraten, Pauschalurteile wie "Flüchtlinge sind kriminell" zu vermeiden und keine Kontakte mit vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen zu pflegen.


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Mit einem klärenden Gespräch ist dieses Problem also nicht mehr abzutun, der Bundesvorstand der Jungen Alternative hat deshalb für das erste Novemberwochenende einen außerordentlichen Bundeskongress einberufen. "Zum Schutze der Gesamtorganisation" sollen dort die beiden Landesverbände abgegliedert werden. Wo nichts mehr ist, kann schließlich auch nichts beobachtet werden.

Sollten die Mitglieder diesem Vorschlag nicht folgen, werde der aktuelle Bundesvorsitzende der JA, Damian Lohr, zurücktreten. Das hatte der Rheinland-Pfälzer Landtagsabgeordnete zuvor selbst angekündigt.

In Barsinghausen ist an diesem Tag verkaufsoffener Sonntag, in der Fußgängerpassage im Ortskern werden die Stände des "Novembermarkts" aufgebaut, am Abend werden Hunderte Kinder mit ihren Eltern bei einem Laternenumzug durch die Stadt ziehen. Die JA trifft sich im scheunenartigen Backsteinbau der alten Zechensaals, in dessen Waschkaue sich bis 1957 die Bergarbeiter den Kohlestaub von der Haut wuschen. Der AfD-Nachwuchs hat zum Teil im Ort übernachtet, einige wirken ein bisschen verkatert, als sie in die Kameras der Fotografen winken.

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Auch der AfD-Fraktionsvorsitzende und Bundessprecher Alexander Gauland ist anwesend. Der 77-jährige ist bei der Jugend überaus beliebt, ein Anhänger trägt die gleiche grüne Jagdhund-Krawatte wie er. Beim Programmkongress der JA Anfang Juni hatte Gauland in seinem Grußwort die Zeit des Nationalsozialismus als "Vogelschiss" der deutschen Geschichte bezeichnet. Dieses Mal muss er sich mit der jüngeren Geschichte seines Parteinachwuchses auseinandersetzen.

"Sensible Angelegenheiten" werden besprochen

Als der Sitzungsleiter gegen 12:30 Uhr mit einer halben Stunde Verspätung die Rampe zur Halle hinabgelaufen kommt, haben sich 260 Mitglieder akkreditiert, ein Großteil stammt aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Mehr als tausend Menschen ziehen zu diesem Zeitpunkt aus Protest gegen die Junge Alternative durch Barsinghausen. Ein Teilnehmerin hat "Still <3 ing Genderwahn" auf ihr Schild geschrieben, ein Demonstrant neben ihr "Böse alte Männer gegen rechts".

Bei der Jungen Alternative trägt mancher Rolex, ein anderer hat noch die Plastikringe für das Preisschild in seinen Lederschuhen hängen. Ein Mitglied in Lederhose hält den Journalisten vor dem Saal einen Vortrag darüber, dass Plastiktüten am Ende doch umweltfreundlicher als Papiertüten seien. Ein zweiter JAler vergleicht Geflüchtete und sich illegal in Deutschland aufhaltende Menschen mit Süßigkeiten: "Wenn ich drei vergiftete Gummibärchen habe, schmeiß ich die ganze Tüte weg." Dann sagt er, dass "irgendwann alle zur Verantwortung gezogen" werden würden, auch Journalisten.

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Zu einer Konfrontation wie beim letzten Bundeskongress der JA im hessischen Büdingen wird es diesmal nicht kommen. Damals hatten über hundert JAler der Gegendemo "Widerstand, Widerstand!" und "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!" entgegengebrüllt. Dieses Mal hat die Polizei den Tagungsort weiträumig abgesperrt und zwei Wasserwerfer bereitgestellt. Die kommen aber nicht zum Einsatz. Ähnlich wie auch die anwesenden Journalisten.

Nach Büdingen hatte ein der JA verbundener AfD-Politiker angeregt, Berichterstattende nur noch mit Warnwesten hereinzulassen, damit die Parteijugend diese sofort erkennen kann. Dazu kommt es nicht, denn: Journalisten müssen draußen vor dem Saal bleiben, die JA tagt unter sich. Weil "sensible Angelegenheiten" besprochen werden, so ein Vorstandsmitglied.

"Sensible Angelegenheiten" sind in diesem Fall Protokolle aus Chat-Gruppen der JA Niedersachsen, wie mehrere Teilnehmende später übereinstimmend erzählen. Aus den Protokollen sollen sowohl der Vorsitzende Damian Lohr als auch die anwesende niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Dana Guth und Alexander Gauland zitieren. Auf der Tagesordnung waren alle drei Reden als Grußwörter angedacht, sie reden den Jungen allerdings wohl direkt ins Gewissen: Niedersachsen muss raus aus der Jungen Alternative.

In der Öffentlichkeit sind diese Chats teilweise bereits seit einem Jahr bekannt, in einer Gruppe der JA Braunschweig hieß es unter anderem: "Wir sollten Tierversuche stoppen und Flüchtlinge dafür nehmen". Und man sollte "über eine Endlösung für die Musels in Deutschland nachdenken" .

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Immer wieder soll es dabei um Lars Steinke gehen, den vom Bundesvorstand bereits abgesetzten ehemaligen Vorsitzenden der JA Niedersachsen. Er war nicht nur Mitglied dieser Chatgruppen, sondern ist mehrfach mit Identitären in Erscheinung getreten, hat sich bereits öffentlich als Mitglied des ansonsten anonym agierenden Troll-Netzwerks "Reconquista Germanica" bekannt und hatte den rechtsextremen "Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen" 2015 laut eigener Aussage mitgegründet. Zur Persona non grata wurde er bei der AfD und der JA aber erst, als er den Hitler-Attentäter von Stauffenberg auf Facebook einen "Verräter" nannte. Ein Parteiausschlussverfahren gegen Steinke, der an diesem Tag nicht anwesend ist, wurde bereits im August beantragt.

Nicht alle Mitglieder scheinen die von Lohr vorgelesenen Passagen ernstzunehmen, ein Gruppe soll diese lachend zur Kenntnis genommen haben. Dana Guth, werden Teilnehmende später sagen, habe sich in ihrer Rede darüber erschrocken gezeigt.

Am Ende stimmen 159 der anwesenden Mitglieder dafür, einzelne Landesverbände in Zukunft abgliedern zu können. Die entsprechende Satzungsänderung kommt dennoch mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit durch, weil mehr als 30 der anwesenden JAler ihre Stimme erst gar nicht abgeben, wie mehrere Mitglieder bestätigen. Und wohl auch, weil von der weit rechts stehenden JA Sachsen-Anhalt fast niemand da ist, zeitgleich findet dort ein eigener Landesparteitags statt. Als gegen 16:30 Uhr die de-facto-Auflösung des niedersächsischen Verbands beschlossen ist, dringt lauter Jubel nach draußen und kurz darauf ein kleineres Wortgefecht.

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Ist der Landesverband Niedersachsen ein Einzelfall?

Minuten später verlässt Alexander Gauland durch den Hinterausgang den Saal und fährt in der schwarzen Limo des Bundestags-Fahrdiensts davon. Die Entscheidung über die Zukunft der JA Bremen wartet er nicht mehr ab, sie wird schließlich auf den nächsten Bundeskongress vertagt. Der Konvent der Jungen Alternative, ein Gremium, das neben dem Bundesvorstand alle organisatorischen Angelegenheit der JA regelt, soll bis dahin eine Empfehlung ausarbeiten, was mit dem Landesverband geschehen soll. Mehrere Bremer Vorstandsmitglieder waren im Sommer 2017 auf einer Identitären-Demo in Berlin mitgelaufen.

Zahlreiche prominente JA-Mitglieder bleiben derweil allem Anschein nach von der Debatte verschont. Etwa Moritz Brodbeck, Felix Koschkar (beide im Bundesvorstand), Jan Wenzel Schmidt (Landesvorsitzender der JA Sachsen-Anhalt) und Justin Cedric Salka (stellvertretender Landesvorsitzender der JA Rheinland-Pfalz), die bereits bei Aktionen oder Demonstrationen der Identitären in Erscheinung getreten waren. Später haben sie sich davon teilweise distanziert. Denn die AfD hat eigentlich seit 2016 einen entsprechenden Unveinbarkeitsbeschluss: Parteimitglieder dürfen demnach nicht mit der Identitären Bewegung zusammenarbeiten und ihre Anhänger nicht aufgenommen werden.

"Wir haben heute alle Probleme gelöst und es wird keine Probleme mehr geben", sagt der Bundesvorsitzende Damian Lohr, als er für ein zwei Sätze langes Statement am frühen Abend vor die Halle kommt. Nachfragen sind nicht gestattet. Aber was jetzt aus seinen Plänen für das Europaparlament wird? "Daran hat sich nichts geändert", sagt er im Gehen.

Lohr, heißt es in der JA, will Mitte November für die Liste der AfD zur Europawahl kandidieren, auch deshalb habe er den Bundeskongress einberufen lassen. Die Jugendorganisation, die er führt, lehnt die EU offiziell ab. Das Mitglied, das bei der Programmkongress im Juni für diese Position geworben hatte, war Lohr selbst.

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