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Die längste Wahl der Welt

Wir müssen auch die kleinen Bundespräsidentschafts-Kandidaten mitreden lassen

Nicht alle Kandidaten bekommen gleich viel Aufmerksamkeit und Sendezeit. Aber wer entscheidet, wer wichtig ist?

Screenshot via tvthek.orf.at

Der Wahlkampf hat begonnen. Und die Anwärter auf den Posten des österreichischen Bundespräsidenten dürfen rennen. Bis 18. März haben alle Kandidaten Zeit, 6000 Unterstützungserklärungen zu sammeln. Eine kleine Hürde, die man nehmen muss, wenn man im April auf dem Wahlzettel stehen will.

Und bei einigen ist es zu 100 Prozent klar, dass sie das auch schaffen werden. Zum Beispiel die Vertreter der Koalitionsparteien: Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) können auf das Parteinetzwerk zugreifen. Durch ihre Positionen in Gewerkschaft und Seniorenbund haben sie ihre 6000 Stimmen quasi fix. Norbert Hofer hat mit der FPÖ auch eine Partei, die ihm den Rücken stärkt.

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Alexander van der Bellen, der „unabhängige" Ex-Bundessprecher der Grünen, kann ebenfalls auf die Unterstützung seiner Partei hoffen. Auch einige Neos liebäugeln mit ihm. Und mit der unabhängigen Irmgard Griss. Die ehemalige Höchstrichterin hat in Umfragen als einzige unabhängige Kandidatin eine Chance, in die Stichwahl einzuziehen.

Das sind sie also—die fünf Kandidaten, die wir die nächsten Wochen in Zeitungen und im Fernsehen sehen werden. Wir kennen die Infografiken mit den Säulen, Parteifarben und Gesichtern der Kandidaten daneben.

Das Problem ist aber: Es gibt noch andere Kandidaten. OK , eigentlich ist das kein Problem. Mehr Wettbewerb bedeutet mehr Auswahlmöglichkeiten bedeutet bessere Demokratie. Elfriede Awadalla beispielsweise ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen und hat zusammen mit Wien Anders für den Einzug in den Gemeinderat gekämpft. Eine Option für linke Wähler. Robert Marschall wiederum ist Parteiobmann von EU-STOP, einem Bündnis, das sich für den Austritt aus der Europäischen Union stark macht. Bei den EU-Wahlen 2014 erhielt seine Partei 2,8 Prozent der gültigen Stimmen in Österreich. Auch er scheint einen Nerv zu treffen.

Das sind längst nicht alle. Auch zahlreiche „einzig unabhängige" Kandidaten werben um die Bundespräsidentschaft. Der bekannteste unter ihnen dürfte Richard Lugner sein, bekannt durch sein Einkaufszentrum in Wien und diverse ATV-Sendungen.

Nun wurde jüngst bekannt, dass der ORF eben nicht alle Kandidaten covern muss. Wie jedes andere Medium kann sich auch der öffentlich-rechtliche Sender aussuchen, wer „relevant" ist und wer nicht. Das passiert nicht unbegründet: Immerhin zeigen Umfragen, dass kaum jemand abseits des oben genannten Quintetts eine realistische Chance haben dürfte. Sogar bei den Koalitionsvertretern kann man darüber streiten. Es scheint also eine gute Idee zu sein, den Fokus auf die aussichtsreicheren Kandidaten zu legen.

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Die Gefahr ist nur, dass sich der Wahlkampf mehr und mehr zur „ Self-fulfilling prophecy " entwickelt. Zuerst kommen die Umfragen. Danach wird über die Umfragen geredet und man hat einen Überblick, wer Chancen hat und wer nicht. Allein das beeinflusst die Wahlentscheidung in Richtung „taktisches Wählen" schon massiv. Meist ist zum Zeitpunkt der ersten Umfrage noch nicht einmal klar, wer antreten will und wer antreten darf. Gerade im Präsidentschaftswahlkampf hat sich das gezeigt, als fiktiverweise Erwin Pröll und Josef Moser in Umfragen gegenübergestellt wurden.

Alleine die Berichterstattung über die Umfragewerte—die schon vor Wahlkampfbeginn veröffentlicht werden—beeinflusst also bereits die Chancen der Kandidaten, bevor sie fix sind. Und wer in der ersten Umfrage nicht dabei war und öffentlich noch nicht bekannt war, hat demnach eben kaum eine Chance. Journalisten leiten daraus oft eine niedrige Relevanz an sich ab. Und covern die „kleinen" Kandidaten deshalb gar nicht .

Kleine Kandidaten sind ein bisschen wie Berufseinsteiger, von denen jeder Berufserfahrung verlangt. Aber diese bekommt man nicht ohne mediale Aufmerksamkeit.

Ich halte das für grundfalsch. Wenn jemand öffentlich bekannt gibt, für das Bundespräsidentenamt zu kandidieren, sollte er medial zumindest erwähnt werden. Niemand unterschreibt für einen Kandidaten, den er nicht kennt—sogar, wenn es für ihn oder sie vielleicht eigentlich der Richtige wäre. Man will ja nicht das „kleinste Übel", sondern den bestmöglichen Präsidenten wählen. Spätestens nachdem die 6000 Unterstützungserklärungen gesammelt wurden, sollte eigentlich jeder ein Recht auf einigermaßen gleiche Behandlung. Das bedeutet nicht zwangsläufig gleiche Sendezeit—aber es bedeutet einen „fairen Prozess" und die Chance, Aufmerksamkeit durch die Medien zu bekommen.

Kleine Kandidaten sind ein bisschen wie Berufseinsteiger. Sie wollen etwas machen, und vielleicht können sie das auch echt gut. Aber jeder erwartet von ihnen Berufserfahrung. Die haben einige der Underdogs zwar nicht, was ein berechtigter Einwand sein mag. Aber irgendwo ist Berufserfahrung auch eine Metapher für mediale Aufmerksamkeit. Wer nicht schon bekannt ist, der wird auch eher nicht bekannt. Der momentane Status Quo begünstigt taktisches Wählen und sorgt dafür, dass die Kandidaten immer nur aus demselben „etablierten" Milieu kommen können. Die einzige Möglichkeit, dem entgegenzusteuern: Wir müssen sie mitreden lassen.

Das ist nicht immer schön. Richard Lugner, Thomas Unden oder Robert Marschall will und kann man vielleicht nicht in gleicher Länge aushalten wie andere Kandidaten. Vielleicht aber auch doch, aber dann eher aus Entertainment-Gründen als aus politischem Interesse. Trotzdem ist es notwendig, sie nicht präventiv auszublenden. Ansonsten schaffen wir neben den 6000 Unterstützungen noch eine viel größere Hürde und sagen jedem kleinen Kandidaten: Du bist scheißegal.

Stefan auf Twitter: @derSchett