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Clubkultur

8 Dinge, die in der Dance-Kultur aufhören müssen

Wir lieben elektronische Musik—deswegen dürfen wir sie nicht den Arschlöchern überlassen!

Josh Baines liebt elektronische Musik und hasst Menschen. Für uns schreibt er hier, was in der modernen Clubkultur schiefläuft.

Es gibt wohl nur wenige Dinge, die unser Leben momentan derart prägen wie elektronische Musik und das ganze Drumherum. Die besten Partynächte deines Lebens werden mit ziemlicher Sicherheit vom 4/4 Herzschlag eines Drumcomputers, dem beißenden Geruch minderwertigen Straßenspeeds und lustigen bunten Pillen begleitet—nicht zu vergessen dieser eigentümliche Geschmack, den Wasser am Ende einer solchen Nacht hat. Wenn du später mal im Kreise deiner Liebsten im Totenbett liegst, werden es sicherlich nicht die einsamen Nächte voller Selbstmittleid sein, an die du dich zurückerinnerst, sondern die, in denen dich "Sweet Harmony" und "Anytime" in ungeahnte emotionale Höhen befördert haben.

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Deswegen ist es umso bedauerlicher, dass ein Großteil der ganzen House- und Technomusik beschissen und ideenlos abgekupfert ist. Die ganze Kultur ist durchzogen von Fehlern und Fehltritten, die übernommen und wiederholt werden.

Um sicherzugehen, dass wir auch in Zukunft unsere Sonntage mit Pearl Jam und milden Joints verbringen können, ohne uns einen Kopf darüber machen zu müssen, was in der aktuellen Dance-Szene gerade schon wieder schief läuft, habe ich hier ein paar Dinge aufgelistet, die unbedingt aufhören müssen.

Vinyl-Fetischismus

Danielle Blue | Flickr | CC BY 2.0

Dinge, von denen die Welt bestimmt nicht noch mehr braucht: Germanistikstudenten, Satire-Facebookseiten und Artikel über die wiedererstarkte Popularität von Vinyl. Das Leben ist einfach zu kurz, um sich ernsthaft damit zu beschäftigen, von welchem Medium DJs denn jetzt ihre Musik spielen. Meinetwegen kannst du Tapes, CDs oder den Jersey Club-Mix auf YouTube anwerfen, mir egal. Mach nur bitte keine große Sache daraus.

Billige Kommerz-Plagiate

Es gibt nichts Herzerwärmenderes als Producer, die sich planlos über alles hermachen, was gerade bei Resident Advisor angesagt ist. Wir sind total angetan davon, dass du mal einen Cassie-Song gehört hast. Wir sind total angetan davon, dass du mal einen DJ Nate-Song gehört hast. Wir sind total angetan davon, dass du mal einen Autechre-Song gehört hast. Wir besitzen diese ganzen Alben und sie klingen um Längen besser, als dein unbeholfener Versuch an Boogie/Grime/IDM/Minimal-Wave/Turkish-Psych. Bleib also einfach bei dem Nervous Tracks-Rip-Off, an dem du schon so lange arbeitest.

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Geheime Warehouse-Raves

Danielle Blue | Flickr | CC BY 2.0

Seien wir mal ehrlich: Die meisten Clubs sind ganz fürchterliche Orte. Niemand hält sich gerne lange darin auf. Überfüllte, lieblos designte Löcher, die es auf einzigartige Weise schaffen, deine gute Laune zu zerstören, bevor du überhaupt den ersten Mix gehört hast. Aber wenigstens gibt es in Clubs Toiletten, vernünftige Bars und einen Ort, an dem du deine Klamotten abgeben kannst. Schön, dass du Raving 89 von Neville und Gavin Watson gelesen hast und es für eine gute Idee hieltest, DJ Sneak für einen Gig in der alten Blindenwerkstatt zu buchen, das einzige, woran ich dabei allerdings denken kann, ist: ‚Was für eine Scheiße, wo ist die nächste Bushaltestelle?' Jeder, der zu solchen Veranstaltungen geht, ist nicht weniger abstoßend naiv als die ganzen Vollidioten, denen beim Gedanken an eine Mitternachtsvorführung von Der bewegte Mann einer abgeht. Viel Spaß in der Rattenpisse, ihr Pfeifen!

Konzept-Alben

Ja, ich weiß, ich lehne mich hier recht weit aus dem Fenster, aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass es je ein gutes House- oder Techno-Album gegeben hat. Weil: 1) Wenn sie irgendwann merken, dass sie eigentlich keine Songs schreiben können, fangen Producer an, ihre Technotracks mit einem Konzept aufzublasen, das unausgereifte und halbherzig vermittelte Ideologien verbreitet, und packen das in ihr Debütalbum. Niemand macht sich Gedanken über die Möglichkeit extraterrestrischen Lebens, wenn er oder sie ein Jeff Mills-Album hört. 2) Manchmal versuchen sie es trotzdem, und schreiben ‚Songs'. 3) Dance-Musik ist, wie der Name schon sagt, dazu gedacht, um in Clubs dazu zu tanzen. Allein der Gedanke daran, dass Menschen dazu alleine zu Hause tanzen, ist schlichtweg zu peinlich, um mehr als ein paar Sekunden daran zu verschwenden. Eigentlich ist alles, was über eine 4 Track EP hinausgeht, das klangliche Äquivalent zu einem Producer, der sich zu seinem eigenen Spiegelbild einen runterholt.

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Die Vergötterung von DJs

Die Platten anderer Menschen aufzulegen, eine nach der anderen, ist eine Fähigkeit, die heutzutage maßlos überhöht wird. Schmeiß einfach zwölf Tracks, die du in anderen Mixen gehört hast, in Traktor, denk dir einen lustigen Namen aus, lad das Resultat bei Mixcloud hoch und schon bald kannst auch du Freigetränke und Drogen in den angesagten Berliner Clubs abstauben. Erwarte nichts anderes als Horden begeisterter Fans, die um die DJ Kanzel stehen und Fotos davon machen, wie du den Crossfader massierst und am EQ rumfummelst—oder was auch immer für ein Scheiß die Leute beeindruckt, die sagen: „Ja, das ist ein geiler Song. Den würde ich gerne mal in einem Club hören." Du kannst Platten abspielen, ich kann Platten abspielen. Ich könnte die raue Technoparty rocken, die du an einem Dienstagabend in einer kleinen Bar im Berliner Wedding veranstaltest. Klar, kein Ding! Buch mich! DJs sind Geier. Sie sind die Sorte von Mitbewohner, die nur die gemeinsame Küche betreten wenn sie riechen, dass du dir gerade eine Tüte angezündet hast. Scheiß auf DJs und scheiß auf Leute, die sich von ihnen beeindrucken lassen.

Fake, Fake, überall Fake

Keine Angst, ich werde mich hier jetzt nicht Hals über Kopf in einen langweiligen, unverständlichen Diskurs über kulturelle Adaption stürzen, aber es gibt da diese blassen Mittelstandskids, die total selbstreflektiert ihre nostalgischen House-‚Trax' mit Vocals bespicken, die dem Hörer befehlen, es zu „jacken" oder zu „worken". Vor etwa 30 Jahren hatte „Jacking" tatsächlich mal eine Bedeutung und das tut es auch heute noch. Es ist ein fester Bestandteil der House-Geschichte. Was es allerdings nicht ist, ist ein bequemer Weg, deine Platte mit dem Schweiß langer Nächte in den schwarzen Clubs von damals zu veredeln. Welche Bedeutung „to jack" auch jemals gehabt haben mag und welche sie für manche Menschen auch heute hat, diese wird einfach dadurch zunichte gemacht, dass das hier nicht Chicago, du nicht Funkmaster Farley und es ganz bestimmt nicht das Jahr 1987 ist. Dein Name ist Sebastian, du arbeitest als Netzwerkadministrator bei einer Versicherung und lebst in Gütersloh.

Festivals

Eva Rinaldi | Flickr | CC BY 2.0

Ich kann schon verstehen, warum der typische Alibi-Elektro-Act auf einem Standardfestival eher nicht so ansprechend ist—obwohl ich mich an ein prägendes Erlebnis auf einem Hügel in Bilbao erinnern kann, bei dem ich mit der Wahl zwischen Kings of Leon und Fatboy Slim konfrontiert war, egal, wo ich auch hingehen wollte. Ich verstehe schon, warum du auf dem Primavera unbedingt Diplo sehen musst, nachdem du The Pains of Being Pure at Heart oder was auch immer überstanden hast. Das ist vollkommen OK. Jeder weiß, dass allein schon eine Kickdrum besser klingt, als so ziemlich 99% von all dem, was irgendeine Band je auf Platte gepresst hat und „live umsetzen" will. Aber wer zur Hölle will schon ein ganzes Wochenende damit verbringen, von Annie Mac zu Âme zu pilgern, natürlich nicht ohne dazwischen Armand van Helden zu sehen, und dabei über die körperlichen Überreste von Typen zu klettern, die es für eine gute Idee hielten, sich ihre komplette Festivalration illegaler Substanzen schon am frühen Freitagabend einzufahren? Wer will zwei wertvolle Tage seines Lebens damit verbringen, sich darüber zu sorgen, in welchem Zustand die Toiletten sind und ob Ricardo Villalobos dieses Mal denn auch wirklich erscheint?

Die Sache ist allerdings die: Auch wenn DJs prätentiöse Wichser, Festivals die Horror-Version von Hedonismus und Clubs spaßfreie Orte sein können, gibt es immer noch nichts Besseres als gute elektronische Tanzmusik. Nichts! Es ist nur immer mal wieder nötig, den ganzen Laden aufzuräumen, die Arschlöcher rauszuschmeißen und einmal gut durchzulüften. Entreißt sie also wieder den affektierten Mode-Ravern und geldgierigen Konzernen. Es muss wieder unser House werden.

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