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Popkultur

Folter, Vergewaltigung, Pädophilie: Die abstoßende Welt des "Hurtcore"

Im Darknet treffen sich Menschen wie Cambridge-Dozent Matthew Falder und stacheln sich zu immer grausameren Taten an.
Max Daly
London, GB
Links: Screenshot Hurt2TheCore || rechts: Matthew Falder | Foto: National Crime Agency

WARNUNG: Dieser Artikel enthält verstörende Details.

"Opfer 5"* wollte gerne einen eigenen Hund haben. Also erstellte die 15-jährige Schülerin 2013 eine entsprechende Annonce bei Gumtree – dem britischen Pendant zu eBay-Kleinanzeigen. Unter den Antworten war eine Nachricht von Liz, einer Künstlerin. Liz versprach dem Mädchen, jeden Hund zu bezahlen, den sie sich wünscht. Das einzige, was sie dafür tun müsse: ihr ein Oben-ohne-Selfie schicken. Sie würde das Foto gerne als Vorlage für eine Kohlezeichnung verwenden und überhaupt: "Außer mir wird es niemand jemals sehen", versprach Liz.

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Die Künstlerin machte einen vertrauenserweckenden Eindruck. In ihrem E-Mail-Austausch erzählte die Schülerin, dass sie bei Pflegeeltern lebt, von anderen Mädchen gehänselt wird und einen kleinen Bruder mit Behinderung hat, der ihr "alles in der Welt bedeutet". Schließlich entschied sich die 15-Jährige für einen Hund für umgerechnet 310 Euro und Liz versprach, ihn ihr zu kaufen, sobald das Foto da sei. Als die Teenagerin das angeforderte Foto schließlich gesendet hatte, änderte die Künstlerin schlagartig ihren Ton.

Entweder schicke die 15-Jährige sofort ein weiteres Foto oder Liz würde das Nacktbild den gemeinen Mädchen zukommen lassen. Und die Künstlerin zog die Schlinge immer weiter zu. Je mehr Bilder Opfer 5 an Liz gab, desto mehr wurde sie erpresst, desto expliziter wurden die Forderungen. "Ich werde alles in meiner Macht tun, um dir dein Leben zur Hölle zu machen", schrieb Liz. Sie drohte damit, die kompromittierenden Aufnahmen an alle in ihrer Straße und ihrer Schule zu schicken. Wenn das Mädchen sich nicht weiter in degradierenden Posen fotografiert, würde Liz beim Jugendamt dafür sorgen, dass ihr Bruder in ein Heim gesteckt wird.

Das Mädchen sagte zu Liz, dass sie sich umbringen will. Liz forderte einfach weiter Fotos. Auf manchen sollte sie selbstbeschriftete Schilder hochhalten, auf denen Sachen standen wie "Ich bin eine Schlampe" oder "Ich kümmere mich um meinen behinderten Bruder und jetzt muss ich strippen". Am Ende landete das Mädchen mit einer Überdosis im Krankenhaus.

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Liz erpresste zur gleichen Zeit auch andere Mädchen, zwang sie dazu, ihr herabwürdigende und pornografische Videos von sich zu schicken, in denen sie Hundefutter essen oder Kloschüsseln ablecken.

Aber Liz war keine Künstlerin. Liz war noch nicht mal Liz, sondern Matthew Falder, ein Cambridge-Student in seinen Zwanzigern. Wenn er nicht gerade Geophysik studierte, mit Kommilitonen oder seiner Langzeitfreundin unterwegs war, erpresste Falder geschützt hinter verschlüsselten E-Mail-Adressen verletzliche Menschen. Die Fotos und Videos seiner Opfer teilte er an den finstersten Orten des Internets mit Gleichgesinnten.


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Der Staatsanwaltschaft zufolge behandelte Falder seine Opfer "sowohl als Sexobjekte und auch als Objekte, die er verspottete". Im Darknet suchte der in einem wohlhabenden Teil der Grafschaft Cheshire aufgewachsene Brite am liebsten nach Kindern, die verletzlich waren oder von anderen erniedrigt wurden. In einem Forum für extreme Pornografie schrieb er in einen Thread mit dem Namen "100 Dinge, die wir mindestens einmal sehen wollen": "Ein kleines Mädchen, das als Dartscheibe benutzt wird"; ein Video von einem Kind, dem "langsam und absichtlich die Knochen gebrochen werden", und den Missbrauch "eines gelähmten Kindes".

Vier Jahre Arbeit eines internationalen Teams aus europäischen, amerikanischen, australischen, neuseeländischen und israelischen Ermittlern führten im Juni 2017 schließlich zu Falders Verhaftung in seinem Büro an der University of Birmingham, wo er zuletzt als Dozent gearbeitet hatte. Jetzt verurteilte der Birmingham Crown Court ihn zu 32 Jahren Gefängnis. 137 von 188 Straftaten, die ihm zur Last gelegt werden, hat er gestanden – darunter Vergewaltigung. Zwischen 2009 und 2017 terrorisierte er 48 Menschen mit seinen sadistischen Verbrechen, die Altersspanne seiner Opfer reichte von jungen Teenagern bis hin zu Menschen über 30.

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Falders Verhaftung ist der erste große Erfolg gegen einen britischen Protagonisten des sogenannten Hurtcore. Der Name steht für eine extreme Porno-Subkategorie, in der es um das echte Zufügen von Leid, Schmerzen, Folter und Erniedrigung geht. Die Opfer sind größtenteils Kinder und Teenager, manchmal auch Säuglinge. Falders Taten sind zahlreich und ungeheuerlich, doch er ist nur einer von vielen in dieser düsteren Welt, die zeigt, wozu Menschen fähig sind.

2013 hatte das FBI die britischen Behörden zum ersten Mal auf Falder aufmerksam gemacht – oder besser gesagt: auf seine User-Namen "Inthegarden", "666devil" und "devilmind". Die Amerikaner ermittelten damals im Umfeld der berüchtigten Darknet-Seite "Hurt2TheCore". Das Portal befand sich gerade in seiner Hochphase und hatte Tausende Mitglieder, von denen Hunderte aktiv Material teilten. Die beherrschenden Inhalte: Missbrauch und Vergewaltigung. Auch Falder war regelmäßiger Gast in dem Forum, in dem sich User in Threads wie "Kinderpornoproduktion für Dummies" oder "Drei Männer und ein Baby" austauschten. Einer von Falders eigenen Threads: "Brauche Ideen für erpresstes Mädchen".

Hier postete der Akademiker auch die Bilder und Videos, die er von seinen jungen Opfern erpresst hatte. Aus diesem Grund zwang er Opfer 5 und andere dazu, ein Schild mit der Aufschrift Hurt2TheCore hochzuhalten. Das war nicht nur ein grausamer Insiderscherz für die Hurtcore-Gemeinschaft, sondern machte sein Material authentisch und bestätigte ihn als Urheber.

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"Hurtcore ist ein Fetisch für Menschen, die es erregt, anderen gegen ihren Willen Schmerzen zuzufügen oder zu foltern", erklärt Eileen Ormsby. Sie hat für ihr bald erscheinendes Buch The Darkest Web in der Hurtcore-Szene des Darknets recherchiert. "Es geht dort manchmal so sadistisch zu, dass sich sogar die meisten Pädophilen davon abgestoßen fühlen. Videos und Fotos stammen oft aus armen Ländern, der Markt ist global."

Matthew Graham aka Lux | Foto: Australische Polizei

Die mysteriöse Figur hinter Hurt2TheCore und einem knappen Dutzend anderer einschlägiger Darknet-Seiten war ein gewisser Lux – der selbsternannte "King of Hurtcore". Australische Ermittler fanden 2014 heraus, dass hinter dem Alias ein 21-jähriger Nanotechnologie-Student steckte, der noch bei seinen Eltern in einem beschaulichen Vorort von Melbourne lebte. Aus seinem Kinderzimmer heraus hatte Matthew Graham sein selbsternanntes "PedoEmpire" geführt – eins der größten und berüchtigtsten Pädophilen-Netzwerke des Darknets.

"Am Anfang schämte ich mich dafür, mich zu solchen Sachen hingezogen zu fühlen", sagte Lux einem Journalisten des Daily Dot vor seiner Verhaftung. "Mit der Zeit begann ich aber, mich mehr und mehr zu akzeptieren. Erst als ich über die Tor-Pädo-Community gestoßen bin, konnte ich mich wirklich wohl mit meiner Neigung fühlen." 2016 wurde Graham zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Verbrechen bezeichnete das Gericht als "das pure Böse".

Vor Gericht hatte Graham gestanden, einen russischen Pädophilen dazu ermutigt zu haben, ein fünfjähriges Mädchen zu entführen, vergewaltigen, foltern und zu ermorden. Allerdings ist nicht bekannt, ob der Russe den Plan am Ende in die Tat umgesetzt hat. Dazu hatte Graham ein Video auf eine seiner Seiten gestellt, das aufgrund seiner Grausamkeit lange Zeit den Ruf einer urbanen Legende hatte. Das Video zeigt die grausame Vergewaltigung und Folter eines kleinen philippinischen Mädchens durch eine maskierte junge Frau. Auch wenn die genauen Angaben je nach Medienbericht abweichen ­– manchmal sind es zwei Täterinnen, das Alter des Mädchens variiert zwischen 18 Monaten und fünf Jahren –, ist die Existenz des Videos gesichert. Bevor Graham den Film in die Hände bekam und im Namen der Redefreiheit, wie er später behauptete, auf Hurt2TheCore stellte, wurde das Video im Darknet für 10.000 US-Dollar an Pädophile und Hurtcore-Anhänger verkauft.

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Wegen dieses Videos steht aktuell ein weiterer Australier, der Geschäftsmann Peter Scully, auf den Philippinen für Mord, Folter und Missbrauch von Kindern vor Gericht. Mit seiner Produktionsfirma "No Limits Fun" soll er sadistische Kinderpornos gedreht haben, darunter auch besagtes Video. Ebenfalls wegen dieses Videos wurde seine Assistentin Liezyl Margallo verhaftet, die mutmaßliche Frau hinter der Maske.

Trotzdem nehmen die Grausamkeiten kein Ende. Seit Grahams PedoEmpire mitsamt Hurt2TheCore vom Netz verschwunden ist, tauchen regelmäßig neue Seiten auf und weiterhin werden Kinder für Online-Sadisten erpresst und missbraucht. Dabei helfen ihnen auch neue Technologien. Ein 2016 erschienener Bericht des Australian National University Cybercrime Observatory gab zu bedenken, dass die Verbreitung von Virtual Reality und Sexrobotik Menschen mit entsprechenden Neigungen dazu veranlassen könnte, auch offline Opfer zu suchen und "ihre Erfahrung zu steigern, indem sie Live-Streaming des Kindesmissbrauchs mitsamt der taktilen Erfahrung implementieren, die durch derartige Technologien versprochen wird".

Matthew Falder | Foto: NCA

Ermittlungen in diesem hochanonymen Teil des Deepwebs sind laut Eileen Ormsby unfassbar schwierig: "Das Darknet stellt die Ermittler vor viele Probleme, weil ihre gängigen Ermittlungsmethoden zur User-Identifikation hier nicht greifen. Sie müssen sich stattdessen wieder auf klassische Detektivarbeit verlassen: versuchen, die Nutzer durch Details in ihren Fotos und Videos zu identifizieren. Sogenanntes Social Engineering ist eine andere Möglichkeit. Dabei werden die Betroffenen dahingehend manipuliert, vertrauliche oder persönliche Informationen preiszugeben."

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Im Gegensatz zu anderen Waren im Darknet – wie Waffen oder Drogen – werden die meisten illegalen Pornos kostenlos in der Community geteilt. Dadurch fehlt ein Geld- oder Kryptowährungsfluss, der sich verfolgen ließe. Verdeckte Ermittlungen versprechen deswegen oft den größten Erfolg. Wie Ormsby allerdings sagt: "Um zu den extremsten Seiten Zugang zu bekommen, müssen angehende Mitglieder eigenes Missbrauchs-Material zur Verfügung stellen. Da können die Ermittler natürlich nicht mitmachen."

Bei derartig sadistischen Verbrechen stellt sich bei den meisten Menschen allerdings vor allem die Frage nach dem Warum. Dabei sind gerade die Motive der Hurtcore-Szene kaum zu begreifen. Sowohl Falder als auch Graham befanden sich gerade in den letzten Zügen ihrer Teenagerjahre, als sie anfingen, sich mit dieser extremen Form des Sadismus zu beschäftigen. Aus keinem der beiden Verfahren ist bekannt, ob die Verurteilten in ihrer Kindheit oder frühen Jugend ein Trauma erlitten hätten oder erniedrigt wurden, die eine solche Lust am Leid anderer erklären könnte. Vor allem Falder hatte es geschafft, seine seelischen Abgründe über Jahre hinweg komplett von seinem Leben als erfolgreicher Akademiker zu trennen.

Während die meisten Verbrechen aus Motiven wie sexueller Lust, Eifersucht, Geld, Rache oder Hass begangen werden, sei den Ermittlern zufolge das Hauptmotiv in Falders Fall gewesen, andere Menschen leiden zu lassen und zu erniedrigen. "In meinen 30 Jahren als Ermittler sind mir noch nie derartig schreckliche Straftaten untergekommen, bei denen das einzige Ziel des Täters war, solche Schmerzen und solches Leid zu verursachen", sagte Matt Sutton, leitender Ermittlungsbeamter der britischen NCA.

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"Ich denke, es ist am Ende einfach Sadismus", so Ormsby. "Die Grausamkeit, die die Teilnahme an Hurtcore erfordert, ist für die meisten Menschen einfach unvorstellbar. Das Darknet bietet einen Ort für gleichgesinnte Individuen, an dem sie sich geschützt treffen können. Und die Tatsache, dass es dort eine solche 'Gemeinschaft' gibt – mir fällt leider gerade kein besseres Wort ein –, kann dazu beitragen, ihre Fantasien und Taten ein Stückweit zu normalisieren. Dort herrscht auch einen gewisser Drang, sich gegenseitig zu übertreffen."

Heutzutage mögen sadistische Grausamkeiten aus der Ferne ausgeübt werden, der psychische Druck und das Leid der Opfer sind deswegen aber nicht weniger real. Täter agieren im Schutz aufwendiger Verschlüsselungstechniken, während die Geschädigten oft im Verborgenen leiden. Vier von Falders Opfern haben versucht, sich das Leben zu nehmen.

Am Ende bewiesen die Geschädigten großen Mut, indem sie gegen ihren Peiniger aussagten. Einige waren sogar extra ins Gericht gekommen, um beim Urteilsspruch dabei zu sein. Viele zeigten sich erleichtert über die lange Haftstrafe von 32 Jahren und sagten auch, was für tiefe psychische Narben diese Person hinterlassen hatte, der sie nie persönlich begegnet waren. Wie es eine Geschädigte ausdrückte: "Ich denke jeden Tag an das, was mir passiert ist. Ich glaube, das wird für immer so bleiben."

*Name geändert

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