Rein Vollenga interpretiert Sexspielzeug und Fetischismus neu

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Rein Vollenga interpretiert Sexspielzeug und Fetischismus neu

Rein Vollenga baut Masken und Skulpturen—mit primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, aus Sachen, die er auf der Straße findet, und manischer Hingabe. Mir hat er erzählt, wie er mit Baumaterial im Gesicht von Lady Gaga landete.

Letztens habe ich Rein Vollenga in seinem Kreuzberger Studio besucht. In einem industriellen Hinterhof teilt er sich eine kleine Halle mit einem Freund und bastelt dort Masken, Schulterteile und anderes untragbar Tragbares. Dass seine Fenster verbarrikadiert sind, wirkt sich wohl auch auf sein Schaffen aus: Finsternis dominiert, Sex und Morbidität. Das Darkroom-Thema steht Rein gut, schließlich arbeitet der Holländer im Berghain, wenn er gerade nicht an seinen Werken feilt oder sie mit Lack bespritzt.

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Rein hat in etwa die Statur und das visuelle Auftreten eines professionellen Basketball-Spielers. Allein die Dennis-Rodmanesken 1-Euro-Stück-großen Bling-Ohrstecker erinnerten mich wieder daran, dass dieser Mann gerne mal mit einer Frau arbeitet, die sich Gaga nennt—und die Großen der Weltmode kennt wie die Bauchtasche seiner Carhartt-Jacke.

Über die haben wir dann auch gesprochen, die Großen, nicht die Carhartt-Jacke—und über seine Gründe, die holländische Kleinstadt gegen eine Kleinhalle und Berghain zu ersetzen.

VICE: Wie lange bist du schon in dem Studio hier?
Rein Vollenga: Ich bin hier jetzt seit etwa zwei Jahren. Ich teile es mit einem Freund, der Möbel baut. Vorher bin ich viel in Berlin umgezogen. Ich hatte echt kleine Räume, meist zusammen mit anderen. Sogar in einem fensterlosen Keller war ich—und ich arbeite viel mit Spray-Farben.

Ich denke, ohne Fenster oder Tageslicht zu arbeiten, kann auch inspirieren?
Na ja. Es ist bloß nicht einfach, darin zu arbeiten. Ich brauche ein Lüftung—was ich mache, ist sehr chemisch. Nicht gerade gesund. Als ich noch in den Niederlanden studierte, arbeitete ich noch in meiner Wohnung. Den schmutzigen Teil habe ich natürlich draußen gemacht. Aber das ist immer so eine Sache—ich will meine Werke staubfrei halten. Draußen ist es windig, Zeug fliegt rum.

Deine Arbeiten wirken sehr clean.
Eben. Darum bin ich damals auch mit den Werken in meine Duschkabine. Die war so 1,5 mal 1m groß, richtig klein also. Dann die Skulptur, und ich mit Maske auf. Die Dämpfe aus den Dosen sind giftig. Beinahe all mein Material kommt aus dem Baumarkt—ich bin ständig bei Bauhaus. Es hat schon einiges an Übung erfordert, das Ganze so zu perfektionieren. Wobei ich natürlich trotzdem nie ganz zufrieden bin—es könnte immer glatter sein und besser. Aber das ist wohl eine ständige Entwicklung.

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Welche Materialien nutzt du? Als ich deine Maske aus der Kollaboration mit KTZ im Shooting verwendete, bekam ich den Eindruck, sie sei aus Holz.
Epoxidharz, so was wie Plastik. Er wird aus zwei Komponenten angemischt—und steinhart. Du kannst es sägen, feilen, schmirgeln, alles. Und ich sammle diesen ganzen Kram: Ich finde Sachen in Partygeschäften, auf der Straße, im Supermarkt. Alles, was mich irgendwie reizt. Ich mag Doppeldeutiges, Teile, die auf eine Art organisch wirken—und den Widerspruch im Großteil der Gegenstände, die ich verwende: Sie sind einerseits organisch, dann aber auf Masse produziert. Das alles findet dann in meinem Studio zusammen; ich schneide es auf, klebe neu zusammen—ziemlich rough. Die Grundform schmirgel ich dann runter, bis die Oberfläche wirklich glatt ist. Anschließend grundiere ich mit Basislack, bis auch die kleinsten Unebenheiten raus sind. Danach kommt Sprühfarbe aus der Dose drauf, am Ende eine dicke Schicht Lack. Es dauert eine Weile, bis eine Arbeit fertig ist.

Stylist Ash Esferani trägt eine Maske aus der Collab mit Kokon To Zai, Foto von Jonas Lindström.

Wie lang ist so eine Weile?
Es kann eine Woche dauern oder zwei oder länger—abhängig vom Projekt und dem jeweiligen Objekt. Manchmal ist die Arbeit recht einfach. Wobei das natürlich heißt, dass sie öfters auch recht fordernd ist.

Mir ist aufgefallen: So was wie ein Mood-Board hast du hier gar nicht. Woher kommt deine Inspiration?
Ich steh auf Anatomie und das ganze Zeug. Hauptsächlich suche ich im Internet. Oder ich gehe ins Ethnologische Museum—und lasse mich von afrikanischer Kunst inspirieren. Tatsächlich von eher klassischen, traditionellen Arbeiten. Bevor ich mit etwas Neuem beginne, halte ich mich aber ohnehin nicht lange auf mit möglicher Recherche. Denn meine Arbeit ist sehr intuitiv. Ich lege einfach gern Hand an und arbeite drauf los. Recherchierst du lange und befasst dich ständig mit Kunstgeschichte, kann es dich auch davon abhalten, überhaupt etwas zu schaffen. Es ist doch viel spannender, instinktiv zu arbeiten.

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… von innen heraus.
Das Wichtigste aber ist mir, mit den Händen zu arbeiten. Ich mach zum Beispiel auch nie Skizzen. Das ist manchmal etwas kompliziert, arbeite ich mit Leuten zusammen. Die wollen dann wissen, wie das Produkt aussehen wird. Meistens sammle ich dann einfach Bilder und mache Collagen, um eine grobe Richtung zu geben. Ich möchte mich im Vorfeld nicht festlegen, denn dann geht der kreative Prozess verloren, und ich würde nur noch anfertigen. Mein Hirn würde nicht gereizt.

Und wie läuft das ab, wenn du mit Designern arbeitest? Wie in der Vergangenheit mit New Power Studio oder Kokon To Zai.
Die schicken mir sehr viel Bildmaterial—das, was sie bei der Arbeit an der jeweiligen Kollektion inspiriert. Damit fange ich an. Es ist nie so, dass sie sagen: Wir wollen genau das! Schließlich wissen die, was ich mache, kennen meine Arbeit—und mich. Auch bin ich niemand, der grundsätzlich den Druck einer Deadline braucht, um anzufangen. Dieser Trieb ist einfach in mir und das macht mich recht glücklich. Die andere Seite der Medaille ist dann eben, dass ich einfach nicht aufhören kann. Ich muss weiter- und weitermachen—und mich manchmal selbst von der Arbeit wegzerren. Meinen letzten Urlaub erinnere ich kaum—nach drei Tagen werde ich grundsätzlich wahnsinnig. Die Arbeit verlässt nie meinen Kopf. Von diesem Umfeld abgeschnitten zu sein, tut mir nicht gut. Aber das ist wohl auch eine Künstlerkrankheit.

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Wie kamst du zu dem, was du heute machst?
Ich hab in Holland Bildende Künste studiert, an einer sehr klassischen Uni. In der Zeit experimentierte ich noch viel mit Film. Recht schnell mit einer heutigen Freundin, einer Performance-Künstlerin. Kennengelernt hab ich sie in einem Schwulen-Club, in dem sie aufgetreten ist. Wirklich interessant an ihr war aber ihre Vergangenheit als Bodybuilder. Sie nahm viele Steroide, hatte also diesen ultra-männlichen Körper, dazu Silikonbrüste. Ihr Aussehen war so widersprüchlich! Ich begann, Videos mit ihr zu drehen: mit dieser Identität zwischen Mann, Maschine, Frau … Wir spielten viel mit Geschlechterrollen. Ich drehte die Filme, machte die Kostüme, Haare, Make-up, alles—bis hin zu skulpturellen Arbeiten. Zu der Zeit damals übrigens machte ich noch keine tragbaren Teile. Damit hab ich erst vor etwa drei Jahren begonnen.

Das hier ist die Dame, die Rein wohl auf seinen Weg gebracht hat. Entgegen jeglicher Versprechen ihres Körpers: völlig gewaltfrei.

Wie kam das?
Der Stylist Nicola Formichetti kontaktierte mich. Er fand meine Arbeit so spannend, dass er mich fragte, ob ich auch etwas Tragbares machen könnte. Wir haben einige gemeinsame Freunde: Mein Freund ist Fotograf und die beiden kennen sich seit einer halben Ewigkeit. Das also war das erste Mal, dass ich meine Arbeiten anpasste—etwas herstellte zum Tragen.

Was für ein Teil war das damals?
Die haben ein Shooting gemacht zum Thema Nordische Sagen, fürs V-Man. Es gibt dort die Feier des Lichtes, die jährlich stattfindet: die Mittsommernacht. Und eine Geschichte über ein Mädchen, das die Augen ausgestochen bekam—dass sie nichts mehr sah. Sie trug eine Krone, wirklich schön—auf Illustrationen wirkte es, als ragten Kabel daraus. Völlig Fetisch. Ein merkwürdiges Teil, eine mittelalterliche Krone. Fürs Shooting habe ich davon eine Version angefertigt.

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Untragbar: Diese Skulptur schuf Rein für den Promo-Film zu Nicola Formichettis Auftakt bei Thierry Mugler. Foto von Benjamin Huseby.

Danach hielt Nicola die Zusammenarbeit dann am Laufen? Bis du schließlich Teile für Gaga angefertigt hast.
Ich hab so viel für sie gemacht! Fürs „Born This Way“-Cover etwa ein ganzes Outfit. Nick Knight hat das fotografiert, aber am Ende entschieden sie sich dann für ein Bild, auf dem es nicht zu sehen war. Danach sollte ich etwas für Nicos erste Kollektion bei Thierry Mugler machen.

Oh! Was hast du dazu beigesteuert?
Viele Halsketten und Schulterteile. Außerdem das Promotion-Video—ein Werk über die Kollektion, mit einer großen Skulptur von mir. Inspiriert von H. R. Giger und afrikanischer Kunst. Das muss 2011 gewesen sein, als ich schon in Berlin lebte. Danach arbeitete ich an einem weiteren Projekt für und mit Lady Gaga—diesmal mit Steven Klein. Er machte einen Film für ihre Parfüm-Kampagne, für Fame—darin sind meine Visiere/Masken zu sehen. Vorgestellt wurde er dann im Guggenheim-Museum in New York. Das war auch das erste Mal, dass ich so was hatte wie eine Kollektion, ich fand’s spannend, eine Serie von Stücken zu machen.

Warum hast du Holland verlassen, um hier zu leben?
Ich finde Berlin interessant—ich war vorm Umzug schon häufiger hier und stellte fest, dass ich hier sein konnte, wer ich möchte. Die Holländer tun so liberal und aufgeschlossen—etwa gegenüber Homosexualität. Ich wurde aber immer wieder dafür verurteilt. Selbst an der Kunsthochschule, einem sehr kreativen Umfeld also, galt ich immer als: der Schwule. Das war komisch. In Berlin kommt es mir manchmal vor, als lebten hier mehr Homos als Heteros. Diese Sexualität ist auch für mich kein Thema mehr, mir wird nicht ständig ein Spiegel vorgehalten—wie damals in Holland. Das war einer der Hauptgründe für meinen Umzug nach Berlin, nicht vordergründig, um mich gerade hier meiner Kunst zu widmen.

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In der Kampagne wird Lady Gaga von kleinen Maskenmännern bestiegen: Rein-Vollenga-Maskenmännern. Foto von Steven Klein.

Ging es hier für dich reibungslos weiter?
Ich bemerkte die große lokale Kunstszene, die vielen Galerien, von denen die meisten allerdings nicht in junge Künstler investieren wollen. Da habe ich sowieso große Probleme, denn ich verbinde Kunst mit Mode—immer noch ein Tabu. Die Leute finden die Verbindung schwierig, die Galerien auch. In Berlin wiederum leben auch viele Künstler. Häufig erlebe ich, dass sie Unterstützung aus ihren Heimatländern bekommen—davon können sie hier fürstlich leben.

Während du noch immer im Berghain arbeitest.
Es ist verrückt. Manchmal fragen mich Leute, ob ich nicht reich sei? Seht euch die Realität an. Wenige Künstler sind reich, da musst du schon Damien Hirst sein oder sonst wer. Sicher ist es schön, viel Geld zu haben. Aber das ist doch nicht der Grund, weshalb ich Künstler bin. Ich bin glücklich, genug zu haben, um das hier machen zu können. Noch einmal Stichwort Berlin: Viele der Künstler hier hängen einfach rum, habe ich den Eindruck. Ich nehme es ihnen nicht übel, nur manchmal nervt es mich. Auf der anderen Seite gibt es hier kein Geld, um es in die Kunst zu stecken. Ich hatte kaum eine Ausstellung in Berlin—dabei zeige ich meine Arbeiten auf der ganzen Welt.

Gerade hattest du eine Ausstellung in Holland, wie sah das aus?
Die Grote Kerk in Enschede. Ein Festival übrigens, das jedes Jahr ausgerichtet wird—es geht grundsätzlich um Technologie. In diesem Jahr: Technologie und Sex. Bevor die Veranstalter sich an mich wendeten, hatte ich nie davon gehört. Sie boten mir an, in dieser wundervollen Kirche auszustellen. Weil mein Zeug so künstlich und abgefahren ist, fand ich es spannend in einem traditionellen Szenario auszustellen. Das fügt meinem Werk neuen Kontext hinzu—es ist was Anderes, als in einer Galerie auszustellen. Außerdem hatte ich die Freiheit zu tun, was ich wollte. Natürlich fand ich auch das Thema spannend, es gab viel Sexspielzeug und Fetischismus zu sehen.

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Reins Werke, als Gemeinde versammelt in einer Kirche. Während der Ausstellung flackerten hinten im Dunkeln Filmchen. Foto von Roy Te Lintelo.

Wie ist deine Haltung dazu—und was hast du beigetragen?
Sex und Technologie sind breite Themen. Sex kann auch eine Auseinandersetzung mit Geschlechtlichkeit sein—eben nicht nur Porno oder Fetisch. Selbst Fetischismus ist ein so vages Wort und ständig wird es falsch interpretiert. Die Leute denken nur an Leder und Gummi und das ist natürlich falsch. Dasselbe gilt für den Teil der Technologie. Man könnte meinen, es gehe nur um Computer und elektronisches Zeug … Für mich aber ist es alles, was nach der industriellen Revolution kam. Die Art wie ich meine Arbeit jedenfalls betrachte: Ich steh auf die Ästhetik der Massenproduktion. Und ich versuche, dieser Ästhetik so nahe wie möglich zu kommen—mittels meiner Vision und meinen Händen. Häufig denken Leute, dass ich 3D-Drucker verwende. Aber ich fertige recht traditionell. Selbst dieser Widerspruch—Technologie und meine klassische Fertigung—hat mich gereizt.

Hast du eigentlich Leute, die dich mit Geld unterstützen?
Nein. Außer, wenn ich mit Designern arbeite, die investieren dann auch. Größtenteils aber deckt das nur Materialkosten und meinen Aufwand. Grundsätzlich unterstützt mich also niemand—auch würde ich auf so was wie eine Zusammenarbeit nur eingehen, wenn sie mich kreativ reizte.

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