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Der implizite Autor

Ich erahnte ich den Autor verdutzt über seinen Puppen stehen, ausrastend, schreiend, weinend, prügelnd, vergewaltigend, erahnte ihn in all den Zuständen, die ihn so reizen und, die er an seinen Puppen versucht anzuprobieren.

Vor einem Monat sah ich den jungen österreichischen Schriftsteller Clemens J. Setz den Preis der Leipziger Buchmesse entgegennehmen. Seine Dankesrede verlor sich leider in der Glashalle im eigenen Echo. Ich ging dann, wie viele der Herumstehenden, nach Hause und besorgte mir bald darauf sein Buch: Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes. Mittlerweile habe ich es gelesen.

Das Buch umfasst achtzehn Erzählungen, manche kurz, manche länger, manche zu kurz, manche zu lang, manche beinahe großartig, manche beinahe tötend uninteressant. Aber insgesamt liest sich das Buch ein bisschen, wie sich Hickelkasten spielt - mit Leichtfertigkeit durch Himmel und Hölle.

Machmal ist der Wirbel, der um ein Buch entsteht, gar kein Problem. Der Wirbel um Clemens J. Setz und sein angepriesenes Werk begleitete mich aber durch die gesamte Lektüre. Machmal wirbelte ich mich mit diesem Wirbel, machmal gegen ihn, zuletzt über ihm, als Möwe, sozusagen, die versucht darauf zu sch… Auch der Leser muss sich ab und zu konzentrieren, und die Stimmen und die Bilder der Presse gewaltsam zu verdrängen. Was er liest kann ihm dabei behilflich sein, weil es einfach mitreissend ist. Mit dieser Lektüre war mir dabei zu wenig geholfen. Ständig sah ich Clemens’ Autorenbild hinter den Buchstaben zwinkern, und machmal glaube ich, winkte er mir sogar zu. Und wenn ich ihn nicht gerade hinter seinen Buchstaben erahnte, dann erahnte ich ihn in der Dunkelheit über seinen Figuren, über seinen Puppenzwillingsbrüdern und Puppenzwillingsschwestern, die, als ob ihres hölzernen Lebens bewusst, ihm ins Handwerk pfuschen, und sich hier und da einfach tot stellen. Dann erahnte ich den Autor verdutzt über seinen Puppen stehen, erahnte ihn ausrastend, schreiend, weinend, um sich schlagend, prügelnd, vergewaltigend und verschwindend, erahnte ihn in all den Zuständen, die ihn so reizen und, die er an seinen Puppen versucht anzuprobieren.

Der Autor, der Autor, der Autor, er ließ mich nicht los und er ließ mich nicht lesen. Einmal musste ich ihm mir als bettlägerigen Greis vorstellen, dann als masturbierende Frau, mein Gott, er zwang mich sogar ihn mir als Genie des Jahrhunderts vorzustellen, aber bitte, ich hatte ihn doch gesehen, den Autor dieser Geschichten, und ich weiß, dass er diese Dinge nicht ist.

Den Reiz dieses Buches spürte ich nicht in den Erzählungen, sondern an jener Stelle, an der ich mir vorstellen musste, wie und warum Clemens sie geschrieben hat. Das Buch kommt mir vor wie eine unfreiwilliger Riss in der Fassade eines Menschen, den ein wenig ein unverständlicher Wirbel unter die literarische Prominenz gewirbelt hat. Dies ist ein viel zeigender Einblick in eine Schreiber-Seele, und ein genauso viel zeigender Einblick in den Literaturbetrieb. Die Presse, ihrerseits, nahm das Werk wie üblich für bare Münze und zerriss oder umjubelte es anhand seiner Buchstaben. So wurden die Interviews auch immer schön mit dem Schriftsteller, und nicht mit dem Menschen geführt. Was bisher auf der Strecke blieb ist das ungeschminkte Gesicht der Zentralen unsichtbaren Figur dieses Buches: Ein junger Mann aus Österreich, aus Graz, der zwölf Erzählungen aufeinander gestapelt hat um sich dahinter zu verstecken.

Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes, Clemens J. Setz, Suhrkamp