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It's still real to me, damn it! Die VICE Wrestling-Kolumne

Wrestling und VICE - gut geölter Scheiß! Mit Santina Marella, der fiktiven Travestie-Tante im Schweinetrog der Gefühle.

Im Englischen gibt es das Sprichwort "If wishes were fishes, the world would be an ocean". Das ist insofern ein ziemlich blöder Spruch, als er das Gegenteil von dem aussagt, was er im Grunde genommen aussagen will, weil die Welt ja schließlich wirklich ein Ozean ist, also in erster Linie, und man im Umkehrschluss folgern könnte, dass Wünsche demnach tatsächlich Fische sein müssen. Die elementare Botschaft ist im deutschen Äquivalent schon viel besser herausgearbeitet, wenn es dort heißt: "Wenn meine Tante Eier hätte, wäre sie mein Onkel", obwohl ich auch mit diesem Sager so meine Probleme habe.

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Erstens weiß ich nicht, ob der Spruch über die Grenzen der Lust'schen Familientafel wirklich so verbreitet ist, wie seine häufige Erwähnung während meiner Kindheit mir suggeriert hat, und zweitens könnte man dagegen immer einwenden, dass meine Tante auch mein Onkel sein kann, wenn sie keine Eier hat (drittes Geschelcht und so) beziehungsweise, dass mein Onkel ohne jedwede Ei-Abnahme problemlos meine Tante sein kann – zum Beispiel, wenn sein Name Santino Marella lautet und er gerne mal in die Haut seiner fiktiven Schwester Santina schlüpft, von der er sich nur durch das Vorhandensein seiner Monobraue und dem Hang zu Spontan-Spagaten unterscheidet.

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Heute kann ich mit Stolz sagen: Ich war dabei. Und ich habe es überlebt. An manchen trüben Tagen, wenn der Regen wie Applaus gegen die beschlagenen Scheiben plätschert und der Ventilator dazu seine trägen Runden unter der Decke zieht – träge wie meine Gedanken damals bei Wrestlemania, als das Frauen-Match sich seinem Tiefpunkt näherte, träge wie die Bewegungen der schlappen Wrestlerinnen, die das anschließende Duschen kaum noch erwarten konnten, träge wie das Leben, wenn man mit Brüsten in die Welt des Wrestling geboren wird, so träge –, dann fühle ich mich manchmal zurückversetzt in die Hölle von Houston.

In diesen Momenten ist es, als würde das ganze Pay-Per-View noch einmal live von vorne starten. Ich sehe ich die Flammen des Kid Rock-Auftritts und höre die Jubelschreie der falschen Transe, spüre die Verwirrung in meinem sich strangulierenden Samenstrang, rieche den fauligen Duft einer Vince McMahon-Bestrafungsaktion. Aber vor allem erlebe ich – mit meinem ganzen Körper und so, als wäre es gestern gewesen –, wie Santino Marella als Fake-Frau den Titel der ersten und einzigen "Miss Wrestlemania" ergattert. Was wohl (wieder mal) einiges über den Status des Frauen-Wrestling in der heutigen WWE aussagt (mehr dazu hier). Und los:

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Gut, man darf nicht jammern: Schließlich war Wrestlemania 25 auch die Großveranstaltung, bei der es Shawn Michaels vs. The Undertaker (Teil 1) und damit das beste Wrestlemania-Match aller Zeiten zu sehen gab. Aber während diesem ganzen witzlosen Miss Wrestlemania Zirkus war ich doch sehr froh, dass wir unser Familienfläschchen Poppers in die USA geschmuggelt hatten, so viel ist sicher.

Anschließend verhielt es sich mit Santina und Santino zirka so wie mit Jackyll und Hyde, wenn Jackyll eine pummelige Landpomeranze mit Tanz-Tourette und Hyde ein Slapstick-Wrestler mit Monobraue gewesen wäre. Das soll heißen, die zwei tauchten regelmäßig abwechselnd auf, manchmal sogar im Minutenabstand, und obwohl man natürlich wusste, dass sie sich denselben Körper teilten, war zumindest ich mir nie ganz sicher, ob die beiden das eigentlich auch wussten. Aber so ein bisschen Verwirrung ist wahrscheinlich ganz normal, wenn man von Vinnie Mac einmal in der Woche zu Spagaten und einmal im Monat zu so etwas wie Schweinetrog-Kämpfen gegen eine dicke Anti-Ringerin mit Glasschneide-Stimme abkommandiert wird.

DIE TRANSE GEHT SO LANGE ZUM TROG, BIS ES QUIEKT

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich hier irgendwie den Überblick über das verloren, was ich mit dem Beispiel von Santina Marella eigentlich sagen wollte. Wirklich. Bis gerade eben war alles noch klar wie eine 90er-Jahre-Promo von Hulk Hogan ("Ich bin gut, mein Gegner ist böse!"), aber langsam verschwimmen in meinem Kopf nicht nur die Gender-Konturen und alles wird so unklar wie eine 90er-Jahre-Promo des Ultimate Warriors ("Ich komme aus dem Weltall, ihr müsst überleben, Truthahn schmeckt super!"). Hier das Desaster in bewegten Bildern:

Wenn ich dann außerdem daran denke, dass diese ganze Travestie-Darbietung von einem Frauen-Wrestling-Match bei Extreme Rules stattfand und für manche von meinen Freunden tatsächlich der erste Kontakt mit Wrestling seit der Ära von Hogan und dem Warrior war, kommt es mir umso mehr vor, als hätte ich es hier mit einem zehnminüten Troma-Film zu tun, aus dem man nicht sehr viel mehr Weisheit mitnehmen kann als dass Männer, die ihrer Angebteten beim Sex Gewürzgurken in die Vagina einführen wollen, vermutlich ihre Väter im Kerker gefangenhalten und Wrestler in Frauenkleidern, die sich als Zeichen ihrer Männlichkeit eine Brauen-Brücke über die Augen kleben, genauso gut geeignet sind, um etwas über Weiblichkeitsbilder im Wrestling auszusagen, wie aalglatte Schnittchen mit gezupften Gesichtern und schrillen Provinzköniginnen mit Schweinetrog-Allüren.

Dass Santina dabei nicht wirklich weiblich ist, tut eigentlich nicht mehr zur Sache, als die Frage, ob Obama eigentlich "schwarz genug" ist, um "seine Community" zu vertreten. Schließlich stellen beide für sich selbst gar nicht den Anspruch, der ihnen von außen unterstellt wird und sind viel eher deshalb interessant, weil andere sie als Auswüchse übertriebener Anforderungen an Rollenbilder sehen, als dass sie selbst diese Grenzen ziehen würden. Nennt mich strunzdumm (wehe!), aber in meinen Augen ist das was Positives.

Und noch eine positive Sache hat das Hog Pen Match auf jeden Fall: Keine der beiden Kontrahentinnen ist da, um nur zu gefallen. Irgendwie auch mal ganz nett. Und wenn ihr trotzdem drauf steht, auch okay – Wrong Boner müssen manchmal auch sein, wer weiß das besser als ich. So. Mit dem Wissen, dass ich gerade Santina Marella und Barack Obama in ein und demselben Satz erwähnt habe, sage ich genug für heute, bis bald mal und: Mahalo!