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Interviews

Die Arabian Knightz kämpfen mit HipHop gegen das ägyptische Regime

Die ägyptischen Rapper Arabian Knightz sind überzeugt, dass die Revolution in Ägypten noch lange nicht beendet ist.

Januar 2011. Die ägyptischen Volksmassen strömen auf den Tahrir-Platz in Kairo, um gegen den alternden Machthaber Husni Mubarak zu protestieren. Sie haben die Schnauze voll von der 30-jährigen autokratischen Herrschaft, der Korruption und der ständigen Gängelung durch die Polizei und die Sicherheitsbehörden. Sie fordern Freiheit und demokratische Wahlen. Mit dabei auch ein paar junge Männer, die nur mit Gitarre und Mikrophon bewaffnet sind. Ramy Essam liefert mit dem Song „Irhal“ (Hau ab!) die ultimative Hymne für die Protestbewegung, MC Amin erlangt als Sprachrohr der Bevölkerung große Bekanntheit und „Rebel“, der Song des HipHop-Trios Arabian Knightz, findet internationale Beachtung. Für einen kurzen Moment sah es tatsächlich so aus, als könnten die Musiker die Welt aus den Angeln heben.

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Heute, vier Jahre nach der großen Revolution, ist die Lage in Ägypten allerdings schlimmer als je zuvor. Nach der unglücklichen und ungeliebten Präsidentschaft des Muslimbruders Mohammed Mursi ist das alte Militärregime zurückgekehrt. Präsident As-Sisi regiert das Land mit eiserner Hand. In einem großen Prozess wird Husni Mubarak von allen Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, freigesprochen, während die Vorkämpfer der Revolution von 2011 im Gefängnis sitzen.

Anlässlich eines Konzerts in Berlin, sprachen wir mit Ramy Essam und MC Rush von den Arabian Knightz über Revolutionen, ihre Auswirkungen und welche Fehler man beim nächsten Mal unbedingt vermeiden sollte.

Ramy Essam: Oh, das Interview ist auf Englisch. Zum Glück hat sich mein Englisch sehr verbessert, seitdem ich in Europa bin. Ich habe ein Stipendium bekommen und lebe jetzt seit einem halben Jahr hier. Das hat auch gut gepasst, weil ich ansonsten noch zum Militär hätte gehen müssen.

Willst Du gar nicht mehr zurück nach Ägypten?
Ramy Essam: Doch. Wenn ich dreißig bin, gehe ich zurück. Dann kann ich nicht mehr eingezogen werden. Ich bin jetzt 28. Zwei Jahre kann man aushalten.
Rush: Militärdienst in Ägypten ist nicht cool. Ich war schon über dreißig, als die Revolution ausbrach. Ich hatte Glück.

Aber sind damals während der Revolution auf dem Tahrir-Platz nicht auch Truppenteile übergelaufen und haben sich mit der Bevölkerung solidarisiert?
Rush: Das sah so aus, aber das war ein Trick.
Ramy Essam: Ich versuche das mal kurz zusammenzufassen, was damals passiert ist. Das Militär wollte nicht, dass Mubaraks Sohn Gemal an die Macht kommt und hinter vorgehaltener Hand waren die sehr froh darüber, was da auf den Straßen passiert ist. Die haben natürlich nicht die Revolution unterstützt, aber die wollten Mubarak weg haben. Die haben sich das aus der Ferne angeschaut und auf den richtigen Moment gewartet, um sich als Retter des Landes zu präsentieren.

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Würdet ihr dann vom heutigen Standpunkt aus sagen, dass das alles vom Militär geplant war?
Ramy Essam: Nein, das haben wir von Anfang an gesehen…
Rush: … und wir wussten von Anfang an auch, dass die Muslimbrüder als nächstes an die Macht kommen würden, auch wenn wir keinen einzigen kennen, der sie gewählt hat. Aber die sind sehr stark auf dem Land. Die sind sehr tief in der ländlichen Bevölkerung verwurzelt. Die Muslimbrüder sind eine sehr alte soziale Bewegung, die Jobs verteilen und wissen, wie man Stimmen kauft. Das ist eine richtige Parallelgesellschaft. Die sind ein bisschen wie die Mafia.
Ramy Essam: Die hatten fünf Millionen Unterstützer, damit haben sie auch die Wahlen gewonnen. Jetzt haben sie keine mehr. Jetzt sind nur noch ihre eingetragenen Mitglieder übrig, das sind ungefähr 800.000.

Warum haben sie die Unterstützung verloren?
Ramy Essam: Auf der einen Seite sind die Leute wirklich enttäuscht von ihnen, da sie ihr wahres Gesicht gesehen haben. Auf der anderen Seite darf man aber auch nicht vergessen, dass das Militär die Medien kontrolliert und eine sehr gute Propaganda gegen die Muslimbrüder macht.
Rush: Das haben die ja schon gemacht, als Mursi noch Präsident war. Da hat das Militär auch schon großen Einfluss auf die Medien gehabt und es hat die Medien gegen den Präsidenten eingesetzt, als der Präsident noch da war.
Ramy Essam: Das Militär macht die schlimmen Sachen noch schlimmer.

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Wer ist der Schlimmste: Mubarak, Mursi oder As-i?
Ramy Essam: Alle sind scheiße. Mubarak war ein Militärregime und wir kehren jetzt zurück zum alten System. El-Zizi ist ein richtig verrückter Nasser-Fan, er benutzt die alte Rhetorik und er zieht die ganze Zeit die Terrorismuskarte. Alles, was er durchsetzt, wird mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet.
Rush: Die Terrorismussituation im Mittleren Osten ist sehr, sehr undurchsichtig. Ich habe Freunde aus dem Filmbusiness, die sagen, dass die Verbrennung des jordanischen Soldaten durch den IS aussieht, als wäre sie gestellt gewesen.
Ramy Essam: Warum sollte das gestellt sein? Der IS macht doch sowieso die ganze Zeit lauter verrückte Sachen, da braucht man doch nicht noch extra was stellen, um zu zeigen, dass die irre sind.
Rush: Aber es gibt Regierungen, denen das ganz gut passt, dass es diese Gefahr gibt. Außerdem sehen die vom IS doch sowieso so aus, als wären sie von einem amerikanischen Hollywood-Regisseur trainiert worden. Guck dir mal die Rolex-Uhren an und das ganze Bling Bling Zeug, was die präsentieren. Oder die Sklavenmärkte. Ganz ehrlich, das ist Indiana Jones. Das ist doch nicht Islam. Das ist doch ein Film.
Ramy Essam: Kann ja alles sein, aber im Endeffekt könnte der IS der Grund sein, einen dritten Weltkrieg anzufangen.
Rush: …von dem dann alle möglichen Regierungen profitieren würden.

Wie ist das, wenn man in einem Land lebt, das seine ganz eigenen politischen Probleme hat, aber da die ganze Zeit auch noch jede Menge Global Player rumlaufen, die ebenfalls mitmischen?
Rush: Die gesamte Region ist ein Spielfeld für alle möglichen Akteure und es ist sehr einfach, paranoid zu werden. Unser Land ist definitiv ein Ziel aller möglichen Interessen. Da sind die Saudis, da ist Katar, da ist der Iran und da sind die Israelis. Und die Amerikaner sind sowieso die ganze Zeit da.
Ramy Essam: Aus Saudi-Arabien kommt ja auch diese neue Version des Islam, die eine große Gefahr darstellt, Wahabismus und Salafismus. Das kommt alles aus Saudi-Arabien und das hat in den letzten Jahren viel kaputt gemacht. Viel Kultur wurde so zerstört und führt dazu, dass die Leute heute gar keine eigene Identität mehr haben.

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Um nochmal auf die Ereignisse im Jahr 2011 zurückzukommen. Wenn ihr heute zurückschaut und nach all dem, was ihr heute wisst, würdet ihr trotzdem sagen, dass die Revolution von damals eine echte Revolution war?
Ramy Essam: Keiner kann bestreiten, dass es ein Revolution war. Ich würde sogar sagen, dass es die einzige echte Revolution während des arabischen Frühlings war. Sie war groß und hat sehr lange gedauert. Jeder, der die Erfahrung gemacht hat, trägt die Erfahrung der Revolution im Herzen. Die Revolution wird wieder kommen und wir werden besser organisiert sein. Am Anfang waren wir Träumer und wir waren sehr optimistisch, dass wir Ägypten innerhalb eines Jahres verändern könnten. Dann waren wir enttäuscht darüber, dass sich doch nichts geändert hat. Aber es war eben unsere erste Revolution. Wir hatten halt keine Erfahrung.

Welche Fehler wurden gemacht? Warum seid ihr nicht in Positionen gekommen, in denen ihr wirklich was verändern hättet können?
Rush: Wir hatten keine Chance.
Ramy Essam: Den ersten und größten Fehler, den wir gemacht haben, war, dass wir den Platz verlassen haben, als Mubarak zurückgetreten ist. Wenn wir diesen Fehler nicht gemacht hätten, dann hätten wir vielleicht sogar gewinnen können. Das Problem war ja eigentlich das Militärregime und nicht Mubarak. Aber die Geheimdienste waren sehr schlau und sie haben eine große Propagandakampagne gestartet, in dem sie den Konflikt auf einen Slogan zugespitzt haben: Das Volk gegen Mubarak. Besonders in den letzten zehn Tagen des Protests, als sie gemerkt haben, dass die Regierung verlieren wird, sind sie auf den Kurs eingeschwenkt, dass Mubarak weg muss. Damit waren sie sehr erfolgreich und als Mubarak dann gesagt hat, dass er raus ist, hat jeder gedacht, dass wir es geschafft hätten.
Rush: Das war aber gar nicht der echte Feind. Der echte Feind war das Militär.
Ramy Essam: Danach war es dann für die Gegenseite sehr einfach, uns zu spalten. Wir hatten keine Führer und wenn ich Führer sage, dann meine ich nicht unbedingt eine Person. Wir hatten keine Idee, was danach kommen sollte. Wir hatten keine Vision. Wenn wir irgendwas aus dieser Zeit gelernt haben, dann dass man den Leuten eine Alternative anbieten muss. Als Mubarak an der Macht war, haben wir „Nieder mit Mubarak“ geschrien. Dann haben wir „Nieder mit der Militärdiktatur“ gerufen, dann „Nieder mit der Muslimbruderschaft“ und jetzt rufen wir „Nieder mit Sisi“ Aber wenn du irgendjemand von uns fragst, was nach dem „Nieder“ kommt…
Rush: …hat keiner eine Antwort.

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Das klingt aber eher danach, dass da ein politisches Programm gesucht wird. Du hast angedeutet, dass dieses Programm auch von Seiten der Kulturschaffenden kommen könnte. Inwiefern?
Rush: Ich denke, dass Künstler eine große Verantwortung haben, weil wir andere Mittel nutzen können. Die politischen Aktivisten, die auf dem Tahrir-Platz waren, müssen sich organisieren, politische Parteien gründen und gucken, wie sie die politische Macht auf der Straße bekommen können. Dabei können wir mit unserer Musik helfen, weil wir mehr Leute erreichen, als Politiker.
Ramy Essam: Von den guten Aktivisten, die wir in den letzten Jahren hatten, sind die meisten im Gefängnis und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie dort über politische Alternativen nachdenken. Ich selbst bin zwar auch ein Widerstandsaktivist, aber das kann ich nicht. Das ist nicht meine Rolle. Jeder muss mit den Waffen kämpfen, die er hat. Wir haben die Musik. Das ist unsere Waffe.

Habt ihr Angst?
Rush: Ja, deshalb redet auch Ramy so viel, weil er nicht nach Ägypten zurück muss. Wir achten schon sehr darauf, was wir sagen, aber wir denken auch, dass sie aus uns keine Märtyrer machen wollen. Unsere Botschaft würde noch größer und stärker werden, wenn sie uns ins Gefängnis werfen würden.

Kann Musik die Welt verändern?
Ramy Essam: Definitiv.
Rush: Hat sie ja schon gemacht. Vielleicht ist es schwierig, sofort alles umzuwerfen, aber vielleicht schaffen wir es ja, heute diejenigen zu inspirieren, die morgen die Welt regieren werden. Worte sind sehr mächtig. Mit Worten kann man die Welt verändern. Der Prophet Mohammed hat den Leuten auch nur Worte präsentiert und damit die ganze Welt verändert. Der Koran, das sind Worte und auch Zauberei und Magie sind nur Worte. Du sagst „Hokus Pokus“ und irgendetwas passiert. Worte haben mehr Kraft als Waffen. Steht ja auch in der Bibel: Am Anfang war das Wort und selbst der Urknall war nur ein Sound: „Bang!“
Ramy Essam: Ich habe damals auf dem Tahrir Platz eine ganz spezielle Erfahrung gemacht. Ich habe zwar immer an die Macht der Musik geglaubt, aber nachdem, was ich dort erlebt habe, ist dieser Glaube unglaublich gewachsen. Es kamen sehr, sehr viele Leute zu mir und erzählten mir, dass sie angefangen haben, anders über die Dinge zu denken, nachdem sie diesen oder jenen Song von mir gehört hatten. Wir haben durch die Musik heute definitiv eine neue Generation in Ägypten, die anders denkt als vor der Revolution. Das ist die wichtigste Veränderung in der ägyptischen Gesellschaft und deshalb dauert die Revolution im Übrigen immer noch an. Die Revolution ist noch lange nicht beendet.

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