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Thomas Azier findet, dass Musik nicht immer schön sein muss

Thomas Azier hat bereits mit Casper zusammengearbeitet, jetzt hat der in Berlin lebende Niederländer in einer alten sowjetischen Fabrik sein Debütalbum aufgenommen.

Foto: Johannes Walther

Thomas Azier hat mit dem Sound seines Elektro-Pops, der fast schon futuristisch klingt, seine Nische—oder seinen „Rahmen“ wie er es nennt—gefunden und sich die letzten Jahre langsam aber sicher als respektierter Musiker etabliert. Einfach war der Weg bis an die Spitze aber nicht. Angefangen hat alles in einem kleinen Ort der Niederlanden, wo Thomas aus Langeweile anfing, Musik zu machen, bevor er sich mit 19 Jahren mit einem Haufen Ambition im Gepäck auf den Weg nach Berlin machte, der Insel der Verrückten und Kreativen, der er ein Stück seiner Kreativität schenken wollte, anstatt hier wie jeder dritte Tourist die Clubszene auszunutzen, Vodka-Mate zu süffeln und einfach nur vor Ort die laissez-faire-Attitude der Stadt zu genießen. Seine beiden EPs Hylas 001 und Hylas 002, die er eigenhändig schrieb und mit ein wenig Hilfe seines Freundes, Co-Produzenten und Sound-Designers Robin Hunt aufnahm und vor zwei Jahren veröffentlichte, waren nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte—tausende Fans, eine Tour mit Woodkid und ein Album, das die Geschichte des 25-jährigen Künstlers erzählen sollte, ohne auch nur das kleinste Detail auszulassen.

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Ich traf den äußerst interessanten und sympatischen Musiker an einem äußerst außergewöhnlichen Ort—seinem Studio. Klar, ein Studio allein ist nichts außergewöhnliches, aber ein Studio, das vor Jahrzehnten die Geräumlichkeiten eines Betriebsarztes waren, schon. Denn das Gebäude in dem Thomas seit ein paar Jahren seine Musik macht, ist eine alte sowjetische Fabrik, eine ehemalige Gießerei, in der auch Glocken für den Moskauer Kreml hergestellt wurden. Ein riesiger Komplex, drei leerstehende Etagen, unendlich viel Platz—der perfekte Ort für einen Künstler, um ein Album zu produzieren.

YNTHT: Du hast mal gesagt, dass du für den Sound deines neuen Albums hauptsächlich die Fabrik benutzen willst. Wie war das gemeint?
Thomas Azier: Bevor ich anfange, das zu erklären, muss ich mit dir über Rahmen sprechen. Wie für bildende Kunst muss man in der Musik einen Rahmen finden, in den die Musik passt. Heutzutage sind Künstler überfordert, weil es zu viele Optionen gibt. Als ich mit 18 nach Berlin gezogen bin, war mir bewusst, dass ich zu viele Optionen hatte. Ich musste erst herausfinden, welche möglichen Rahmen ich benutzen kann. Mein Ziel war es, mit Popmusik so schnell wie möglich auf den Punkt zu kommen, was natürlich sehr schwierig ist—versuch mal in 16 Bars deine Geschichte zu erzählen. Man hat wenig Platz, um viel zu erzählen. Popmusik war für mich ein Tool, um meine Geschichte und Gefühle auf den Punkt zu bringen. Popmusik war mein erster Rahmen.

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Und der zweite Rahmen?
Die Songs für mein Album hatte ich an zehn verschiedenen Orten in Berlin geschrieben, weil ich oft umgezogen bin, bevor ich die Fabrik in Lichtenberg entdeckte. Die Fabrik wurde mein zweiter Rahmen. Ich wollte so wenig wie möglich mit dem Computer machen. Ich wollte, dass der Sound von dem Ende eines Raumes durch die Luft geht und am anderen Ende des Raumes aufgenommen wird. Wir haben das Equipment in alle möglichen Ecken gestellt und die Sounds durch die leeren Hallen schießen lassen. Da kriegst du automatisch einen großen Sound, und das war auch der Blueprint des Albums.

Also war die ganze Fabrik euer Studio.
Richtig. Dieser Raum, in dem wir gerade sitzen, ist nicht das richtige Studio, das ganze Gebäude ist das Studio. Hier hatte damals der Betriebsarzt sein Büro. Als ich zum ersten Mal diesen Raum betrat, standen hier Spinde herum, in denen noch Bilder von nackten DDR-Frauen hingen.

Was war denn das Verrückteste, was ihr in der Fabrik aufgebaut und dann aufgenommen habt?
Zum Beispiel ist am Anfang von „Shadows of the Sun“ ein Fahrstuhl zu hören. Das ist der Aufzug, der hier gleich nebenan ist. Ich habe auch im Aufzug gesungen. Außerdem haben wir Geräusche von alten Maschinen aus der DDR aufgenommen. Die standen hier alle noch rum. Ich habe durch diese ganzen Geräusche gelernt, meine Stimme anders zu nutzen. Das laute Geräusch einer Maschine hat mich zum Beispiel dazu verleitet, mehr mit meiner Stimme zu machen, zu versuchen, Geräusche mit meiner Stimme zu imitieren. Es muss nicht immer alles so sein wie bei Deutschland sucht den Superstar, wo den Leuten beigebracht wird, die Töne richtig treffen zu müssen, um ein guter Sänger zu sein. Die Fabrik hat mir beigebracht, dass Musik nicht immer schön sein muss.

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Wie entdeckt man denn so eine Fabrik?
Die hat mein guter Freund und Co-Produzent Robin entdeckt und mir sofort davon erzählt. Ich war damals auf der Suche nach einem Studio und als er mit der Fabrik-Idee kam, habe ich erst mal Nein gesagt, weil ich wusste, dass es mindestens drei Jahre dauern würde, bis hier Musik gemacht werden kann. Hier war nichts. Also hat Robin angefangen, Renovierungsarbeiten zu machen. Nach zwei Jahren war hier zwar immer noch alles eine große Baustelle, aber es fing an, nach etwas auszusehen. Und dann haben wir angefangen, hier Musik zu machen, weil ich damals einfach zu viel Geld für Studio-Sessions bezahlen musste.

Eben hast du erzählt, dass du Songs an vielen verschieden Orten geschrieben hast.
Ich habe erst in einem besetzten Haus auf der Landsberger Allee gewohnt, wo ich „Red Eyes“ und „How To Disappear“ geschrieben habe. Auch in der Kienitzer Straße in Neukölln, der Swinemünde Straße in Prenzlauer Berg und der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Ich habe an vielen verschiedenen Orten Berlins geschrieben.

Hatte das einen speziellen Grund?
Hauptsächlich, weil ich da gerade wohnte. Es war einfach scheiße schwierig, die richtige Wohnung zu finden. In Berlin gibt es viele Leute, die nicht so seriös sind und nur hier sind, um Party zu machen. Für mich war das immer schwierig, weil ich damals mit großen Ambitionen herkam. Das hat mit meinen Mitbewohnern einfach nie richtig gepasst. Dann habe ich versucht, allein zu wohnen, was aber auch schwierig war. Also bin ich am Ende einfach viel umgezogen.

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Du kommst ursprünglich aus Holland. Was hat dich denn damals nach Berlin gezogen?
Ich mache viel aus Intuition, auch in meiner Musik. Ich hatte damals eine starke Intuition, dass ich nach Berlin kommen muss. Also bin ich 2007 hergekommen, in der Hoffnung, hier eine Szene mit Leuten zu finden, die mich verstehen. Ich habe diese Szene aber nicht gefunden. Ich habe mich hier wie ein Fremder gefühlt. Ich war auf der Suche nach einer Art von Schönheit in meiner Kunst, im Gegensatz zu den vielen Menschen, die herkamen, um zu feiern, zu ficken und keine Ahnung was zu machen. Für mich war Berlin wie ein Phönix, der aus der Asche emporgestiegen war. Anfangs war ich so hoffnungsvoll, hatte das Gefühl, viele Leute würden herkommen, um sich ein neues Leben aufzubauen, wir alle seien Teil einer neuen Generation, die in der Stadt nach Schönheit sucht. Aber dann wurde mir klar, dass gerade in der Musikszene alles nichtsagend war. Menschen machen sich nur Gedanken um ihr Image, haben Angst, von anderen beurteilt zu werden und machen nur noch Musik, um Musik zu machen. Ich war auf der Suche nach Kommunikation in der Musik. Aber du kannst dein Herz nicht auf einer Platte ausschütten, weil Leute die Platte sofort nehmen und kaputtstechen werden. So etwas wie Emotion ist in Musik komplett verloren gegangen.

Deine Musik ist aber voller Emotionen. Wie hast du es denn geschafft, dich geraede mit deinem poppigen, emotionalen Sound in einer Stadt zu etablieren, die hauptsächlich für ihre minimalistische Techno-Szene bekannt ist?
Erst wurde ich lange Zeit nicht akzeptiert. Deswegen habe ich mich auch so alleine gefühlt und musste alles alleine machen, bis ich Robin kennenlernte. Als ich in Berlin anfing, wurden Vocals in Elektro überhaupt nicht akzeptiert. Vor fünf Jahren war poppiger Elektro einfach nicht cool, und auch jetzt finden manche Clubs es noch scheiße. Aber für mich war es nichts anderes als ein Rahmen, mein Spielplatz. Was mir damals auffiel, als ich meine ersten Club-Gigs um 5 Uhr morgens spielte, war, dass die Leute sich am nächsten Tag an mich erinnerten und nicht an die Techno-DJs, die vor mir gespielt hatten. Ich habe die Club-Auftritte als Chance genutzt, Songs einfach auszuprobieren und später im Studio wieder zu bearbeiten. Im Club sagten manche „Fuck this“, andere „Okay, cool“, dadurch versuchte ich herauszufinden, was ich spielen und nicht spielen kann.

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Wann hattest du hier denn deinen ersten Gig?
Das war 2008 im Tacheles. Das gibt es ja mittlerweile nicht mehr. Da haben Leute während des Gigs meine Sachen geklaut.

Deine erste EP kam also erst vier Jahre nach deinem ersten Gig raus. Hast du dir die Zeit gelassen, weil du Angst davor hattest, etwas zu veröffentlichen?
Ich hatte 2008 einfach noch nichts zu sagen. Ich war mit meiner Geschichte noch nicht fertig. Ich wollte etwas in der Popmusik finden, das etwas aussagt. Meine Geschichte sollte authentisch sein. Was bringt es denn, etwas zu veröffentlichen, ohne der Kunst etwas Neues beizusteuern? Wo steckt da der Sinn? Leute warten zu selten darauf, mit ihrer Geschichte fertig zu werden. Wir ertrinken in einem Meer von Mittelmäßigkeit, weil Leute sich nicht mehr die Zeit nehmen, um Musik zu machen, die echt ist. Jeder ist heute Musiker. Anfangs habe ich Leute über Craigslist kennengelernt, die nur hier waren, um Party zu machen und drei Monate später wieder zu verschwinden. Genauso wie manche nach Indien gehen, um Spiritualität zu kaufen, kommen Leute nach Berlin, um Kredibilität zu kaufen. Viele kommen, um sich von Berlin etwas zu nehmen. Ich bin gekommen, um Berlin etwas zu geben.

Interessant zu hören, wie du versuchst, die Stadt mit deinem musikalischen Beitrag zu verändern. Auf deinem neuen Album Hylas geht es passenderweise um Veränderung.
Stimmt. Es geht um konstante Veränderung, etwas, was die ganze Stadt für mich repräsentiert. Mein Album ist für mich eine Ode an Berlin. Berlin durchgeht eine konstante Metamorphose, die auch mein Körper und ich konstant durchgehen.

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Im Gegensatz zu Hylas 002 hört sich der Sound auf Hylas hoffnungsvoll und erhebend an, auch wenn mal ein leichter Hauch Verzweiflung aufkommt.
Freut mich, dass du das sagst, denn genau dieses Spiel zwischen Hoffnung und Verzweiflung habe ich gesucht. Damit kommen wir darauf zurück, was ich vorhin gesagt habe: Als ich nach Berlin kam, hatte ich ganz viel Hoffnung, mit der zweiten EP wurde diese Hoffnung aber immer dunkler, weil ich einfach zu lange alleine war. Das war für mich keine gute Zeit. Ich war zwei Wochen lang alleine in meinem Zimmer und habe mich manchmal wie der Käfer aus Kafkas Verwandlung gefühlt, der die ganze Zeit auf seinem Rücken liegt. Ich war sehr ängstlich, alleine, kannte nicht viele Leute, und mich einfach obsessiv auf dieses Album konzentriert. Vielleicht sogar zu obsessiv. Ich war Tag und Nacht damit beschäftigt. Am Ende wurde das Album eine Zusammenfassung meiner letzten fünf Jahre und im Endeffekt hoffe ich, dass ich mit dem Album die Balance gefunden habe. Dass du das sagst, bestätigt das.

Ich war erstaunt zu sehen, dass du an Caspers Album XOXO gearbeitet hast.
Krass, dass du das weißt. Mein Name steht nämlich gar nicht in den Credits. Die Leute von Caspers Label kennen mich und haben gefragt, ob ich was für Caspers Album schreiben kann. Für mich ist Musikschreiben ein Handwerk, das man jeden Tag tätigt, um besser zu werden. Deswegen nehme ich solche Jobs immer an, um weiterzulernen. Also habe ich etwas für sein Album geschrieben, ohne zu wissen, ob es auf dem Album landen würde. Als ich mir das Album dann kaufte, waren meine Vocals auf „Lilablau“ zu hören.

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Um noch mal auf die Berliner Musikszene zurückzukommen: Fühlst du dich mittlerweile von ihr akzeptiert?
Ich fühle mich akzeptiert, aber finde nicht, dass es wirklich eine Szene gibt. Zumindest habe ich diese Szene damals nicht kennengelernt, weil ich allein in meiner Blase gelebt habe. Es gehörten zwar viele coole Leute zur elektronischen Szene, ich habe da aber nicht richtig reingepasst.

Thomas Aziers Debütalbum Hylas erscheint morgen bei Caroline/Universal. Bestellt es bei bei iTunes oder Amazon.

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