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Veganismus

Wieso Männer Angst vor vegan haben

Ist eine auf Pflanzen basierende Ernährung nur was für Pussys? Wir haben nachgefragt.

Im Westen sind fleischlose Ernährungsweisen weiter auf dem Vormarsch. Angefangen mit den UN und dem amerikanischen Dietary Guidelines Advisory Committee, die eine auf ausschließlich Pflanzen basierte Ernährung empfehlen, bis zur stetig steigenden Verfügbarkeit von veganen Produkten im Handel, Gemüse ist „in". Aktuelle Statistiken aus den USA belegen jedoch, dass es insgesamt betrachtet wenig Vegetarier gibt, von denen 60% weiblich und 40% männlich sind. Und noch weniger ernähren sich vegan, eine mit 79% fast ausschließlich weibliche Angelegenheit.

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Wie mit allem Anderem im Leben spielen auch hier die politischen Machtstrukturen eine Rolle, ganz besonders deutlich bei den auf Pflanzen basierten Ernährungsweisen. Vegetarische oder sogar vegane Optionen auf Speisekarten sind mittlerweile zum Standard geworden, trotzdem muss man keine feministische Verschwörungstheoretikerin sein, um festzustellen, dass Geschlechterrollen eine wichtige Rolle bei der Erklärung des Unterschieds zwischen den Geschlechtern bei der Verbreitung von fleischlosen Ernährungsweisen spielen.

Darauf können sich zumindest zwei grundverschiedene Experten einigen. Da wäre zum einen John Joseph, der Frontmann der legendären Hardcore-Punk-Band Cro-Mags, Ironman-Triathlet und Autor des Buches Meat is for Pussies. Zum anderen die radikal-feministische Theoretikerin Carol J. Adams, Autorin des Buches The Sexual Politics of Meat. Beide argumentieren, dass die Verbindung von Männlichkeit und Fleisch ein wichtiger Faktor bei der Wahl der Ernährung von Männern ist.

„Jahrelang haben Typen einfach beim Thema Gesundheit gepennt", sagt Joseph. „Es ist dieses Klischee, dass Fleisch etwas Machohaftes ist; es ist Eiweiß und wahre Männer essen Fleisch. Aber diese Lebensmittel verursachen bei genau diesen echten Männern die unterschiedlichsten Krankheiten, Herzinfarkte und Erektionsstörungen; ihre Schwänze funktionieren dann nicht mehr richtig."

Dass sein Buch Meat Is For Pussies nicht gerade gut von Feministen aufgenommen wurde, gibt Joseph zu. „Aber es hat dazu beigetragen, dass unzählige Tierleben gerettet wurden", sagt er. „Typen in Gefängnissen, Kämpfer und Hooligans werden Veganer … diese Zielgruppen erreicht keiner von denen. Und ihr hängt euch an einem Wort auf? Männer sind Dickköpfe. Sie brauchen jemanden, der ihre Sprache spricht", erklärt er.

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„Fleischkonsum macht dich nicht mutig, es macht dich zu einem Schlappschwanz. Deswegen habe ich mein Buch Meat Is For Pussies genannt. Diese Botschaft verstehen die Typen."

Während Joseph eine dem Gemüse argwöhnisch eingestellte männliche Zielgruppe anspricht, hat Adams einen ganz anderen Ansatz. „Die dem Fleischkonsum zu Grunde liegenden Machtstrukturen sehen so aus, dass Männer Fleisch essen müssen, um männlich zu wirken", sagt Adams. „Trotzdem wurde bewiesen, dass Leute auch ohne den Konsum von Fleisch oder tierischen Produkten gesund und glücklich sind. Es gibt eine dominante Kultur, die Männer, die von dieser Norm abweisen und Veganer werden, zur Zielscheibe von Hohn und Spott machen", erklärt sie.

Adams ist nicht auf den Zug aufgesprungen, sondern untersucht das Problem schon lange bevor fleischlose Optionen auf Speisekarten üblich wurden. Ihr Buch über die Beziehung zwischen Frauenfeindlichkeit und Fleisch feiert mittlerweile seinen 20. Geburtstag und ist zu einem Standardwerk für Feministen und Tierrechtsaktivisten gleichermaßen geworden.

„Eine Art diese Machtstrukturen durchzusetzen besteht in der Erwartungshaltung an die Ernährungsweise von heterosexuellen Männern; sobald sie Lebensmittel essen, die mit Frauen assoziiert werden, wie zum Beispiel Tofu, wird das hinterfragt. Genau wie ein Stück Tofu für Veganismus steht, steht der Fleischkonsum von Männern für das Konsumieren von Frauen. Ein Problem mit dem Fleischkonsum ist die Zerlegung des Tieres, da wird ein Fuß, ein Schenkel oder eine Brust gegessen. Es geht nicht um das ganze Tier. Wie ich in meinem Buch schreibe, führen Objektivierung und Zerlegung zu diesem männlichen Konsumverhalten. Der Verzicht auf Fleisch bedeutet in unserer Kultur nie bloß nur den Verzicht auf ein Produkt", sagt sie. „Es geht um den Verzicht auf all das, was er repräsentiert."

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Da ist es nicht überraschend, dass Männlichkeit ein Hemmnis für einen veganen Lebensstil darstellt. Wie kann dann Veganismus als eine Möglichkeit, besonders für Männer, vermittelt werden?

Interessanterweise gehen Josephs und Adams Vorschläge in dieselbe Richtung: Wir sollten die Art und Weise, wie wir über Veganismus sprechen, verändern, besonders wenn es ums Essen geht.

„Für Männer ist das Wort „vegan" fast so etwas wie ein Schimpfwort. Wenn du also willst, dass mehr Männer vegan essen, dann nenne es nicht vegan", sagt Joseph. „Keiner mag es, gesagt zu bekommen, was man zu tun oder zu lassen hat. Koche ein leckeres Abendessen für drei oder vier Leute, die werden das Essen lieben und mit anderen darüber reden."

Auch Adams will kein großes Gewese darum machen: „Wenn du Leuten veganes Essen servieren kannst, dann tue es – aber lass dich dafür nicht feiern. Lass einfach jemanden ein leckeres veganes Gericht essen, nicht wissend, dass es vegan ist. Dann lernen sie es kennen. Dadurch entwickeln sie ein Bewusstsein, mit dem sie selbst urteilsfähig werden und über ihr Verhalten nachdenken können."

Für Joseph entsteht durch eine vegane Lebensweise ein höheres Gesundheitsbewusstsein. „Wenn du mit dem Fleischessen aufhörst und keinen Scheiß mehr in dich reinstopfst, fängst du an, dich um deine Gesundheit zu kümmern. Du wirst bewusster; damit geht eine größere Positivität und weniger Aggressivität einher", sagt Joseph.

„Ein Aspekt beim Veganismus ist die bewusste Entscheidung, dass dir dein Körper, die Tiere und die Umwelt wichtig sind. Das ist etwas sehr Positives. Alles, was zu einer mitfühlenderen und achtsameren Gesellschaft beiträgt, ist gut", sagt Adams.

Auf dem Weg dahin gibt es aber noch ein paar Hindernisse, inklusive Josephs Gebrauch des Wortes „Pussy". „Momentan steht das Wort „Pussy" für „Schlappschwanz", „feige" und bezeichnet umgangssprachlich die weiblichen Genitalien. Also Frau gleich Feigling", stellt sie fest. „Um zu einer bewussteren Ethik zu gelangen, müssen wir Anteilnahme als Lebensweise etablieren. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Leute, die sich kümmern, auch wohl fühlen können. Anteilnahme wird mit Frauen assoziiert, als feminin betrachtet. Wir werden „Baby" genannt und uns wird gesagt, „erwachsen zu werden" – wir werden verweiblicht. Wie können wir für eine Ethik eintreten, die weiblich orientiert ist, wenn gleichzeitig Frauen kleingemacht werden?", mahnt Adams.

Was ist letztendlich so schlecht daran, leckere, gesunde Sachen zu essen und dadurch positiver und bewusster zu werden? Das ist doch etwas, was außer der Fleischindustrie kaum jemand ablehnen kann.