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Cryptome.org: „Alle Snowden-Dokumente sollten frei zugänglich sein“

Wir haben mit den Betreibern von Cryptome gesprochen, die seit 1996 mit ihrer eigenen Web-Plattform für Informationsfreiheit kämpfen. Momentan kannst du auf dem Wikileaks-Vorbild über 71.600 geleakte Dokumente finden.
Bild: thierry ehrmann / Flickr | Lizenz: CC BY 2.0

„Informationen wollen frei sein“ lautet ein altes Credo der Netzgemeinde aus den 1980er Jahren. Lange bevor Snowden und Wikileaks Schlagzeilen machten begann Cryptome bereits 1996 mit einem Mailingservice und einer Webseite, das Konzept im Internetzeitalter umzusetzen.

Die Gründer von Cryptome, John Young und Deborah Natsios, bezeichnen ihr Projekt als eine „digitale Sammlung“. Auf der riesigen Halde geheimer Dokumente findest du die Namen von MI6-Agenten, Daten zu nuklearer Technologie und unzählige weitere faszinierende Informationen in derzeit 71.600 Dokumenten aus den vergangenen zwei Jahrzehnten.

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Auch alle Informationen über die Berichterstattung der Snowden-Dokumente hat Cryptome festgehalten und schließt daraus, dass von den geschätzten 250.000 Dokumenten lediglich ein Prozent das Licht der Öffentlichkeit gesehen hat. Das geht Young und Natsios aber nicht weit genug. Sie fordern die vollständige Veröffentlichung des Snowden-Archivs.

Request to Involved Citizens for Accounting and Release of Snowden Docs: http://t.co/gAFKhiupfc

— Cryptome (@Cryptomeorg) July 15, 2014

Ich habe Young und Natsios angerufen, um mir von ihnen selbst berichten zu lassen, warum sie diese Forderung erheben und mich mit ihnen über den aktuellen Stand der Debatten um Informationsfreiheit unterhalten.

Als Cryptome Mitte der 1990er Jahre als leere, einfache Webseite begann, gab es schlicht und einfach noch nicht viele Wege, um Informationen im WWW zu publizieren: „Wir waren damals in einer besonderen Lage, weil wir zufällig die Geräte hatten, um Papier-Dokumente automatisch zu scannen.“ erzählte mir Young. „Die meisten Leute mit einer ähnlichen Einstellung hatten damals noch gar keinen Zugang zu den Scannern und Formatierern.“

So bot Cryptome über die Cypherpunk-Liste, einer Email-Liste für Crypto-Geeks, einen Service für das Scannen und Publizieren von Papierdokumenten an. Julian Assange etwa war in den frühen Jahren ein eifriger Leser und Jahre später wurden über die Liste die ersten Bitcoins verteilt.

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Young und Natsios sind beide Architekten und sehen eine Parallele zwischen ihrem Alltagsjob und ihrem Aktivismus: „Wir sind per Gesetz dazu verpflichtet auf die Gesundheit der Bevölkerung zu achten. Wir sind verpflichtet Gefahren für das Wohl aller anzumahnen!“, sagte Natsios.

Wir sind verpflichtet Gefahren für das Wohl aller anzumahnen!

Zehn Jahre nach dem Start von Cryptome tauchte dann Wikileaks auf der Bildfläche auf. Wikileaks verdanken wir einige der brisantesten Enthüllungen der jüngsten Zeit, wie die Irak-Logbücher oder Informationen zum Transpazifischen Bündnis. Doch obwohl Wikileaks das gleiche Ziel wie Crytome verfolgt, die Informationsfreiheit, unterscheiden sich die Projekte in einem zentralen Aspekt:

„Wikileaks hat es auf Bekannheit angelegt und sogar für sich selbst Werbung gemacht, das ist etwas, was wir nie tun wollten.“, sagte Young. „Sie heißen Sensationsmacherei bei jeder ihrer Aktionen willkommen. In den Augen von Wikileaks ist das Volk einfach nicht gebildet genug, um die Nuancen einer Debatte zu verstehen. Also speisen sie sie mit sensationellen Happen ab. Das ist einfach kein guter Dienst für die Bürger.“

So erwarteten die Leute nur noch den nächsten Schocker von Wikileaks ohne sich das Material selber anzuschauen. Und darum geht es Cryptome auch bei den Snowden-Dokumenten: „Herr Snowden, bitte senden sie ihre 41 PRISM-Seiten an weniger leicht einzuschüchternde Institutionen als die Washington Post oder den Guardian.“, schrieb das Paar im Juni 2013 auf ihrer Seite.

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Snowden ist in die eiserne Hülle um die NSA-Dokumente eingebrochen. Nun liegt es an den Bürgern, was mit ihnen getan wird, nicht an den behördlich finanzierten Beschützern.

— Cryptome (@Cryptomeorg) July 14, 2014

Auf die Frage was sie mit den Snowden-Dokumenten täten, wären sie in ihrem Besitz, sagte Young zu Gawker: „Wir würden sie verfügbar machen. Alle anderen lieben doch dieses Spiel im Sinne von 'was wenn jemand zu Schaden kommt' und diesem ganzen Schwachsinn. Natürlich wollen die Inhaber von Zeitungen und deren Rechtsanwälte nicht, dass die Journalisten das tun. Wenn du Geld investiert hast, gehst du solch ein Risiko nicht ein.“ Um solchem Druck zu widerstehen, legen Young und Natsios viel Wert darauf, dass Cryptome nicht als Institution verstanden wird. „Wir bevorzugen ohne Tages-Masterplan zu arbeiten und sind keinem Jahresreport verpflichtet.”

Vielleicht liegt es genau daran, dass Cryptome mehr kontroverse Dateien veröffentlicht als jede andere Gruppe, zum Beispiel die brutalen Fotos aus dem Irak-Krieg. Je mehr enthüllt wird, desto größer ist der Nutzen für die informierte Öffentlichkeit, scheint ihre Devise zu sein. „Das Snowden -Team wurde dazu genötigt nur sehr wenig zu publizieren, weil mehr angeblich der Bevölkerung schaden würde. Ich aber denke, wir werden sehr viel größeren Schaden davon tragen, wenn nicht alles ans Tagelicht kommt“, sagte Young.

„Wir denken, dass das gesamte Ding veröffentlicht werden sollte, damit die Menschen bessere Strategien gegen diese Übewachung entwickeln können.“ fuhr er fort. „Zwar arbeiten jetzt ein paar Leute daran das System zu beenden, aber wie sollen sie das sinnvoll tun, wenn sie das System nicht vollständig kennen lernen dürfen?“

Die Art in der Informationen geteilt und getauscht werden hat sich seit Cryptomes Kindertagen dramatisch verändert. Von den Cypherpunks über Wikileaks zum Post-Snowden-Journalismus ist die Welt in der Tat deutlich informierter als damals. Cryptomes Standpunkt dabei lautet: je mehr Informationen bekannt werden, desto mehr sollten wir nachfragen.