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Kann es ein Internet ohne die USA geben?

Ist es möglich? Plausibel? Und wenn ja, wie funktioniert es?
Screenshots von der Netzwerkkarte des BRICS Kabel

Screenshots von der Netzwerkkarte des BRICS Kabel via

Während deutsche Politikern zu den Snowden-Enthüllungen bisher im Großen und Ganzen nur irgendetwas zwischen geheuchelter Empörung, hilfloser Beschwerde oder einer Alles-Geklärt-Mentallität beigetragen haben, gehen die Brasilianer mit einer offensiveren Taktik an die Sache heran. Die Regierungschefin Dilma Rousseff, die als eine der wenigen Staatsoberhäupter offenherzig die USA kritisiert hat, forderte gestern in einer Rede vor der UN noch einmal ernsthafte Konsequeunzen von Obama. Und in Brasilien selbst, wird in Kürze über die rechtliche Verankerung des Marco Civil entschieden werden – einer der progressivsten Internet-Grundrechtekataloge. In Deutschland dagegen erkennt ein Ex-Vizekanzler und Wirtschaftsminister (Rösler) in der Sache erstmal höchstens noch eine Initiative mit wirtschaftlichem Potential, wenn er diffus ein deutsches und europäisches Internet fordert.

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Nachdem rauskam, dass die US-Regierung nicht nur die Privatsphäre der Amerikaner, sondern auch die der Brasilianer beschnüffelt hat, zeigt Brasilien jedenfalls Zähne. Das Land reagierte auf die Spionageaffäre mit der Deklaration, dass es jetzt einfach sein eigenes Internet erschaffen wird und dies wird dann mit einem fetten Schild versehen, auf dem stehen soll „USA nicht willkommen“.

Zumindest ist das die Version der Geschichte, die gerade die Runde macht. Brasilien und andere aufstrebende Wirtschaftsländer haben schon lange darauf gedrängt die Machtdynamik des World Wide Web wegzubewegen von dem Modell, in dem die USA das Zentrum sind.

Nun ist es an der Zeit zu fragen: Ist es möglich? Plausibel? Und wenn ja, wie funktioniert es? Die vorherrschende Antwort unter Experten auf diese Fragen sind: Ja, nein, und es ist kompliziert. Die Debatte darüber, ob man ein unabhängiges, unterteiltes Netzwerk aufbauen kann, wurde bisher durch die Frage überschattet, ob man es wirklich sollte: Würde es einen sezessionistischen Effekt auf die globale Vernetzung des offenen Webs haben, oder verbessern solche Initiativen in der Kommunikationsinfrastruktur auf dem wirtschaftlichen Spielfeld der Entwicklungsländer den Standard der Informationsgesellschaft?

Brasilien zielt natürlich auf Letzteres ab, mit dem angenehmen Nebeneffekt seine Bürger vor dem orwellschen FBI abzuschirmen. Zu diesem Zweck hat das Land einen Mehr-Punkte Plan erstellt, um die Beziehungen mit einem US-gesteuerten Cyberspace zu trennen:

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  • Offene Datenzentren in Brasilien, die Gegenstand der Datenschutzgesetze des Landes werden
  • Daten aus den Clouds wieder herausholen und in sie in lokalen Datenzentren speichern
  • Neue Gesetze, die all die Googles und Facebooks dazu zwingen, Daten die aus Brasilien kommen nicht zu speichern, und außerdem dafür sorgen, dass alle Daten mit der Löschung eines Kontos verschwinden
  • Das BRICS Kabel vervollständigen - ein Unterwasser- Breitband Netzwerk, dass alle BRICS Nationen verbindet: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Auf den ersten Blick scheint Brasiliens Plan irgendwo zwischen kühn und Hirngespinst zu fallen, aber Experten sagen, die Idee ist auf dem richtigen Weg. „Ich glaube nicht, dass es der strukturellen Idee des Internet entspricht, dass das Routing so zentral sein muss, wie es bisher war," sagt Seth Schoen, der Senior Technologe der Electronic Frontier Foundation. „Die Kommunikation zwischen Ländern geht in der heutigen Zeit oft durch die USA, aber es gibt wirklich keinen Grund, warum das auch in der Zukunft so sein sollte."

Nehmen wir mal das BRICS-Kabel. Das Projekt wurde schon vor den Edward Snowden Leaks von einem südafrikanischen Unternehmen begonnen, um eine globale Abdeckung und die soziale und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Entwicklungsländern zu verbessern. Das alternative Netzwerk bietet einen direkten Zugang zu 21 afrikanischen Ländern, besteht aus einem 34.000 Kilometer langen Unterwasserglasfaserkabel und erreicht etwa 45 Prozent der Weltbevölkerung und 25 Prozent des BIP. Geplant ist, dass es bis 2015 fertiggestellt ist und in Betrieb genommen wurde.

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Das Problem ist allerdings, dass es natürlich keine Gewähr für die Route des Informationflusses der Internetnutzer wird geben können. Wer kann schon sagen, ob die brasilianischen Datenpakete durch die neue Infrastruktur gehen, stett einen schnellen US Verbindungspunkt zu nutzen?

„Das Internet hat kein ‚Source-Routing‘", sagte Dr. Joss Wright, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oxford Internet Institute. „Das bedeutet, dass man nicht entscheiden kann, wohin der Traffic gehen soll. Du sendest also Informationen mit einem bestimmten Ziel und das Internet organisiert nun herauszufinden, wie diese Botschaft dorthin gelangt."

Selbst wenn du es schaffst zu kontrollieren, wie sich die Daten durch das Web bewegen, muss außerdem kontrollieren werden, wo sie letztendlich landen. Der physische Standort der Netzwerk-Infrastruktur liegt vielleicht in ganz Nordamerika verteilt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Benutzer allerlei Kernunternehmen und Dienstleistungen in den USA bevorzugen.

Um die US-Cyber-Dominanz richtig zu ärgern, müssen die Nutzer wahrscheinlich ein Leben ohne Google, Facebook, Twitter oder Apple akzeptieren.

Um die US-Cyber-Dominanz richtig zu verärgern, müssen die Nutzer wahrscheinlich ein Leben ohne Google, Facebook, Twitter oder Apple akzeptieren. Man muss nicht nur ein neues Netzwerk aufbauen, sondern auch neue Dienstleitungen etablieren, die garantieren, dass alle Daten im lokalen, unabhängigen Internet bleiben. Das ist das, was Rousseff vorschlägt, aber die Leute davon zu überzeugen Gmail zu verlassen und sich dem neuen brasilianischen Provider anzuschließen ist sicherlich keine einfache Aufgabe - selbst wenn diese Dienstleistungen kostenlos oder verdammt billig angeboten werden.

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Außerdem stellt sich noch die Frage, ob die Riesenunternehmen damit einverstanden sein werden neue rechtliche Richtlinien über Datenschutz einzuhalten, selbst wenn diese Gesetze aus einem Land wie Brasilen kommen, das einen großen Markt und potenziellen Webwachstum hat.

Schließlich ist die totale Privatsphäre selbst dann noch immer nicht möglich, wenn Unternehmen einwilligen brasilianische Daten nicht auf ihren Servern zu speichern die Bewohner ohne die alten Dienstleistungen auskommen, und die Daten ausnahmslos durch alternative Infrastruktur wie das BRICS Kabel laufen, denn die Leute haben Familie und Freunde auf der ganzen Welt.

Sagen wir mal, du schreibst einem amerikanischen Freund, der ein Gmailkonto hat, eine Email von einem sicheren brasilianischen Konto, oder du kommentierst ein britisches Status-Update; Google und Facebook können dieser Interaktionen natürlich trotzdem noch sehen - und somit wahrscheinlich auch die NSA. „Es gibt wirklich keinen Weg all das für die alten Services zu regeln,“ sagt Schoen. „Wenn du eine Postkarte an Menschen in Frankreich schicken willst, und dabei eine Garantie möchtest, dass die französische Regierung deine Postkarten nicht lesen kann, muss ich dich leider enttäuschen“

All dies bedeutet nicht, dass es nicht möglich wäre (oder einen Versuch wert sei) sich in Richtung eines weniger US-zentrierten Internet zu bewegen, besonders im Post-PRISM Fieber. Es ging ja auch schon voran mit dem Entzug von bestimmter Kontrolle der US Festung. „Die eigentliche Stärke des Internets war die Dezentralisierung und ich glaube, es ist die beste Entscheidung sich wieder in diese Richtung zu bewegen, auch wenn es bedeutet ein paar Bequemlichkeiten aufzugeben,“ sagt Wright.

Brasilien ist auch nicht das einzige Land, dass dies versucht. Die Vereinten Nationen machen schon seit Jahren Lobbyarbeit dafür, dass eine Internationalen Institution die Zügel ein bisschen mehr in die Hand nimmt. Ein bisschen Erfolg hatten sie sogar schon.