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Popkultur

Berlinale Breakdown

Wir waren für euch am Festival und haben Filme gesehen, damit ihr selber nicht mehr müsst.

"Halleluja, Berlin!" singt Reinald Grebe und klingt dabei lustigerweise genauso, wie in jenem anderen Lied, wo er seiner verflossenen Dörte mit "Du bist der Ausweg aus der Spaßgesellschaft" schimpfhuldigt. Für Leute, die Reinald Grebe nicht kennen und für die dieser Satz deshalb wenig bis keinen Sinn macht, hier die Übersetzung: Berlin ist toll, aber irgendwie auch nicht, und je eher man seine ästhetischen Erwartungen runter und die eigene Ignoranz hinauf schraubt, umso früher wird man hier glücklich. Wenn einem dann erst mal egal ist, dass einen alle Leute ständig wie grobmotorisch gestörte Quarterbacks tackeln und man im öffentlichen Raum überall von 40-jährigen Schulkindern umgeben ist, die erst im privaten Kreis aus dem sozialen Standby-Modus erwachen, dann, ja DANN ist der Weg auch endlich frei für die echten Vorzüge dieser Metropole und euch erwartet ein ganzer Döner voll Spaß mit scharf und extraviel cool. Erst recht, wenn auch noch Berlinale ist.

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Bereits am Hinflug hatte ich das Gefühl, gemeinsam mit der trockenen Flugzeugluft das cosmopolitische Flair einer echten Filmhauptstadt zu atmen: Mit uns in der Kabine flogen ein Vincent Gallo, ein Crispin Glover und ein Peter Zawrel aka grantiger, nervtötender Filmfonds-Ex-Chef und baldiger Geschäftsführer des Künstlerhauses, der die Stewardess zuerst wegen des zu langsamen, dann des zu heißen Tees anforschte und am Ende auch noch meine Freundin anrempeln musste — allesamt Archetypen, die man zwar auch in Wien fand, aber für die man zuhause mehrere Bezirke weit U-Bahn fahren musste, um von jeder Gattung ein Exemplar zu erwischen. Hier, auf dem Weg ins Zentrum der deutschen Macht, hatte man sie nur wenige Sitzreihen voneinander entfernt. Und weil ich nicht so sein will, habt ihr zum Nacherleben hier ein Foto von einem der dreien (was dachtet ihr, wir sind schließlich VICE und nicht die Vogue). Danke an /slash Filmfestival's Own Markus Keuschnigg für die Identitätsbestimmung des alten Mannes.

Ich könnte euch hier natürlich noch viel mehr über meine Erlebnisse in der Stadt des Bären erzählen — von frostigen Temperaturen über unsere Fastbegegnung mit Nicolas Cage bis hin zu einer Tiki Burger Bar, wo es am WC magischerweise nach genau dem roch, was man zuvor bestellt hatte —, aber unsere detaillierten Online-Nutzerstromanalysen legen nahe, dass ihr einen Artikel in der Kategorie FILMBUNKER und mit dem Titel BERLINALE BREAKDOWN vermutlich auch angeklickt habt, weil ihr ungefähr ab dem vierten oder fünften Absatz dann doch ganz gerne irgendwas über eines der beiden Themen lesen würdet. (Marktforschung und Internet — die zwei Enden des digitalen Wurstspektrums.) Ich hätte zwar auch noch ein bisschen was zu unserem Bier-und-Mampe halb und halb-Date mit den zwei guten Burschen der Band Snøffeltøffs zu erzählen, aber wenn ihr keine Geduld habt, dann eben nicht. Banausen.

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Apropos: Davon gibt es rund um die Berlinale übrigens auch mehr als genug und die meisten von ihnen tragen einen Akkreditierungs-Ausweis um den Hals. Manchmal glaube ich, dass Filmfestivals (oder auch Festivals im Allgemeinen) nur dazu gut sind, um die Einheimischen in Friedenszeiten gegen einen gemeinsamen Feind zusammenzuschweißen — nur, dass man sich den Feind im Gegensatz zu früheren Konflikten zuerst mal ins eigene Haus holt, um sich vor Ausbruch des galligen Grants noch kurz seines internationalen Flairs rückzuversichern. Und, dass der Feind nicht an eine Nationalität gebunden ist, sondern an kleine Ausweiskärtchen, auf denen VIP, BACKSTAGE oder PRESSE steht. Natürlich herrschen auch Grabenkämpfe mit dem gemeinen Fußvolk, das sich beim Kauf von Festivaltickets verhält, als wäre das Jahr 1946 und die Eintrittskarten wertvolle Essensmarken. Diejenigen, die die Warteschlangen überwunden haben, fallen schließlich am Rand des magischen Ticket-Containers in sich zusammen und erstarren zum Vorbild künftiger Statuetten: Ich bin ja der Meinung, internationale Festivals sind erst dann im 21. Jahrhundert angekommen, wenn sie auch einen Preis für den besten Zuschauer vergeben.

Eine Freundin von mir, die als freie Journalistin in Berlin arbeitet, meinte bei unserem Treffen hingegen, dass die Berlinale gar keinen sonderlich cosmopolitischen Ruf hat: "Die Berlinale hat im weltweiten Vergleich eigentlich eher einen dörflichen Touch. Während die Viennale gar nicht erst versucht, wie die großen Festivals zu sein, will die Berlinale eben schon das deutsche Pendant zu Cannes sein und wirkt damit für viele noch provinzieller", meinte sie, während wir in einem düsteren Café auf eine Gelegenheit zu zahlen warteten. Drei Kellner standen uns an der Theke gegenüber und waren alle damit beschäftigt, selbst die besseren Gäste zu mimen: Für mich war beim besten Willen nicht zu erkennen, ob ihr Herumstochern in Espresso macchiato, Cappuccino und Chai latte eher als Zubereitung oder als Verzehr zu werten war. Wir starrten ihnen Löcher in die Brust, die problemlos an ihrer Kreuzberg-Rüstung abprallten.

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"Das ist wirklich die Stadt der faulen Kellner", sagte meine Berliner Freundin. Vielleicht sollte man bei all dem noch erwähnen, dass sie eigentlich auch aus Österreich stammt; und obwohl wir uns in Sachen sauschädliger Sturköpfigkeit für abgehärtete Bastarde halten, weiß ich seit Berlin, dass wir mit unsrer "Küss die Hand"-Hinterfotzigkeit international bestenfalls in der Pussyliga spielen. (Meine Freundin liebt übrigens Berlin, soll ich euch ausrichten. Außerdem ist sie für mich sowas wie die sonnige Seite von Lena Dunham und meint das alles nur neckisch bis lieb.) Provinziell sind an Berlin jedenfalls schon mal die Leerflächen zwischen den coolen Kiezen: Überall sitzt jemand alleine und raucht, als würde er für eine Fotoreportage zum Thema "24 Jahre nach dem Mauerfall" posieren, während sich rund um ihn quasi das Filmset von Metropolis ausbreitet (genauso groß, aber auch genauso angeranzt, wie es 86 Jahre nach dem Dreh heute wäre).

Zu Metropolis fällt mir übrigens ein, dass ihr unbedingt ins Deutsche Filmmuseum müsst, wenn ihr das nächste Mal die Stadt besucht: Hier seht ihr ein illegal geschossenes Foto aus dem ziemlich sensationellen ersten Raum der permanenten Filmausstellung, in der vor allem echte Stummfilmfreunde so richtig gut die Klitoris/Prostata massiert bekommen. Eins der Highlights ist neben dem eindrucksvollen Roboter aus Metropolis (und Vorbild für Star Wars' C3PO) sicherlich die kirschrote Uniform aus Der letzte Mann.

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Und so viel also zu Berlin. Die Cafés sind cooler und die Bars sind besser, dafür ist aber auch die Ignoranz der Einwohner so groß wie der nächstbeste Plattenbau und der Winter so trostlos, wie er außerhalb von Russland nur sein kann. Ich hatte viel Spaß dank guter Leute, obwohl ich fünf Tage lang Eiskristalle eingeatmet habe. Als wir auf dem Weg nachhause waren, verkündete die Wettervorhersage die drei fürchterlichsten Wörter, die ich mir zu diesem Zeitpunkt nur vorstellen konnte: "leicht kühler werdend". Zeit, nach Pussywien zurückzukehren. Hier kommen die Filme, inklusive Highlights und Lowspots.

DA BEST: PRINCE AVALANCHE

Gerade in Bezug auf Paul Rudd gab es bei VICE ja einiges an Uneinigkeit, wobei sowohl Dalias Hasstirade als auch Magdalenas Liebesbekundung in Wahrheit nur die zwei Seiten eines Westside Story-mäßigen Dance-Offs waren, dessen Refrain ganz konsensorientiert in etwa so ging: "Irgendwiiiiiiie ist eeeeeer uns doch eeeeeegaaaaaaaaal!" Ein Film, der Paul Rudd nun aus dem Fahrwasser der Gleichgültigkeit hebt, als wäre es das Fruchtwasser seiner filmischen Wiedergeburt ist Prince Avalanche, der Gewinner des silbernen Bären für beste Regie. David Gordon Green inszeniert mit Paul Rudd und Emile Hirsch — beide als entkitschte Versionen von Wes Anderson-Charakteren — eine Miniatur entlang texanischer Straßenbauarbeiten im Jahr 1988, die auf den ersten Blick belanglos und auf den zweiten Blick noch belangloser wirken, aber gerade deshalb zur symbolträchtigen Sisyphus-Tätigkeit mutieren, in deren Unterforderung irgendwann notgedrungen die Selbsterkenntnis lauert.

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Zu Beginn wird der Rahmen der Geschichte noch mit tragischen Schicksalsschlägen festgelegt: 1987 haben schwere Waldbrände mehrere tausend Heime in Texas vernichtet, 1988 beginnt nun der Wiederaufbau der Zivilisation im Nirgendwo — und bezeichnenderweise erleben wir diesen von der pragmatischen Seite der Leitplankenaufsteller und Leitlinienzieher. Viel wissen wir über die Hauptdarsteller nicht. Paul Rudd macht den Sommerjob, um sich mit seiner Freundin einen Deutschlandurlaub zu leisten; Emile Hirsch ist sein junger, dooftreuer Beinahe-Schwager, der den Job nur aus Nettigkeit bekommen hat, obwohl er mit seiner Obsession fürs Ficken eigentlich mehr Belastung ist. Pathos und Rührseligkeit sind in der Straßenarbeit genauso ausgespart wie überhaupt jede Erwähnung der vorangegangenen Vernichtung. Stattdessen ist Prince Avalanche ein Charakterfilm mit weitestgehend nur vier Darstellern und dem Fokus auf kleinen, persönlichen Geschichten; Gesprächen beim Camping, Musikhören beim Arbeiten, Wichsen im Zelt und dem Aneinandergeraten der beiden Sturköpfe.

Beide Schauspieler glimmen in untypisch brüchigen und gleichzeitig opaken Arthouse-Comedy-Rollen, in denen sie wie spaßige Blackboxen ihre Oberflächen kultivieren, bevor beim gemeinsamen anarchistischen Schnapssaufen alles in Echtheit und Katharsis aufbricht. Die durchaus beträchtlichen privaten Skandale der beiden Protagonisten passieren, genau wie alles andere Furchtbare, abseits der Leinwand und findet seinen Weg zu uns nur über Erzählungen. Es wirkt fast, als wäre Prince Avalanche ein Film über das Trauma an sich, das nur durch seine Abwesenheit in den Film gesetzt werden kann.

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DAZWISCHEN: DARK BLOOD

Zwei Dinge sind für mich im Hinblick auf Film immer mit Unwohlsein behaftet: Erstens, wenn ein Regisseur sein eigenes Werk aus dem Off erklären muss, als würde man im Kino die Fassung mit DVD Commentary sehen — und zweitens, wenn eine Festival-Jury einen Streifen lobend erwähnen muss, damit er doch noch irgendwie zu seinen Ehren kommt. Beides kam bei der diesjährigen Berlinale vor und wie aufmerksame Leser der letzten Überschrift sich vermutlich denken können, lauten die dazu passenden Filmtitel in diesem Fremdscham-Memory (und in dieser Reihenfolge) Dark Blood und Promised Land. Aber schön der Reihe nach.

Dark Blood ist die Rekonstruktion von River Phoenix' unvollendetem Letztfilm, während dessen Dreharbeiten der junge Schauspieler am Halloween-Morgen 1993 nur 10 Tage vor Abschluss an einer Überdosis starb. Darüber hinaus ist Dark Blood auch ein filmischer Versuch über visuelle Leerstellen und die ins Bild gehämmerte Abwesenheit seiner eigenen Perfektion, das unvollständige Durcheinander von Szenen, denen die Verbindung zueinander fehlt, weshalb der Regisseur die Illusion brechen und wie in einem absurden Theaterstück kurzerhand selbst einspringen muss. Der Großteil von Dark Blood ist zwar fertig, aber mindestens drei Schlüsselsequenzen fehlen — und obwohl man aus dem Material problemlos auch einen anderen, kompletteren Film hätte schneiden können, an dem sich der Genussmensch weit weniger stößt, wäre dieser wohl nicht die gleiche Hommage an den Tod geworden. Und nicht nur an den Tod von River Phoenix, sondern den Tod an sich: Auch Regisseur George Sluizer ist während der zweiten Entstehung des Films nämlich totkrank. Ähnlich wie Prince Avalanche geht es also um das, was man nicht sieht, weil es keine Bilder dafür geben kann. Anders als Prince Avalanche ist das Ergebnis egomanischer und an den falschen Stellen brüchig.

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DANEBEN: PROMISED LAND

Die aktuelle Tendenz zu zeitgeschichtlichen Themen, die sich auch bei den Oscar-Nominierungen zeigt (Argo, Zero Dark Thirty, Hitchcock), hat ihren wohl tagesaktuellsten Ausdruck in Promised Land gefunden, dem Berlinale-Beitrag von Gus Van Sant, der sich mit Erdgasförderung im engeren und Lobbyismus im weitesten Sinne beschäftigt. Erst kürzlich berichtete Die Zeit Online von Protesten gegen Erdgasförderungen in den Niederlanden, wo diese Praktik regelmäßig zu Erdbeben und immer häufiger auch Besorgnis und Unruhen in der Bevölkerung führt. Das allein rechtfertigt vermutlich auch schon die löbliche Ehrenerwähnung des Films im Rahmen des Wettbewerbs, von dem sonst wohl nicht geblieben wäre und vor dem man sich aus purem Anstand (gegenüber Matt Damon, gegenüber Gus Van Sant und gegenüber der Thematik, die mit ihrer RELEVANZ die Jury im cineastischen Schwitzkasten hatte) dann doch irgendwie verneigen musste, um als Festival selbst gutes Lobbying und Networking mit der Filmindustrie zu betreiben.

Darüber hinaus ist Promised Land aber leider nicht nur wenig aufregend, sondern — wenn man erst mal hinter Van Sants übliche rurale Dystopie in schönen Bildern blickt — auch ziemlich üblich und gehaltlos. Da gibt es den guten (weil gutgläubigen) Konzernvertreter, der gemeinsam mit seiner etwas weniger guten (weil abgebrühteren) Kollegin in ein Dorf einfällt, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, der Erdgasförderung auf ihrem Grund zuzustimmen. Im Zuge ihrer Arbeit, die wohl nicht zufällig einem politischen Wahlkampf ähnelt, bedienen sich die beiden aller möglicher hinterhältiger, pseudoverbrüdernder Kniffe gegenüber den Landleuten, versprechen ihnen das Blaue vom Himmel und die Millionen aus dem Boden und werden schließlich zum Teil in den Sog des empfindlichen lokalen Ökosystems hineingezogen und zum anderen Teil von einem genauso abgebrüht wahlkämpfenden Umweltschützer blockiert. Wohin es von hier aus weitergeht, kann man sich leider ziemlich gut und erstaunlich genau im Vorfeld denken.

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Wenn der Film doch eine Stärke hat, dann ist es die, dass er die Rolle des ruralen Amerikas im Film als Diskursobjekt in den Raum stellt. Denn genau wie die Landbewohner im Film, so wird auch das ländliche Leben an sich je nach Ausrichtung des Films instrumentalisiert und erscheint im US-Kino als Kippbild zwischen reaktionärem Rückstand und idealisierter Idylle. Die Frage ist: Was, wenn Matt Damon doch nicht (nur) der Dämon des Großkapitals, sondern (auch) der wirkliche Vorreiter des unliebsamen Wandels ist, der alte Strukturen aufbricht und Platz für neue Gedanken schafft? Die Frage wird im Film leider nur in einer kurzen feurigen Verteidigungsrede von Matt Damon gegen den Mob aufgegriffen — und im weiteren Verlauf ziemlich eindeutig ausgeschlagen. Das Potenzial, diese rurale Dichotomie genauer unter die Lupe zu nehmen, hat Gus Van Sant am Ende um Längen verpasst und sich einmal mehr als eingeölter Bizeps des Kunstkinos (mit Popcorn-Verbot, aber Ceshewkern-Kau-Aufruf) etabliert.

DAFUQ: INTERIOR. LEATHER BAR.

Interior. Leather Bar. will viel sein und ist im Wesentlichen doch ganz einfach nur eins: eine weitere Mockumentary. Der Film tut, als wäre er das Making-of eines Gay Concept Porns, in dem es um die unveröffentlichten 40 Minuten aus Cruising mit Al Pacino geht, die wegen explizitem Schwulensex der "Zensur" zum Opfer fielen. Zu Beginn sehen wir daher die beiden Co-Regisseure James Franco und Travis Mathews ihr Projekt besprechen und uns ihr Vorhaben erklären: Das Endprodukt soll nicht wirklich die fehlenden 40 Minuten innerhalb des filmischen Universums von Cruising zeigen, sondern vielmehr mehr Francos, ähm, Interpretation, also Vision, y'know, mehr Umdeutung und frei und Kunst und so. Das stellt nicht nur die Weichen, sondern auch jedem Kinofreund, der sich nicht gerne der selbstgenügsamen und selbstbeweihräuchernden Artfart-Inhalationskur aussetzt, die Nackenhaare auf und gleichzeitig die Frage in den Raum, ob wirklich alle Schauspieler, die nicht nur Schauspiel studiert haben, notgedrungen noch prätenziösere Filme als ihre europäischen Pendants machen müssen.

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Die schwulen Momente sind umso weniger schockierend, je mehr die Regisseure und Hauptdarsteller sich aus erzählerischer Faulheit selbst ins Bild setzen müssen, um genau diesen vermeintlichen Schockgehalt heraufzubeschwören: Warum wird Schwulensex so aus dem Kino verbannt, fragt Franco da etwa mit pochender Stirnader und drei Fragezeichen, nur um schließlich in seinem eigenen Film nichts weiter zu zeigen, als ein bisschen Eichel, aber partout keine Penetration. Was an sich auch nicht für das Funktionieren des Films ausschlaggebend wäre, wenn da nicht die Wortkaskaden wären, die im Bild maximal als aalglatte Wasserfälle ihre Entsprechung finden.

Konzeptlosigkeit, die sich zum Prinzip erhebt, indem sie so tut, sls wäre sie das Konzept, und Schwänze, die man sogar im weitaus mainstream-orientierteren und niederschwelligeren Kunstkino durchaus schon intelligenter eingesetzt gesehen hat (Ken Park, Enter the Void, Calligula), machen eben noch keinen Film. Interior. Leather Bar. ist nicht Konzept und nicht Chaos, nicht Porno und nicht Poesie.

Einzig die Sequenz, in der Franco sein Projekt vor seinem zweifelnden Hauptdarsteller rechtfertigt, wirkt mutig — aber nur, weil es geradezu wahnwitzig wäre, wenn Franco hier eben schon spielen und sich absichtlich als genau jenen arty ass inszenieren würde, als der er nun mal rüberkommt, wenn er pauschal positiv diskriminierend von allem Nichtnormativen schwärmt ("I think it's beautiful", "I don't like how they mess with my mind") und Schwulensex allein deshalb im Kino fordert, weil es ein unglaublich potentes Erzählmittel sei. Umso ironischer ist es auch, dass Schwulensex gerade in seinem eigenen Film als Erzählmittel komplett versagt. Genau, wie der Franco im Film immer wieder nach wenigen Sekunden des Mitfilmens das Set verlässt, scheint auch der Franco hinter dem Film nicht wirklich bei der Sache geblieben oder in sie involviert gewesen zu sein. Sein Protagonist erwidert auf die Forderung nach schonungslosem, schwulem Sex ganz einfach: "Why not leave something to the imagination?" Ich fürchte, dass wir mit Francos L'art pour l'art- und in weiterer Konsequenz Le choc pour le choc -Ansatz bereits die ganze Antwort auf diese Frage vorliegen haben.

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Leider verpasst habe ich den Goldenen Bären-Film Pozitia Copilului ("Die Stellung des Kindes") und den allseits hochgejubelten Paradies: Hoffnung. Hier deshalb die Erwähnung ehrenhalber. Das ist zwar peinlich, aber in diesem Fall nicht für die Filme, sondern nur für mich, also passt das schon. Mahalo!


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