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Neonazis, V-Männer, eine Berliner Politikposse und keine Aufklärung

Mafiöse Hausbesuche, fadenscheinige Erklärungen und bizarre Verwechslungen. In der Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhauses zum Fall Nick Greger ging es heute hoch her.

Es ging hoch her in der Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus zum Fall Nick Greger. Dass die Sitzung letztendlich doch nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, lag an der massiven Medienpräsenz der Hauptperson. Nick Greger habe sein V-Mann-Verhältnis selbst offengelegt, weswegen man sich nicht mehr an die Vertraulichkeitszusage halten müsse. Und so konnten wir dem Spektakel beiwohnen, bei dem viel gesagt wurde, aber das vor allem Aufklärung und Antworten missen ließ, aber zumindest mit einem Cliffhanger endete.

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Aber der Reihenfolge nach: Wie so oft in politischen Diskussionen wurde der Auftakt mit einer Tirade an Vorwürfen eingeläutet: Die CDU warf der Opposition von Linkspartei und Grünen vor, nicht in der Lage zu sein, Informationen, die schon längst bekannt gewesen seien, richtig auszuwerten. Die Opposition wiederum warf dem Innensenator Henkel vor, auf die einfachsten Fragen keine Antworten geben zu können und eine Verschleierungstaktik zu fahren, die sich durch den gesamten NSU-Prozess ziehen würde.

Dabei ging es um eine ganz simple Angelegenheit: Zu welchem Zweck wurde Nick Greger am 31.10.2013 von zwei Berliner LKA-Beamten in Thüringen aufgesucht und wer gab hierzu den Auftrag.

Während Polizeipräsident Klaus Kandt und der Chef des Staatsschutzes, Oliver Stepien, auf die Frage nach dem Warum noch eine Antwort hatten, konnte niemand sagen, wer den Auftrag dazu gegeben hatte. Irgendwo auf den langen Dienstwegen des LKA scheint der konkrete Auftraggeber der Mission verloren gegangen zu sein.

Fakt ist, dass der Berliner Staatsschutz Nick Greger zwischen 2001 und 2003 als sogenannte Vertrauensperson unter der Nummer „VP 598“ geführt hat. Insgesamt, so erörterte Kandt, habe es neun Treffen mit der VP gegeben, wobei acht in der JVA Tegel stattgefunden haben, wo Greger damals seine Haftstrafe wegen Rohrbombenbaus verbüßte, sowie ein weiteres im Jahr 2002 in Dresden, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Dieses Treffen hat uns Nick Greger bereits gestern in einer E-Mail bestätigt.

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Kandt erklärte, dass man die Quelle Nick Greger am 18.03.2003 abgeschaltet habe, da sich dieser von sich aus mehreren Nachrichtendiensten als Informant angeboten hätte, um finanzielle Vorteile zu erzielen. Aus diesem Grund sei eine Warnung an sämtliche Geheimdienste ausgegeben worden, da Greger nicht mehr als zuverlässige Quelle eingestuft wurde.

Trotz allem, so erklärte der Polizeipräsident, müsse man sich um das Wohlergehen auch ehemaliger Vertrauenspersonen kümmern, weswegen im letzten Oktober zwei Beamte losgeschickt worden waren, um ein sogenanntes „Sensibilisierungsgespräch“ mit Greger zu führen.

Anlass hierfür sei gewesen, dass die Akten aus den Jahren 2001 bis 2003 im letzten Jahr den Abgeordneten des Berliner Innenausschusses zugänglich gemacht wurden, weswegen die Polizeiführung nun von einer geänderten Gefährdungslage für die ehemalige VP ausgehen musste. Aus diesem Grund seien zwei Beamte nach Thüringen entsandt worden, um Greger eben dies mitzuteilen und ihn auf eine eventuelle Gefährdungen seiner Person durch ehemalige Freunde, die sich nun verraten fühlen könnten, zu warnen.

Was der Leiter des Berliner Staatsschutzes, Oliver Stepien, dann allerdings aus dem Ablaufprotokoll der beiden Polizeibeamten vorlas, erinnerte eher an einen mafiösen Hausbesuch als an nette Polizisten, die einfach nur mal zum Reden vorbeikommen wollen.

So stolperten die beiden Beamten am 31.10.2013, einem Feiertag, durch das thüringische Pößneck auf der Suche nach einem zutätowierten Glatzkopf mit Motorrad. Während wir von VICE mit Nick Greger einfach nur per Mail Kontakt aufgenommen hatten, um unser Interview zu arrangieren, taten sich die Polizisten ungleich schwerer.

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Zwar trafen sie Nachbarn und Mitbewohner, denen sie sich nicht als Polizeibeamte zu erkennen gaben, sie trafen aber keinen Nick Greger. Stepien betonte, dass die beiden Beamten neu mit diesem Fall betraut waren und auch sonst relativ frisch im Geschäft gewesen sein müssen, trotz allem erhielten sie die Information, dass sich Greger wohl bei einer Freundin aufhalten solle. An deren Wohnung angekommen erreichten sie zwar ebenfalls niemanden, konnten aber nach ungefähr zehn Minuten des Herumstehens zwei Gestalten hinter einem Vorhang im obersten Stock eines Mehrfamilienhauses entdecken, die sie beobachteten. Durch eine Nachbarin, die den Müll wegbrachte, konnten sich die Polizisten Zutritt zu dem Haus verschaffen, um dann schließlich im obersten Stock gegen die Tür zu hämmern …

Und genau an dieser Stelle, dem Klimax der ganzen Sache, musste Stepien die Erzählung leider abbrechen, da das Ende der Sitzung nahte.

Was dann folgte, war ein Schlagabtausch zwischen Regierungspartei, Polizeiführung und Opposition, in deren Verlauf der Polizeipräsident die Behauptung aufstellte, Nick Greger habe seinerzeit nur Aussagen zu seiner Strafsache gemacht, für die er verurteilt worden war, nicht aber zu Carsten Szczepanski. Szczepanski, der heute im NSU-Prozess eine gewichtige Rolle und unter dessen Führung Greger damals eine Rohrbombe baute. Eben jener Carsten Szczepanski, der kurz nach Gregers Verhaftung ebenfalls als V-Mann enttarnt und unter dem Decknamen Pattio geführt wurde und heute als möglicher Lieferant der Mordwaffe des NSU-Trios gilt, wobei sich der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz während der Sitzung zu der Behauptung verstieg, dass es sich bei diesem Carsten S. nicht um den Waffenhändler Carsten S. handle, sondern um einen anderen Carsten S.

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Zwei Behauptungen, die im Übrigen im krassen Gegensatz zu dem stehen, was Nick Greger uns gegenüber erzählt hat, dass er nämlich sehr wohl umfänglich gegen Carsten Szczepanski ausgesagt habe und dass dieser ihm kurz vor der Jahrtausendwende auch eine Pistole angeboten habe, also durchaus als Waffenlieferant in Frage kommen könnte.

Trotz allem erklärte Stepien, dass man bei Greger zu keinem Zeitpunkt einen Bezug zum NSU habe erkennen können, weswegen dieser auch nie vor den Bundestagsuntersuchungsausschuss geladen worden sei. Aus diesem Grund sei die Behauptung Gregers, die Beamten hätten ihn aufgefordert, nicht vor dem Ausschuss auszusagen, vollkommen absurd. Dass die Akten nun den Abgeordneten des Berliner Innenausschusses zugänglich gemacht wurden, hätte außerdem auch noch zu sechs weiteren Sensibilisierungsgesprächen mit anderen Personen aus dem rechten Spektrum  geführt, die aber alle vollkommen unproblematisch verlaufen seien.

Nur Nick Greger habe das Gespräch absichtlich missverstanden und die eher allgemein gehaltenen Warnungen der LKA-Mitarbeiter als Morddrohungen gedeutet, was eindeutig auf dessen übertriebene Geltungssucht zurückzuführen sei.

Eine These, die sich nach den diversen Medienauftritten von Nick Greger nicht gänzlich von der Hand weisen lässt, wobei sich trotz allem die Frage auftut, warum ein ehemaliger Nazikader, der sich im Umfeld möglicher Terroristen aufhielt, nicht zu seinen ehemaligen Freunden und Kameraden befragt wird. Was hat Greger gewusst? Was wurde in gewissen Zirkeln diskutiert, die einer Ideologie des „Leaderless Resistance“ anhingen? Zirkel, mit denen die verschiedenen Staatsschutzorgane aus heutiger Sicht viel zu eng zusammenarbeiteten und offensichtlich trotzdem nicht die entscheidenden Informationen erhielten.

Die Sitzung soll nun gegebenenfalls am Freitag fortgesetzt werden, doch ein genauer Termin steht noch nicht fest.