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Free Pussy Riot oder „Verpiss dich, Putin, und geh sterben“

Wir waren auf Peaches Videodreh in Berlin, mit dem sie die russische Performance-Art-Gruppe Pussy Riot unterstützen will.

„Beeilt euch, bevor die Polizei uns sieht“, fauchte Peaches, während sie gestern 400 farbenfrohe Pussy-Riot-Fans die Oderberger Straße herunterführte, wo ein Musikvideodreh zu „Free Pussy Riot“ anstand, ein Song, den sie zusammen mit Simonne Jones geschrieben hatte und der am Dienstag auf iTunes erscheint. „Ich will keine Strafe bekommen—lieber würde ich das Geld an Pussy Riot geben, damit sie die Anwaltskosten bezahlen können“, erklärte Peaches.

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Für das normale Yuppie-Pärchen, das in einem vornehmen Viertel wie dem Prenzlauer Berg den Kinderwagen vor sich her schiebt, hätte es auch ein Schwulen-Flashmob sein können. Hier stehen alle in bunten Sturmhauben—rosa, gelb, grün, blau und orange—und wirbeln ihre Köpfe wie lebensgroße Haribo-Süßigkeiten umher. Und die Medien? „Beim Dreh sind keine Kameras erlaubt.“ Wir gehen also zur Seite, zu den anderen. Ein Rückschlag. Mitten zu den schwarzen, verschwitzen, Ellbogen ausfahrenden anderen Medientypen, mit Fotoapparaten, Mikrofonen und Videokameras. Wir stehen alle draußen, verteilt auf zwei Gruppen—die Haribos und die Medien—und laufen die Oderberger Straße mit nur einem Ziel im Kopf in Richtung Mauerpark: helfen, den Videodreh zu dokumentieren, damit wir die Befreiung der russischen Performance-Art-Gruppe Pussy Riot unterstützen können, die im März die Wiederwahl von Wladimir Putin mit einem improvisierten „Performance-Gedicht“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale kritisierte. Die Verhandlungen begannen letzten Monat. Drei Mitglieder wurden festgenommen: Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch, Marija Aljochina, jeder von ihnen droht eine dreijährige Haftstrafe.

Der Sinn, dieses Musikvideo zu machen (dabei lief keinerlei Musik zum Tanzen, da das Lied zu dem Zeitpunkt noch nicht fertig war), besteht natürlich darin, Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken, um eine Petition durchzubringen, die helfen soll, die Mädchen aus dem Gefängnis zu befreien. Das ist alles: Das Musikvideo drehen—ein Haufen farbenfroher Gestalten mitten im Mauerpark—und abhauen, bevor die Polizei kommt. Das Ganze lief gestern ab 17.00 Uhr 30 Minuten lang und wurde mit Leichtigkeit durchgezogen. Einige der Leute waren Hardcore-Fans von Peaches und fragten sie ständig nach Fotos. Andere waren Hardcore-Fans von Pussy Riot und trugen den Namen auf ihren Armen, auf ihren Klamotten und schrieen ihn herum. Andere wiederum wussten noch nicht mal, warum sie überhaupt da waren. Sie folgten einfach der Masse („Wer ist der Künstler, der hinter dieser Sache steckt?“, fragte mich einer).

Egal, wir waren da. Zusammen. So wie wir es sollten. Es gab ungefähr genauso viele Journalisten wie Mitwirkende—auf jeden Fall hatten wir viele nervige Fragen. „Was hast du zu Putin zu sagen?“, fragte ich Peaches. „Verpiss dich und geh sterben?“, antwortete sie mir. Sie stand in lila Leggins, Sneakern und einem gelben Anzug vor mir und hatte die Worte „PUSSY RIOT“ auf ihren Unterarmen stehen. „Jeder Nachrichtensprecher, in jeder Sprache, sagt, dass Pussy Riot ein Erfolg ist.“ Die meisten der Leute (die durch eine Facebook-Veranstaltung angelockt wurden, die Peaches Tage zuvor über ihren unauffälligen Privataccount erstellt hatte) tanzten, umarmten sich, hielten Händchen und streckten ihre Fäuste für (den) Pussy Riot in die Luft. Viele waren da, von der Performancekünstlerin Vulvah van Klitt, die Pflaster auf ihren Nippeln hatte, über Anto Christ mit Katzenaugenbrille und blauem Lippenstift bis hin zu Leuten mit russischem Touch, Armeehut und einem kitschigen russischem Kreuz. Aber es gab ein Paar, das miesepeterig dreinblickte und nach dem Dreh zu Peaches kam und sie fragte, warum es nur um sie gehe. Ich konnte wirklich nicht verstehen, warum. Ich glaube nicht, dass die beiden die komplette Geschichte kannten, aber Peaches war nicht eine Sekunde lang ohne Maske im Musikvideo zu sehen—es geht im Endeffekt schließlich um Anonymität, das ist Pussy Riot. Es schien wie eine unfaire Anschuldigung. Sie quetschten sie aus und ließen dabei viele Umstehende verblüfft zurück. „Warum sollte man die Aktion abbrechen, bevor die Polizei da ist?“, fragten sie Peaches.

„Weil es nicht darum geht, festgenommen zu werden, sondern darum, Leute für den Pussy Riot zusammenzubringen“, antwortete Peaches. Seien wir ehrlich. Wenn es sie nicht gegeben hätte, hätte die ganze Aktion nicht stattgefunden. Sie hat die Möglichkeit aufzustehen und einen Song über die Gruppe zu schreiben, während die meisten anderen Künstler die Sache mit Statements, Zitaten und Reden unterstützen, wie zum Beispiel Madonna, Anti-Flag oder Yoko Ono. Dass sie ihre Unterstützung in einen Performance-Kontext brachte, unterscheidet sie von den Anderen. Daraus wurde eine Art Anti-Celebrity-Statement, und genau das sollte es auch sein.