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BVB

Echte Liebe auf den zweiten Blick? Warum Immobile bleiben sollte

Wie es aussieht, wird Ciro Immobile als Flop gebrandmarkt den BVB verlassen. Doch Immobile und der BVB sollten sich überlegen, ob sie es nicht nochmal versuchen sollen. Es könnte eine Liebesgeschichte werden.
Foto: Imago

16. Spieltag. 75. Spielminute. Als Oliver Kirch dem Wolfsburger Luiz Gustavo mit einer Grätsche den Ball abluchst, gelangt dieser zu Ciro Immobile. Der Italiener treibt in seiner typischen gebückten Haltung unschlüssig den Ball auf das Tor. An der Strafraumgrenze steht nur noch VfL-Verteidiger Knoche. Aubameyang sprintet auf der rechten Seite in den freien Raum. Ich stehe auf der Südtribüne und schreie: „Spiel ab!"–Immobile legt sich den Ball auf den rechten Fuß und wichst ihn unhaltbar in die linke Torecke. 2:1. Das Stadion rastet aus. „Jetzt ist der Knoten geplatzt", schreie ich meinem Kumpel zu.

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Das Spiel endete 2-2. Der VfL Wolfsburg festigte den zweiten Tabellenplatz–der BVB den Relegationsplatz. Das war kurz vor Weihnachten im letzten Jahr. Es sollte Immobiles drittes und letztes Bundesliga-Tor sein. Der Knoten platzte nicht.

Was folgte, war ein tägliches Missverständnis. Die Medien schrieben vom Millionen-Flop. Der 18,5 Millionen-Mann befeuerte dieses Urteil noch, in dem er schwach spielte und eine unglückliche Aussage über die kulturellen Unterschiede zwischen Italien und Deutschland machte. Die ausgebliebende Einladung seiner Mitspieler zum gemeinsamen Essen scheint in seinem Heimatland eine Unart und in Deutschland normal zu sein. Dennoch brachte es seine ganze Verzweiflung und Unzufriedenheit über die neue Situation in Dortmund zum Vorschein und er wurde endgültig zum Sinnbild der Dortmunder Krise verschrien.

Immobile kennt diese Situation nur allzu gut. In Italien hatte er ähnliche Probleme. Vor seinem Wechsel vom FC Turin zum BVB hatte der damals 24-Jährige schon für sechs Profivereine gestürmt. Nach hoffnungsvollen Spielzeiten folgte stets der baldige Einbruch. Ausgebildet bei Sorrento Calcio, in seiner Heimatregion Kampanien an der Westküste Italiens, zog es ihn 2008 zunächst zu Juventus Turin. Trotz Debüt in der Serie A und der Champions League konnte er sich bei der alten Dame nicht durchsetzen und wurde ab 2010 nur noch ausgeliehen. In der Saison 2010/2011 kam er in 20 Spielen für Siena und Grosseto zum Einsatz und schoss nur drei Tore. Im Jahr darauf wechselte er zu Delfino Pescara 1936 in die Serie B, wo Immobile explodierte.

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Zusammen mit Marco Verratti, der heute bei Paris St.-Germain spielt, und Lorenzo Insigne, heute in Neapel, schoss das vom tschechischen Coach Zdenek Zeman geformte magische Dreieck den kleinen Zweitligisten überraschend zum Aufstieg. Toptorjäger Immobile machte 28 Buden und wechselte zum FC Genua. In Genua floppte er wieder, spielte kaum und schoss nur fünf Saisontore. Im Jahr darauf wanderte er weiter zum FC Turin, wo er mit 22 Treffern völlig unerwartet Torschützenkönig der Serie A wurde.

Als Stürmerstar mit Vorschusslorbeeren geholt, folgte beim BVB wieder eine schwache Saison. Fans und Presse sprechen von einem gescheiterten Immobile–von einem großen Missverständnis. Zahlen lügen scheinbar nicht. Häufiges Argument: In 24 Spielen für die Schwarzgelben traf Immobile nur drei Mal. Für den Serie A-Torschützenkönig und fast 20 Millionen Neuzugang eine wahrlich schlechte Ausbeute. Doch die Statistiken werden dem italienischen Nationalspieler nicht gerecht. Er kam in der Bundesliga in nur sechs Spielen über 90 Minuten zum Einsatz und in 15 Partien spielte er–meistens weit–unter 30 Minuten.

Es darf nicht vergessen werden, unter welch chaotischen Zuständen sich der sensible Immobile in seiner neuen Heimat akklimatisieren musste. Neben einer neuen Kultur und Sprache fand er kein intaktes Kollektiv vor. Jürgen Klopp versuchte im Sommer der Pressing-Maschine Borussia Dortmund vor allem den Ballbesitz beizubringen. Das schlug fehl. Der BVB stand zeitweise auf einem Abstiegsplatz, im medialen Krisen-Gewitter und auf einmal sollte wieder der erfolgreiche Pressing-Fussball gespielt werden. Für Immobile war es extrem schwer sich zu integrieren. Die verletzten Leistungsträger, welche alle wie der Italiener hinter ihren Erwartungen blieben, verunsicherten die Mannschaft zusätzlich.

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Nicht nur die Mentalität und die Anzahl der Dinner-Einladungen unterscheiden sich in Deutschland und Italien. Die Umstellung von der Serie A zur Bundesliga fiel vor allem Immobile mit seinen wenigen Einsätzen extrem schwer. In der Bundesliga agieren fast alle Mannschaften gegen den Ball bedeutend intensiver und kompakter als bei den meisten italienischen Mannschaften. In der Serie A konzentrieren sich die Teams häufiger auf die intensive Strafraumverteidigung. Immobile ließ sich oft fallen oder orientierte sich mal auf die Flügel, doch trotz seiner Bissigkeit, der Dynamik im Pressing und seinem absoluten Willen wirkte er im Dortmunder Spiel oft wie ein Fremdkörper der sein Glück erzwingen will. Seine Qualitäten als schneller Umschalt- und Konterspieler konnte er nur selten andeuten.

Ausgerechnet Dortmunds einziger Lichtblick in der abgelaufenen Saison sollte zu Immobiles Problem werden. Pierre-Emerick Aubameyang wurde vom schnellen Flügelspieler zu einem spielenden Stürmer und nutzte Immobiles Anpassungsschwierigkeiten. Der Gabuner traf insgesamt 25 Mal und war unumstrittener Stammspieler. Stürmer-Konkurrent und Neuzugang Adrian Ramos kam deshalb zu noch weniger Einsätzen als Immobile. Wie schnell es in Dortmund jedoch gehen kann, zeigt aber vor allem Aubameyang, der nach seiner ersten Saison auch als Verkaufskandidat galt.

Allgemein hatten es Neuzugänge unter Klopp im ersten Jahr schwer. Das weiß auch sein Vorgänger Robert Lewandowski, der in seiner ersten Saison oftmals eher Chancentod als Toptorjäger war und vier Jahre später als Torschützenkönig zum FC Bayern wechselte. „Es ist normal, dass es Spieler gibt, die länger brauchen, um sich an ein neues Umfeld zu gewöhnen und andere das schneller schaffen—aber man sollte jedem erst mal die Zeit geben", fordert der ehemalige Dortmunder, der Immobile ein schweres Erbe hinterließ. Lewandowski schoss in seiner Premieren-Saison neun Tore in 43 Spielen– Immobile traf in 34 Spielen zehn Mal.

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In der Champions League und im DFB-Pokal spielte nämlich ein anderer Ciro. Lief es in der Mannschaft, so lief es auch bei ihm. In der Königsklasse traf er in sechs Spielen, von denen er nur eins über 90 Minuten bestritt, vier Mal und legte einen weiteren Treffer auf. Unvergessen war vor allem sein Sololauf von der Mittellinie gegen Arsenal London, wo er bewies, dass er kein reiner Strafraumstürmer ist.

Im Pokal schoss er mit zwei Toren den Achtfinalgegner Dynamo Dresden im Alleingang ab. Insgesamt kommt er auf auf drei Spiele, drei Tore und eine Vorlage. Diesen Ciro will man beim BVB auch in der Bundesliga sehen. Kriegt er das Vertrauen von Coach Tuchel so kann er in dieser Saison endlich fruchten und beim BVB ein zusätzlicher Neuzugang werden.

In Dortmund scheint man trotz der hartnäckigen Gerüchten um einen bevorstehenden Wechsel noch an den Italiener zu glauben. „Ciro ist vor dem Tor ein intuitiver Spieler. Er braucht wenige Chancen, um einen Treffer zu schießen", sagte Sportdirektor Michale Zorc. Der neue Trainer Tuchel ist ebenfalls offen für einen Verbleib, fordert aber auch ein bisschen Willen vom 25-Jährigen: „Er hat noch eine Chance bei mir. Genau wie jeder andere Spieler, der Lust aufs Neue hat und bereit ist, sich darauf einzulassen." Seitdem aber bekannt ist, dass Immobile den Verein für 15 Millionen Euro wohl verlassen kann, wirken die Aussagen eher wie Durchhalteparolen. Vor allem Immobile scheint selbst die Lust zu verlassen. Auf der Dortmunder Asien-Reise wirkte er meist unzufrieden und fehlte wegen dem vorgeschobenen Grund "der Zeitumstellung" sogar bei einem Fangespräch in einem Einkaufzentrum.

Ob der Wandervogel Immobile nach nur einem enttäuschenden Jahr wieder aufgibt oder es all seinen Kritiker noch mal zeigen will, hängt alleine von ihm ab. Wenn er den Willen und den Kampf signalisiert, den er auf dem Platz zeigt, kann er für den BVB ein wertvoller Neuzugang sein. Tuchel steht laut eigener Aussage auf die, „die neugierig sind, offen für Neues und die ihr Ego hinten anstellen. Die, die bedingungslos trainieren können." Das kann Immobile–ob in Dortmund oder woanders.