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Polizeipräsenz

Schottland plant Gesichtskontrollen am Stadion

Der Verband überlegt, eine neue Gesichtserkennungstechnologie einzuführen. Nach dem Verbot von Schmähliedern und Alkohol im Stadion fühlen sich immer mehr Fans wie Verbrecher behandelt.
PA Images

Es gibt einige Orte, bei denen man davon ausgehen kann, dass die Privatsphäre mit den Füßen getreten wird. Flughäfen gehören etwa dazu, wo sogar Nacktscanner zum Einsatz kommen. Auch auf U-Bahnhöfen wird ordentlich mit der Kamera auf alles und jeden draufgehalten. Wo man hingegen orwellianische Praktiken deutlich weniger erwarten würde, sind Fußballstadien—auch wenn das in der Realität schon heute anders aussieht. Und in Schottland könnte es noch schlimmer kommen.

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Der schottische Fußballbund (SPFL) hat vor Kurzem eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit dem Vorschlag von Gesichtserkennungstechnologie als Mittel gegen antisoziales Verhalten in Stadien befassen soll. In der Praxis würde das bedeuten, dass man die Gesichter aller Stadionbesucher an den Eingängen aufnimmt und speichert. Würde ein Fan mit Stadionverbot die Tore passieren wollen, würden automatisch Stadion-Security und Polizei eingeschaltet werden. Auf diese Weise wäre es für die Verantwortlichen deutlich leichter, all die Fans aus den Stadien fernzuhalten, die in der Vergangenheit negativ aufgefallen sind.

Bevor eine solche Technologie wirklich zum Einsatz kommen könnte, müsste noch viel Vorarbeit geleistet werden. Trotzdem sorgt der bloße Vorschlag bei den Fußballfans im Norden Großbritanniens für reichlich Unmut. Der Vorwurf, von den Behörden a priori kriminalisiert zu werden, macht sich breit.

Wie unbeliebt diese Gedankenspiele bei den Fans sind, zeigt sich auch daran, dass sogar die Anhänger von Celtic und Rangers mal einer Meinung sind. Beide Fanlager haben bei ihren Heimspielen schon Protestaktionen gegen den Vorschlag organisiert. Gemeinsam forderte man Polizei und Behörden auf, „die Rechte der Fans anzuerkennen." Ein Celtic-Fan hatte am Sonntag auf einem Spruchband gefordert, „die Kriminalisierung von Fußballfans" zu beenden. Auch anderswo in der schottischen Liga kam es zu Gegenaktionen.

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Axe the act pic.twitter.com/WstgjcNdHg
— Morgan Maguire (@MorganM1886) February 20, 2016

Die schottischen Fußballfans fühlen sich zunehmend stigmatisiert. Schließlich ist die mögliche Einführung von Gesichtserkennungstechnologie nicht die erste „von oben" sanktionierte Aktion, um die Menschen auf Fußballtribünen gefühlt an den Rand der Gesellschaft zu drängen.

„Wir sind davon überzeugt, dass es bei dem Vorschlag vor allem um öffentlichkeitswirksames Getue geht, sei es nun von Polizei- oder Verbandsseite", sagt Paul Goodwin, Vorsitzender bei der Fanvereinigung Scottish Football Supporters Association (SFSA). „Es wurde publik gemacht, als man eh grad über das ‚Strict Liability'-Prinzip diskutierte."

Mit „Strict Liability" bzw. Gefährdungshaftung ist ein Grundprinzip der UEFA gemeint, das vorsieht, dass Vereine im Europapokal für das Fehlverhalten ihrer Fans haften, unabhängig davon, ob der Verein alle möglichen Gegenmaßnahmen getroffen hat oder nicht. Ob die „Strict Liability" auch vom schottischen Verband für die heimische Liga übernommen werden soll (ein solcher Schritt wäre freiwillig), sorgt seit Wochen für reichlich Diskussionsstoff. Aktuell sprechen sich die meisten Vereine aber dagegen aus.

Aufgrund der anhaltenden Debatte wird auch viel—für viele Fans zu viel—über das angeblich so schlechte Fan-Verhalten in Schottland diskutiert. Um mal ein paar Zahlen zu nennen: Beim letztjährigen „T In the Park"-Festival, bei dem 85.000 Musikfans drei Tage lang feierten, kam es zu 54 Festnahmen. Während der gesamten Scottish-Premiership-Saison 2014/15, bei der über 1,7 Millionen Fans in die Stadien strömten, kam es zu vergleichsweise geringen 238 Festnahmen.

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„Gesichtserkennung in Fußballstadien ist so wie mit Kanonen auf Spatzen schießen", sagt Goodwin. „Ich habe vor nicht allzu langer Zeit mit der Polizei gesprochen und da war keine Rede davon, dass sie an so einer Technologie interessiert wären. Wir haben auch noch keine Beweise gesehen, die einen solchen Einsatz rechtfertigen würden."

Zu einem Zeitpunkt, wo der schottische Fußball händeringend nach neuen Fans sucht—und gleichzeitig andere Investitionen nötig sind—, gehört die Installation von Gesichtserkennungstechnologie nicht gerade zu dem, was die Öffentlichkeit als Priorität ansieht. Kritiker sind der Meinung, dass der Verband bemüht sein sollte, neue Fans zu generieren, anstatt alteingesessene zu vertreiben.

Massive Polizeipräsenz ist keine Seltenheit in Schottland. Foto: PA Images

Das sehen aber nicht alle so. Mike Mulraney ist Vorstandsvorsitzender des Erstligisten Alloa Athletic. Gleichzeitig ist er SPFL-Vorstandsmitglied und einer der Hauptbefürworter der Gesichtserkennungstechnologie. Er glaubt, dass der Vorschlag falsch aufgenommen wurde.

„Früher wurde uns vorgeworfen, dass wir keine Ideen vorbringen. Genau das haben wir jetzt gemacht. Und auch wenn ich die Reaktion der Fans zu einem gewissen Grad verstehen kann, muss ich sagen, dass es in keinem Fall darum geht, Fans kriminalisieren zu wollen."

Mulraney betont, wie schwer es für Vereine ist, Stadionverbote in der Praxis umzusetzen. „Um ein Stadionverbot aussprechen zu können, müssen wir zum Gericht, was eine aufwendige und schwierige Prozedur ist. Und dann kommen die Leute immer noch ins Stadion rein. Bei Heimspielen ist es schon schwer genug, seine Problemfans aus dem Stadion fernzuhalten, bei Auswärtsspielen ist fast unmöglich."

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Und dann wäre da noch eine weitere Entscheidung, die viele Fans als direkten Angriff aufgefasst haben. Im Januar 2012 hatte die Scottish National Party (SNP) den umstrittenen „Offensive Behaviour and Threatening Communications at Football Act" durch das Parlament geboxt. Das Gesetz sieht vor, dass Fans mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können, wenn sie im Stadion hasserfüllte Botschaften verbreiten (dazu können aber—je nach Auslegung—auch klassische Schmähgesänge zählen). Gleichzeitig wird das Gesetz auch als Angriff auf die Meinungsfreiheit angesehen, weil es im Grunde auch politische Botschaften untersagt (ein schottischer Fan wurde von der Polizei festgehalten, weil er ein „Free Palestine"-T-Shirt getragen hatte). Kritiker bemängeln, dass das Gesetz zu weitreichende Befugnisse an die Polizei übertragen hat.

„Polizei überall, Gerechtigkeit nirgendwo". Foto: PA Images

Die wiederholten Aktionen „von oben" sorgen bei schottischen Fans für reichlich Missstimmung. „In den letzten Jahren wurde hier Fußball—gerade im Vergleich zu anderen Sportarten—stark marginalisiert", erklärt Goodwin weiter. „Bis zu einem gewissen Grad können wir das aufgrund der Vergangenheit nachvollziehen. Doch bei all den Bestimmungen—und der Tatsache, dass man in englischen Stadien ein Bier trinken kann, aber nicht in Schottland—fühlen sich die heimischen Fans schon sehr schikaniert."

Es gibt in so ziemlich jeder Liga auf der Welt Fans, die sich von ihrem Verband missverstanden und ungerecht behandelt fühlen. Aber wohl nirgends ist dieses Gefühl so ausgeprägt wie in Schottland, was einen langsamen Niedergang des Sports eingeleitet hat. Eine Entwicklung, die Gesichtskontrollen an den Einlässen auch nicht verbessern werden.

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Mulraney lässt sich davon nicht beirren. „Man muss sich auch fragen: Wie kann die Gesellschaft am besten Geld sparen? Aktuell nehmen wir Leute fest und stellen sie vor Gericht, was nicht gerade günstig ist. Und das ist auch noch unsere einzige Handhabe. Außerdem geben wir viel Geld für die Polizeipräsenz bei Fußballspielen aus. Könnte der neue Vorschlag diese Kosten reduzieren? Das sollten wir auch berücksichtigen."

An Mulraneys Argumentation könnte durchaus etwas dran sein: Denn für jedes Old-Firm-Derby (Celtic gegen Rangers) muss die Polizei rund 350.000 Pfund blechen—auch wenn die meisten anderen Saisonspiele deutlich weniger kostspielig sind. Die Einführung von Gesichtserkennungstechnologie in der schottischen Liga soll zwar bis zu vier Millionen Pfund kosten (die Regierung hat Subventionen in Aussicht gestellt), doch Befürworter betonen, dass sich das relativ schnell rentieren könnte.

Auch wenn sie in derselben Liga spielen, liegen zwischen Alloa und den Rangers Welten. Foto: PA Images

Spannend wird es, wenn der Vorschlag angenommen wird, die Regierung aber am Ende doch keine Subventionen bereitstellt. Dass große Clubs wie Celtic oder die Rangers die entstehenden Kosten stemmen könnten, gilt als sicher, bei Vereinen wie Alloa Athletic ist es hingegen ausgeschlossen. „Wie sollten wir uns das leisten können?", fragt Mulraney.

Gleichzeitig weiß Mulraney, dass sein Vorschlag noch gekippt werden könnte, und legt die Verantwortung in die Hände der Politik. Aufgrund des Shitstorms, den die möglichen Gesichtskontrollen ausgelöst haben, ist ein positiver Bescheid äußerst unwahrscheinlich.

Doch der Schaden ist schon jetzt angerichtet. Denn immer mehr Anhängern ist klar: Obwohl der schottische Fußball gut beraten wäre, neue Fan-Generationen an den Sport heranzuführen, scheinen viele auf Verbandsebene gewillt, genau das Gegenteil zu bewirken.