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Menschen

Ein Transmann beantwortet alle Fragen, die ihr euch vielleicht nie gestellt habt

Wann weiß man, dass man Transmann ist? Wie verändert man sich, wenn man Testosteron bekommt? Gibt es Phasen, in denen man nicht weiß, auf welches öffentliche Klo man gehen soll?
Der Transmann Sam beantwortet uns Fragen über Sex, Kinder und seinen Penis

Transmänner sind Männer, die im Körper einer Frau geboren sind. Für unsere Doku im Rahmen der zweiten Staffel von VICE Alps haben wir ein Jahr lang Sam begleitet, der schon mehrere Operation hinter sich hat und seit 2011 Testosteronspritzen bekommt. Sam spricht sehr offen über alles, arbeitet in einem Verein, in dem er andere Transmänner und ihre Angehörigen berät und hat einen Blog, auf dem er erzählt, erklärt und und unterstützt.

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Wir haben in diesem Jahr viele Stunden mit Sam, seiner Mutter, seinen Freunden und Ärzten gesprochen und so viel gelernt, dass nur ein Bruchteil in der Dokumentation Platz gefunden hat. Also haben wir Sam gebeten, uns doch noch ein paar Fragen zu beantworten, deren Antworten wir euch mitgeben möchten.

Fotos aus der Vergangenheit von Sam, der transgender ist

VICE: Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass du ein Transmann bist?
Sam Schweiger: Schon ziemlich früh. Also bei mir war das im Kindergarten. Aber was konkret nicht stimmt, weiß man nicht. Ich wusste immer, wie auch in der Doku erwähnt, dass ich keine Frau bin, mich anders fühle—aber mir war nicht klar, ob mich das automatisch zum Mann macht.

Du merkst jedenfalls, dass dein Körper nicht zu deinen Gefühlen passt. Du willst keine Brust, sondern einen Penis. Die Pubertät ist schrecklich. Du fühlst dich überhaupt nicht wohl. Gedanken und Gefühle passen nicht zu dem, wie man wahrgenommen wird. Viele flüchten sich in andere Realitäten. Ich hatte regelrecht Angstzustände und Panikattacken aufgrund meines eigenen Körpers. Im Kopf und in der Fantasie, in den eigenen Träumen, nimmt man sich als männlich wahr. Mit einem männlichen Körper. Ich habe mich danach gesehnt, dass andere sehen, was in mir ist. Ich habe mir so gewünscht, dass andere sehen können, wer ich bin.

Anfangs hatte ich Angst, was ich alles machen muss, um als der leben zu können, der ich bin. Diese sogenannte Erleuchtung ist eigentlich dann der Mut, die Entscheidung zu treffen, diesen Weg der Angleichung zu gehen. Meist merken enge Freunde schon früh, dass du ein Mann bist, aber ich selbst habe gebraucht, um mich zu trauen, es zu leben. Es ist befreiend es dann zu tun und das man die Möglichkeit hat. Aber jeder in seinem Tempo.

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Die wichtigste Erkenntnis für mich war, dass es keinen medizinischen Beweis geben muss, wer man ist—ob Mann oder Frau. Es kommt darauf an, wie ich mich fühle und was ich will. Solange ich niemand anderem schade, kann ich mein Leben leben wie ich will, als der Mensch, der ich bin oder sein will.

Was ist, wenn jemand aus Gewohnheit „sie" zu dir sagt?
Transmänner waren nie Sies. Vielleicht vom Gesetz her, aber nie vom Empfinden. Also, auch wenn man von der Vergangenheit eines Transmanns spricht, dann sagt man immer er.

Wieso nicht als biologische Frau leben?
NIEMALS! Vorher überlegt man lange und hadert und zweifelt und denkt sich, wie wäre es, als Mann zu leben? Eine Angleichung ist ja auch verhältnismäßig „leicht" in Österreich. Für mich war das die einzige Richtung, in die ich gehen konnte. Ich selbst entscheide, wie weit ich gehe und was ich durchziehe, gerade bei den Operationen. Ich selbst entscheide, wie mein Leben aussieht. Sogar mit Nebenwirkungen würde ich es immer wieder machen und möchte keinen Tag meines Lebens mehr auf Testosteron verzichten.

Der Transmann Sam

Foto mit freundlicher Genehmigung von Sam Schweiger.

Wie verändert man sich, wenn man Testosteron bekommt?
Zunächst mal wächst durch Testosteron die Klitoris zu einem Mini-Penis. Sie wird genauso steif wie beim Mann wenn man erregt ist. Der Orgasmus wird dann immer noch über die Klitoris ausgelöst. Außerdem bekommt man eine starke Behaarung und ein kantigeres Gesicht, kommt in den Stimmbruch, bekommt Haarausfall am Kopf, die Statur, die Haut und der Geruchssinn verändern sich. Man hat einen männlicheren Körperbau und der Eigengeruch und die Geruchswahrnehmung sind anders.

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Aber zu den körperlichen Veränderungen kommen auch die psychischen. Persönlich kann ich sagen, hat es mich ruhiger gemacht: Ich bin bei mir angekommen. Die depressiven, östrogengesteuerten Emotionen sind weg, dafür bin ich phlegmatischer aber auch schneller reizbar. Es ist wie ein bisschen „gesetzter" zu sein. Und das Wichtigste: Es bin endlich ich.

Durch diese Veränderung ist man viel sicherer. Mit sich selbst und deswegen auch gegenüber anderen. Man kommt an, man fühlt sich in sich ruhend und es gibt einem Kraft und Selbstbewusstsein und sofort verändert sich dein Körper, deine Stimme, dein Aussehen, dein Auftreten. Ich nehme jetzt seit fünf Jahren Testosteron und ich kann es mir ohne gar nicht mehr vorstellen.

Gibt es Augenblicke, in denen du zweifelst?
Wenn mich Menschen am Telefon als Frau ansprechen, weil die Stimme nicht hinhaut. Wenn private Beziehungen enden und man nicht weiß, ob die Transidentität der Grund dafür war. Wenn ich mich nicht ganz ausziehen kann, weil man dann sehen würde, dass ich Narben habe und einiges nicht biologisch gewachsen ist. Und wenn ich sehe, dass andere mit 16 schon wissen, was sie wollen und den Weg gehen und ich bis 35 gebraucht habe.

Wie funktioniert der Sex?
Gut, sehr gut sogar. Wie bei jedem Menschen oder Mann auch. Sexualität ist etwas Emotionales, Zwischenmenschliches und sehr Individuelles. Sex besteht aus so viel mehr als aus einem Penis, einer Vagina oder anderen bestimmten Körperteilen. Wenn aber jetzt nur rein die Mechanik gemeint ist:

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Anfangs kann man Hilfsmittel wie Packer oder Penisprothesen benutzen. Dann geht es durch den Penis-Aufbau ganz normal. Sexualität kommt immer auch auf dein Gegenüber an. Manche wollen keine Hilfsmittel und anderen ist es egal, ob du einen „natürlichen" Penis, oder einen „Umgeschnallten" oder eben einen „Konstruierten" (Penoid-Aufbau) hast. Nachdem ein Penis aufgebaut wurde, kann man eine Erektionspumpe, einbauen. Dabei werden Schläuche in den Penis gelegt und mit einem Flüssigkeits-Reservoir im Bauchraum verbunden. Die Pumpe und das Ventil finden im Hoden Platz. Wenn man einen steifen, erigierten Penis möchte, drückt man zwei- bis dreimal auf die Pumpe und der Penis ist „bereit für den Einsatz". Nachher lässt man durch das Ventil im Hoden die Flüssigkeit wieder ins Reservoir zurück.

Auch ohne Penoid-Aufbau kann man ein erfüllendes Sexualleben haben. Viele—und ich persönlich auch—können sich jedoch mit Ihrem Körper, der der falsche zum gefühlten Geschlecht ist, nicht hingeben, bevor die ersten OPs durchgeführt wurden. Ich konnte mich selbst nicht ansehen oder anfassen lassen. Das ging erst mit Hormonen und den Operationen.

Und sonst funktioniert Sex so: Zwei Menschen treffen sich, finden sich attraktiv und früher oder später werden sie intim und landen im Bett.

Transidentität hat nichts mit Sexualität zu tun. Auch transidenten Menschen steht das volle Spektrum der sexuellen Orientierung zur Verfügung.

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Sind Beziehungen irgendwie anders?
Die Beziehungen, die ich bis dato hatte, haben mein Sein alle akzeptiert und es war nie ein Thema, dass ich ein Transmann bin. Ich bin heterosexuell, stehe also auf Frauen und meine Partnerinnen haben sich in den Mensch und den Mann verliebt. Äußerlichkeiten waren nie wichtig. Das Innere muss passen. Umgekehrt für mich ja auch. Es war nie relevant, in welchem Prozess ich gerade war. Ob vor den Hormonen oder während Operationen, meine Partnerinnen standen immer hinter mir. In Wahrheit zählt nicht das Geschlecht, sondern der Mensch. Transidentität hat nichts mit Sexualität zu tun. Auch transidenten Menschen steht das volle Spektrum der sexuellen Orientierung zur Verfügung.

Gibt es Phasen, in denen man nicht weiß, auf welches öffentliche Klo man gehen soll?
Das ist auch so eine individuelle Sache. Jeder wie er sich traut. Manche warten, bis sie äußerlich so angepasst sind, dass man ihnen das weibliche Äußere nicht mehr ansieht. Andere gehen schon immer auf die Männertoilette, auch vor der Transition. Bei mir persönlich war es so, dass ich schon lange vor meiner ersten Hormonspritze auf die Männertoilette gegangen bin. Zwar mit gesenktem Kopf und grimmig drein schauend, damit man mir das Mannsein irgendwie ansieht aber dennoch immer zu den Männern. Hat viel mit Selbstbewusstsein zu tun.

Oft wird man dann rausgeworfen oder es kommt zu peinlichen Situationen, aber das kam es auf Frauentoiletten auch, wenn man entweder kreischend oder charmant gebeten wird, zu gehen. Das zaubert einem ein breites Grinsen ins Gesicht, wenn einem so etwas passiert. Weil man dann weiß, dass man als Mann wahrgenommen wird.

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Wie reagieren Menschen, die dich nicht kennen, wenn du ihnen sagst, dass du Transmann bist?
Gute Frage. Im Prinzip geh ich nicht raus und sage „Hallo, ich bin der Sam. Ach ja, bevor ich es vergesse: Ich bin ein Transmann." Also bis dato haben die Menschen, die ich persönlich getroffen habe, interessiert oder gleichgültig, neugierig oder wissbegierig, freundlich und positiv reagiert. Manchmal verlegen, weil sie nicht wussten, was das ist. Voraussetzung ist immer, wie man sich kennenlernt.

Wenn sie aufgrund der Thematik bereits auf mich zukommen oder mich ansprechen, dann ist es immer positiv. Im Berufsleben reagiert keiner, weil es nur wenige wissen. Im Alltag, bei fremden Menschen, Kunden oder in Lokalen oder Geschäften werde ich immer als Mann wahrgenommen. Es gibt ja Situationen, in denen ich es nicht verheimlichen kann beziehungsweise in denen ich es sagen muss. Ich persönlich würde es auch nie verheimlichen. Ich bin froh und stolz, ein Transmann zu sein. So durfte ich beide Seiten des Lebens kennenlernen und möchte nichts davon missen.

Was ist besser am Mannsein?
Gegenfrage: Was ist Mannsein? Es ist eine Grundsatzfrage, die in dem Wort Mannsein steckt. Und besser ist schon einmal gar nichts. Ein Transmann trifft ja keine Entscheidung und sagt: Jö, ein Mann hat es in unserer Gesellschaft ungerechterweise leichter und deshalb lasse ich mich jetzt aufgrund von gesellschaftspolitischer oder finanzieller Vorteile angleichen. Transidentität ist ja keine Entscheidung! Leben im eigenen Seelengeschlecht sucht man sich nicht aus—man ist es und man will es leben können. Es gibt kein besser oder schlechter. Was ist Mannsein oder Frausein genau? Was definiert uns? Für jeden ist es etwas anderes.

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Einen Mann, der als biologischer Mann auf die Welt gekommen ist und nicht transident ist, wird sich niemals so viel damit auseinandersetzen, was Mannsein ist. Er fühlt sich wie ein Mann, also ist er einer. Es gibt wohl wenige, die sich mit sich und der eigenen Existenz so viel auseinandersetzen wie transidente Personen. Natürlich versucht man sich an das äußere Bild des Geschlechts anzupassen, weil ein Bart oder ein Penis eben als männlich wahrgenommen werden. Aber es ist nichts besser am Mannsein, auch nicht schlechter. Es ist, was ich bin und wie ich mich fühle. Wer aus einer falschen Motivation heraus diesen Weg geht, ist entweder nicht authentisch oder nicht transident.

Der Transmann Sam auf Fotos zu unterschiedlichen Zeiten seiner Transiston

Foto mit freundlicher Genehmigung von Sam Schweiger.

Was hat sich in deinem Leben verändert, jetzt wo du als Mann leben kannst?
Durch die Hormone und die Vornamens- und Personenstandsänderung hat sich mein Leben dahingehend verändert, dass ich jetzt offiziell und rechtlich anerkannt und überall eingetragen als Mann aufscheine. Ich habe eine neue Geburtsurkunde, neue Ausweise und arbeite als Mann in meinem Beruf. Die Hormone haben dann noch das Aussehen wunschgemäß verändert, sodass jetzt niemand mehr erkennen kann, dass ich im falschen Körper auf die Welt gekommen bin. Somit hat sich sehr viel verändert, aber alles zum Positiven. Wenn man endlich als der im Leben steht, der man ist. Ich kann jetzt heiraten und Kinder adoptieren oder mit einer Partnerin Kinder in die Welt setzen.

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Transmänner zu dir kommen?
Wo wende ich mich hin, was sind die ersten Schritte, wie war das bei dir? Wie lange dauert der Prozess, wie oute ich mich? Mein Umfeld toleriert es nicht, ich bin zu jung und brauche die Einwilligung meiner Eltern. Was tue ich? Wann kann ich endlich Testo bekommen? Wo bekomme ich Binder und Penisprothesen her? Wie und wo kann ich mich operieren lassen? Wo finde ich gute Therapeuten und Ärzte. Was kostet das alles? Berätst du auch Angehörige? Ich habe Probleme in der Schule oder in der Beziehung. Kannst du mir helfen? Und und und.

Wie hast du es deinem Umfeld erzählt und wie hat es drauf reagiert?
Bei mir haben alle positiv darauf reagiert. Sie haben ja schon immer mitbekommen, dass da was „anders" ist und waren erleichtert, dass ich endlich etwas gesagt habe. Privat aber auch in der Arbeit haben anerkennend und super reagiert. Meine Mutter hat ein wenig gebraucht, sich umzugewöhnen, aber sie ist immer hinter mir gestanden und alle Menschen in meinem Leben auch. Mobbing kenne ich aus persönlicher Erfahrung zum Glück nicht und Negatives habe ich nur durch meine Präsenz im Internet erfahren. Jemanden zu beschimpfen und ihn mit Vergasen und Mord zu bedrohen geht anonym natürlich leichter. Online sind schon sehr schlimme Reaktionen gekommen.

Bist du jetzt zufriedener mit deinem Leben als vorher?
Ja, ich habe keine Ängste mehr. Alles fühlt sich großartig und richtig an.