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Kultur

"Talent vergeht nicht": Die erste Varietéshow für Showgirls über 40

Diese Frauen beweisen, dass Talent nichts mit dem Alter oder dem Aussehen zu tun hat.
Photo by Jaimie Franchi

In einem angesagten Club in San Francisco, der Beatbox, fand vor Kurzem eine ganz besondere Varietéshow statt. Zu sehen waren dort unter anderem eine klimpernde Bauchtänzerin mit einem beeindruckend durchtrainierten Bauch, eine sprücheklopfende Komikerin, die Witze über ihr Sexleben riss, und eine gelenkige Poledancerin, die zu ihren neonfarbenen Höschen ein violettes Cape trug (als Hommage an Prince). Das Ungewöhnliche an dieser Show war jedoch, dass alle Frauen über 40 waren—die älteste von ihnen war 72 Jahre alt.

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Genau genommen waren fast alle über 40. Mit 39 Jahren, 20 Stunden und 10 Minuten hatte Revolva, die Hula-Hoop-Künstlerin mit den pinken Haaren und Produzentin der Show, noch etwas Zeit. „Eigentlich würde meine Karriere heute Nacht um Mitternacht enden", sagte sie. „Ich werde 40 und wir wissen alle, dass Frauen über 40 unsichtbar sind, nicht wahr?" Das ist der Kern von BroadMinded, einer Varietéshow für Frauen über 40, die zeigen soll, dass Talent kein Verfallsdatum hat.

Alle Fotos: Jaimie Franchi

„Frauen wird immer wieder gesagt, dass ihr Aussehen ihr größtes Kapitel wäre, weshalb wir uns auch schon viel früher und eingehender mit dem Älterwerden beschäftigen", sagt Revolva, die auf der Bühne steht, seit sie vier Jahre alt ist. Sie hat bereits als Vorgruppe von OK Go und „Weird Al" Yankovic gearbeitet und kann sechs Hula-Hoop-Reifen gleichzeitig in der Luft halten, während sie einen Spagat macht. Doch je älter sie wurde, desto häufiger blieben die Aufträge aus. Die Produzenten casteten lieber jüngere Frauen (mit weniger Talent). „Das war wirklich deprimierend", sagt sie. „Muss ich aufhören, obwohl ich gar nicht möchte? Deswegen habe mich auf die Suche nach älteren Frauen gemacht, die noch immer auf der Bühne stehen und zu denen ich aufsehen konnte."

Sie war überrascht und beeindruckt, wie viele Frauen sie gefunden hat. „Man muss sie nur suchen", sagt sie. „In den Medien findet man sie allerdings nicht so einfach." Nach kurzem Zögern nahm Revolva Kontakt zu den Künstlerinnen auf. Die Antwort kam prompt—und war durchweg positiv. Die Frauen entschieden, eine eigene Varietéshow auf die Beine zu stellen. Damit wollten sie offen zeigen, dass es Frauen gibt, die sich weigern, sich über ihren „Seniorenstatus" definieren zu lassen.

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Die 57-jährige Bauchtänzerin Leela ist für ihren siebenminütigen Auftritt 14 Stunden lang gefahren. Sie trägt Glöckchen um die Hüften und die Taille und gleitet über die Bühne, als hätte sie winzige Rollen unter den Füßen. „Das war das erste Mal, dass ich von einer Show gehört habe, in der Frauen über 40 auftreten!", sagt sie. Man kann die Begeisterung in ihrer Stimme hören. „Ich freue mich, dass ich Teil eines so außergewöhnlichen Projekts sein kann." Vor 20 Jahren begann Leela Tanzunterricht zu geben und aufzutreten—ein ungewöhnlich später Karrierebeginn für eine Tänzerin. Normalerweise arbeiten Bauchtänzerinnen in orientalischen Restaurants und sammeln dort das Trinkgeld von den Tischen ein. „Für eine normale Bauchtänzerin endet die Karriere mit 30", sagt sie. „Dabei ist es eigentlich viel interessanter, jemandem zuzusehen, der eine Geschichte zu erzählen hat."

Sie betont, dass Talent nicht vergeht, nur weil die Schenkel etwas dicker werden. Leela hat zwei Kinder bekommen. Wenn sie tanzt, trägt sie ein elegantes Kleid anstelle eines mit Münzen gepanzerten Bikinioberteils. „Beim Tanzen geht es nicht darum, einen schönen Körper zu haben", sagt sie. „Es geht darum, sein Innerstes durch die Bewegungen sichtbar zu machen. Je erfahrener man ist, desto berauschender sind die Bewegungen."

Die Golden Follies. Foto: The Golden Follies

Die 72-jährige Tänzerin Sandy Eggers ist derselben Meinung. „Ich werde nicht aufhören zu tanzen, nur weil mein Körper ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat!", sagt sie. Auf der Bühne wirft sie Arm in Arm mit anderen Frauen in lindgrünen Handschuhen die Beine in die Luft, während andere ihre Hüte herumwirbeln. Sie alle sind Mitglieder der Golden Follies, einer Broadway-Tanzgruppe, die 2000 von Susan Bostwick mitbegründet wurde. Bostwick ist die Managerin von 25 Frauen und drei Männern im Alter von 60-92 Jahren (sie sagt, die 92-Jährige sei die weltbeste Stepptänzerin). Normalerweise ist ihr Publikum etwas reifer—mehr Seniorenresidenz und weniger Disko.

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Dennoch war Bostwick absolut begeistert von der Idee, bei BroadMinded aufzutreten. Der Auftritt der Poledancerin war in ihren Augen „bemerkenswert". „Wir überraschen unser Publikum", sagt sie. „Zuerst denken die Leute, dass sie ihre Großmutter auf der Bühne zu sehen kriegen, aber dann sehen sie das Talent, die Energie und die Schönheit der Künstler." Sie beharrt immer auf ein hohes Niveau: Alle Tänzer müssen zum Vorsprechen kommen und ihr Können unter Beweis stellen. Die Leute zahlen Geld für die Tickets, erklärt sie, deshalb ist es wichtig, dass sie echte Talente zu sehen bekommen. Die Golden Follies kleiden sich dem Anlass entsprechend. Zu ihrer Garderobe gehören unter anderem auch mit Gold verzierte Jacken und Elvis-Perücken, oder auch glitzernde Trikots mit turmhohen Kopfbedeckungen im Las Vegas-Stil.

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Revolva wirkt begeistert, als das Publikum klatscht. Endlich können die Leute sehen, was sie sieht. „Wir haben sie aus den Socken gehauen und zwar ganz unabhängig von unserem Alter. Wir haben einfach eine großartige Show auf die Beine gestellt", sagt sie.

Für das große Finale der Show springt Revolva aus einer zweistöckigen zusammenfaltbaren Torte, auf der „für immer 29" steht. Sie schneidet eine Grimasse, schubst die Torte zur Seite und stellt sich in einem glitzernden, silbernen Einteiler auf die Bühne. Eine große pinke „40" schmückt ihre Taille. Mit ausgebreiteten Armen stellt sie sich vor das Publikum.

Als sie sich umdreht, sieht man, dass in Großbuchstaben das Wort „STOLZ" über ihrem Hintern steht.