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erwachsen werden

Warum wir für die Bundesregierung alle Memmen sind

Mitte 20, kein eigenes Einkommen, die Miete zahlt Mama. Na, erkennst du dich wieder?

Collage: Lisa Ziegler mit Imago | granata images

Wir sind alle Memmen, die Angst vor dem Erwachsenwerden haben. Vermutlich auch du. Und die Autorin des Textes.

Das ist jetzt zumindest offiziell. Für die Bundesregierung in einem 575-Seiten-Bericht dokumentiert. Das Ergebnis:

Wir bleiben Jugendliche, bis wir 30 sind.
Teenager ist man nur bis 19? Von wegen.

Alle vier Jahre erscheint der Kinder- und Jugendbericht. Zwölf Wissenschaftler schreiben über Millennials – ja, das ist der fancy Begriff für uns. Es geht darin nicht darum, ob Menschen zwischen 17 und 25 die Generation Y, die Generation Praktikum oder die Generation Me sind. Die Wissenschaftler haben Studien und Fakten darüber zusammengetragen, wie wir tatsächlich leben. Und das Urteil klingt ziemlich übel:

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"Die Frage von biologischer Reifung und sozialer Entwicklung hat sich zeitlich entkoppelt", sagt Thomas Rauschenbach, Verfasser des Berichts, dem ZDF. Den Satz muss man erstmal sacken lassen. Soll das heißen, wir leben als volljährige Menschen unselbstständig vor uns hin, als wären wir noch Kinder? Rauschenbach erklärt weiter: Während Teenies in den 60ern mit 16 Jahren die Schule beendet und mit 19 ihr erstes Geld verdienten, sei man heute zwar mit 18 Jahren volljährig, "hat aber noch nichts". Das heißt also: ja.

Warum? Schauen wir in den Bericht.

Erwachsensein messen die Soziologen vereinfacht an drei Kriterien: ausziehen, selbst Geld verdienen, selbst Eltern werden. Und in zwei der drei Punkte sind wir tatsächlich deutlich später dran als die Generationen vor uns.

Beginnen wir mit dem unstrittigen Punkt: Junge Menschen heiraten heute im Durchschnitt später. Von 1970 bis 2010 rutschte das Alter von Mitte 20 auf Anfang 30. Auch das erste Kind bekommen Frauen laut Bericht heute sechs bis acht Jahre später als Frauen 1970. Gehen wir weiter zum nächsten Punkt: eigenes Geld verdienen.

Wir können unsere Miete später selbst zahlen als unsere Eltern. Das liegt vor allem daran, dass wir später anfangen zu arbeiten. 1960 waren 80 Prozent der 20- bis 25-Jährigen erwerbstätig. Heute arbeiten nur noch knapp zwei Drittel der gleichen Altersgruppe. Der Übergang von der Schule in den Beruf läuft "zeitlich ausgedehnt" und "zunehmend diskontinuierlich". Was das heißt, wissen wir nur zu gut: ein Jahr Südamerika, zwei Praktika in Hamburg und Nepal, oder einfach zweieinhalb Jahre Berlin zum "Studium", solange das BAföG fließt.

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Dass wir länger von unseren Eltern abhängig sind, liegt aber nicht nur daran, dass wir später arbeiten, sondern auch an der Art von Jobs, die wir schließlich bekommen. Im Vergleich zu unseren Eltern sind wir häufiger nur befristet angestellt und verdienen in unseren ersten Jobs schlecht.

Aber es gibt einen Punkt, in dem wir das Bild der ewigen Teenie-Loser ein bisschen brechen können. Bevor eure Eltern und Großeltern euch also fertig machen, weil wir alle so unselbstständig und verantwortungslos sind: Heute leben immer mehr Unter-25-Jährige in ihrer eigenen Wohnung. Das zeigen Shell-Jugendstudien seit den 1950ern.

Grafik aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht

Mit 20 leben noch drei Viertel der "Millennials" zu Hause. Aber Hotel Mama bis wir 30 sind? Nicht mit uns. Junge Frauen ziehen im Durchschnitt zwei Jahre früher aus (mit 21) als junge Männer (mit 23). Gymnasiasten ziehen im Mittel mit 21 aus – fürs Studium. Azubis mit Hauptschulabschluss ziehen im Durchschnitt mit 25 aus, oft weil sie mit ihrem Partner zusammenziehen.

Insgesamt gilt: Wer mehr Geld von seinen Eltern hat, zieht früher aus. Das ist klar, und trotzdem ist es unfair.

Fassen wir zusammen: Wir bekommen später Kinder, heiraten später oder gar nicht, finden uns in einer anderen Arbeitswelt wieder als unsere Eltern und leben in WGs, Wohnprojekten, der ersten eigenen Ein-Zimmer-Wohnung. Und ja, die wird bei einigen von uns noch von Mama und Papa bezahlt.

Aber das Jungsein ist doch kein Makel, sondern ein Privileg. "Wir" sind viele. "Wir" kommen aus 600-Einwohner-Dörfern, aus Berlin oder aus Syrien und sind vor Kurzem erst nach Deutschland gekommen. (In der ersten Hälfte von 2016 wurden 58,9 Prozent der Asylanträge von Unter-25-Jährigen gestellt.) "Wir" leben in einer anderen Welt als unsere Eltern und gehen andere Wege. Und das ist auch vollkommen in Ordnung.

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