Proto-Siri und KGB-Gier: Die Geschichte des Tetris-Erfinders Alexei Paschitnow
Alexei Paschitnow 1993 in seiner Wohnung in Moskau. Mit freundlicher Genehmigung von Total Games

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Proto-Siri und KGB-Gier: Die Geschichte des Tetris-Erfinders Alexei Paschitnow

Wenn du dem KGB entkommen bist und das beliebteste Videospiel der Geschichte in deiner sowjetischen Freizeit entwickelt hast, dann fällt es dir nicht schwer, einen glücklichen Lebensabend zu verbringen.

Auf dem Nummernschild des Teslas prangt es in großen Lettern: TETRIS. Alexei Paschitnow, der Entwickler des legendären Games, sitzt auf dem Beifahrersitz seines Wagens, während ich das Auto durch die Straßen von Bellevue im US-Bundesstaat Washington lenke. Alexeis Beifahrerqualitäten erinnern mich an GTA: „Los, tritt aufs Gas! Schneller!"

Alexei hatte nach unserem Mittagessen bei einem gemeinsamen Bekannten darauf bestanden, dass jeder von uns eine Runde in seinem Tesla durch die Vororte von Bellevue dreht. Während wir nun über die hügeligen Straßen der neuen Heimatstadt des 58-jährigen Paschitnows jagen, gab uns die Beschleunigung des Elektroautos immer wieder das illusorische Gefühl vom kurzzeitigen Aussetzen der Schwerkraft.

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Wenige Stunden zuvor hatte ich mit dem Entwickler des erfolgreichsten Games aller Zeiten über den russischen Kampf gegen die Nazis, seine ausdauernde Leidenschaft für den Spieleklassiker ​Lode Runner und seine akademische Arbeit an Künstlicher Intelligenz und Spracherkennungsprogrammen im Kalten Krieg gesprochen. Paschitnow erzählte mir auch von einer Menge anderer Spiele, an denen er gearbeitet hat, wie zum Beispiel ​Yoshi's Cookie, oder seiner Zeit als Microsoft-Entwickler während der Anfangsjahre der Xbox.

Die Meisterleistung von Alexei Paschitnow ist vielfach in Artikeln und Interviews dokumentiert und gewürdigt worden. Ich wollte Paschitnow treffen, um mehr über die vielen Facetten seines Lebensweges zu erfahren, der ihn aus einer beengenten sowjetischen Eliteakademie, über einen persönlichen Kultstatus in den Anfangsjahren des Internets, bis in die Beschaulichkeit der 100.000 Einwohner Stadt im Westen der USA geführt hatte.

Die Intelligenzija liebte das Spiel mit den perfekten Formen und den reinen Konstruktionsprinzipien.

Sheila Boughten, die Geschäftsführerin von Tozai Games, hat als einzige Konstante im Leben von Paschitnow seine Vorliebe für schnelle Fahrzeuge ausgemacht. Sie erzählte mir, wie sie in den Jahren des Untergangs der Sowjetunion für die ​Softwarefirma Bullet-Proof, die Migration talentierter Entwickler von Russland in die USA koordinierte. Dabei lernte sie auch Paschitnow kennen, und verschaffte ihm 1990 schließlich ein amerikanisches Arbeitsvisum.

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„In Moskau fuhr damals jeder wie ein Wahnsinniger", erinnert sich Boughten im Gespräch mit mir an die Verkehrsverhältnisse in den letzten Jahren der Sowjetunion. „Und Alexei war mit seinem sowjetischen Fiat-Klon immer mitten drin. Ich sagte zu Alexei: 'Sei vorsichtig, ich will nicht in Russland sterben'." Er antwortete nur trocken: „Sheila, ich kann dir sagen, du willst hier lieber sterben, als in einem russischen Krankenhaus zu landen."

Die letzten Glasnost-Jahre waren für die Sowjetunion eine chaotische Zeit—und die Besucher aus dem Westen traf es besonders hart. Boughten erinnert sich noch lebhaft daran, wie Paschitnow darauf bestand, sie und ihren Bullet-Proof-Kollegen Scott Tsumura zum Abschied bis zum Zug am Moskauer Bahnhof zu eskortieren: Fremde Leute schnüffelten an ihren Koffern herum und hätten sie ihnen am liebsten aus der Hand gerissen. „Es war ein riesiges Chaos", so Boughten. „Wir waren Amerikaner mit Koffern voller Dinge, die alle gern haben wollten. Alexej kämpfte uns förmlich den Weg zum Gleis frei und verscheuchte Trauben von Menschen, die uns schubsten und versuchten, unserer Koffer habhaft zu werden."

Einige Tage nach unserer Spritztour sprach ich erneut mit Paschitnow und erkundigte mich nach seiner derzeitigen Beschäftigungssituation: „Ich kann nicht sagen, dass ich mich gerade überarbeite", so seine Antwort.

Verglichen mit seinen Arbeitsbedingungen in der damaligen Sowjetunion, als er an der russischen Akademie der Wissenschaften forschte, könnte sein Leben heute kaum unterschiedlicher aussehen. Zu jener Zeit wachte er zwischen 7:30 und 8 Uhr auf; „manchmal auch später, weil ich jeden Tag bis nach Mitternacht arbeitete."

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Die Enge der sowjetischen Spitzenforschung

Nach dem Frühstück kümmerte er sich um die lästigen Pflichten des Alltags, erledigte ein paar Besorgungen und fand sich schließlich um 10 Uhr in seinem Büro in der renommiertesten Wissenschaftseinrichtung Russlands ein. Sein Arbeitsplatz stand in einem winzigen, überfüllten Raum, der eigentlich für vier oder fünf Forscher vorgesehen war. An den meisten Tagen drängten sich in dem Raum bis zu 15 Kollegen.

„Wir hatten kaum Platz", erzählte er mir. „Ich teilte mir meinen Tisch mit drei anderen Wissenschaftlern und übernahm vor allem die späten Schichten, weil dann der Schreibtisch frei war." Wenn es am Abend endlich ruhiger wurde, machte Alexei sich an seine Entwicklungen zu Künstlichen Intelligenz und automatischer Spracherkennung: „Ein Feld, dass sich in gewissem Sinne immer noch auf einer sehr primitiven Stufe befindet", kommentierte er mir gegenüber.

Seine damalige Arbeit umschreibt Alexei heute mit einem Wort als „heuristisch". Vor allem machte ihm jedoch zu schaffen, dass seine Experimente maßgeblich dem Militär dienten, auch wenn die Wissenschaftler der Akademie selten genau erfuhren, wofür ihre Grundlagenforschung später eingesetzt wurde. Entsprechend machten Gerüchte an der Akademie die Runde. Eine dieser „Legenden", wie Alexei Paschitnow sie nennt, besagte, dass die von ihm entwickelte Technologie zur automatischen Spracherkennung Kampfpiloten bei extremen Fliehkäften unterstützen sollte: Mit der Technik hätte Piloten demnach ihr Flugzeug steuern sollen, wenn die Lenkung per Hand bei den hohen G-Kräften nicht möglich ist.

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Der KGB wollte mein Spracherkennungsprogram benutzen, damit die Abhörbänder bei verdächtigen Schlagworten automatisch Aufnehmen

Es gab jedoch noch einen anderen „düstereren Praxiseinsatz" von Alexei Paschitnows Entwicklungen, die er mir auch als eine Art Siri-Prototypen erklärte: Der KGB schickte seine Mitarbeiter der internen Forschungs- und Entwicklungsabteilung regelmäßig in das beengte Büro, dass sich Alexei Paschitnow mit seinen Kollegen der Akademie teilte. Paschitnow erklärte mir, dass der immense Hunger des KGBs nach immer mehr und immer neuen Abhörmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung, nur durch technische Beschränkungen begrenzt war. Es war mit der damaligen Technologie schlicht nicht möglich dauerhaft alles aufzunehmen.

Der KGB wollte Alexei Paschitnows Spracherkennungsexperimente deshalb für ein Audiosystem nutzen, das automatisch die Aufnahme startet, wenn bestimmte Schlagwörter fallen, die der Staat als gefährlich oder verräterisch einstufte.

Paschitnow erklärte mir, dass er und seine Kollegen der Akademie „offensichtlich versuchten solche Arbeiten und Fortschritte zu meiden." Letztlich war er relativ unpolitisch, aber der Nationalismus, der von jedem sowjetischen Bürger und erst Recht von einem Computerexperten an der Akademie der Wissenschaften, verlangt wurde, machte ihm zu schaffen.

Simulieren für Lenin

Boughten berichtete mir von einem gemeinsamen Ausflug zum Leninmausoleum auf dem Roten Platz, bei dem die beiden, wie alle anderen Besucher auch, an dem aufgebahrten Säulenheiligen der Sowjetunion vorbei geführt wurden: „Alexei fiel es schwer, an Lenin vorbeizugehen."

Während seine sowjetischen Mitschüler regelmäßig ihre Pflichtausflüge zu Lenins Grab absolvierten, hatte Alexei Paschitnow einen Weg gefunden, diese Ausflüge zu umgehen: „An jenen Tagen war ich immer krank", erzählte er Boughten.

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„Selbstverständlich konnte er seine Skepsis nie offen äußern", erzählte mir Boughten: „Seine Unzufriedenheit hätte ihn sein Leben kosten können. Schon unser Ausflug zum Mausoleum bereitete ihm damals sichtlich Probleme."

Games als Herausforderung für die Künstliche Intelligenz

Irgendwann stellte die Akademie Alexei schließlich einen eigenen Computer zur Verfügung, den er benutzen konnte, „ohne dass ihm jemand über die Schulter schaute." Da Alexei seine Systeme zur künstlichen Intelligenz und Spracherkennung auch praktisch testen musste, entschied er sich, sie an Videospielen zu erproben. So begann er mit der ​Programmiersprache Pascal auf seinem neuen PC kleinere Games zu entwickeln—außerhalb seiner eigentlichen Arbeitszeit und als Nebenprodukt seiner eigentlichen Forschungsarbeit.

Viele seiner ersten selbst entwickelten Spiele wurden Jahre später als Microsoft Entertainment Pack: The Puzzle Collectionveröffentlicht. Als sie schließlich auf den Markt kamen, fand sich kein Hinweis darauf, dass sie als Nebenprodukt stundenlanger Arbeit im akademischen Machtzentrum der Sowjetunion entstanden waren. Es waren dieselben eigenartigen Umstände aus individueller, wissenschaftlicher Pionierarbeit und der ernüchternden staatlichen Akademierealität, die auch die Kulisse für die ​berühmte Entwicklung von Tetris kurze Zeit später darstellte: Mit der Unterstützung und Anfeuerung seines Freundes Vladimir Pokhilko, der sich als Psychologe für Mensch-Maschine-Interaktionen interessierte, ging aus der Wissenschaftswelt der letzten Jahre der Sowjetunion schließlich das erfolgreichste Videospiel aller Zeiten hervor.

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Tetris wurde offiziell im Juni 1984 von der Akademie der Wissenschaften veröffentlicht, nachdem es sich unter Forschern und Computerfans schnell auf Diskette verbreitet hatte. Viele in der russischen Intelligenzija waren sofort fasziniert von dem Puzzlespiel, dass mit seinen perfekt geformten Steinen den reinen Konstruktionsprinzipien des platonischen Idealismus zu folgen schien.

Der amerikanische Durchbruch in Las Vegas

Das Spiel wurde 1988 in Las Vegas bei der Consumer Electronics Show von Henk Rogers entdeckt. Schließlich brachte der Gründer von Bullet-Proof Software Tetris 1989 in den USA auf den Markt und verhalf dem süchtig machenden Spiel zu seinem weltweiten Siegeszug. Schätzungen zufolge hat die Tetris-Serie seitdem insgesamt über 70 Millionen physische Kopien und 100 Millionen mobile Downloads abgesetzt.

Die sowjetische Regierung meldete schnell ihre Ansprüche auf den Welterfolg an. Da das Spiel auf einem staatlichen Rechner und während der Arbeitszeit entwickelt worden war, ​bestanden die Sowjets darauf, dass die Rechte an Tetris und folglich auch die gesamten Einnahmen ihnen gehörten. Trotz seines plötzlichen Ruhms als Spielentwickler blieb Alexei Paschitnow daher zunächst nichts anderes übrig als weiterhin als einfacher Angestellter zu arbeiten. So trat er 1990 nach seiner Auswanderung in die USA seine Stelle bei Bullet-Proof Software an, die ihm auch sein Visum bezahlt hatten. Sechs Monate später gelang es Alexei Paschitnow auch seine Frau Nina und seine Söhne Peter und Dmitri nach Bellevue, Washington zu holen.

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Westliche Akklimatisierung

Zur selben Zeit immigrierte auch Vladimir Pokhilko, mit dem Alexei Paschitnow im vorherigen Jahr in Moskau ein Software-Start-up mit dem Namen AnimaTek gegründet hatte, in die USA. Pokhilko, der sich in der Bay Area niederließ, wird gelegentlich als Mitentwickler von Tetris bezeichnet. Er hatte Alexei Paschitnow in jedem Fall dazu ermutigt, Tetris als vermarktbares Produkt weiterzuentwickeln.

Die beiden trafen sich schließlich 1990 bei der CES in Chicago wieder, wo Boughten zusammen mit Alexei Paschitnow ausstellte, und wo Tetris der erste Durchbruch außerhalb Russlands gelang. Boughten erinnert sich daran zurück wie Alexei und Vlad jeden Abend während der Messe tranken, feierten und tanzten. Spätestens in Chicago wurde klar, was für einen Hit sie mit Tetris gelandet hatten.

Boughten half Paschitnow, sich mit dem Leben im Westen zu arrangieren. Sie erinnerte sich wie fasziniert Alexei war, als sie ihn zum ersten Mal in einen amerikanischen Supermarkt mitnahm: „Er war wirklich überwältigt von der schieren Auswahl an Waren, die es zu kaufen gab."

Alexei Paschitnow gewöhnte sich langsam an sein neues Leben im Westen. Boughten vereinbarte für ihn die Termine beim Zahnarzt und erklärte ihm, was das sündhaft teure Parkticket bedeutete, das er an seinem Cadillac fand nachdem er drei Tage lang vor einem Feuerhydranten geparkt hatte. Und sie half ihm, die Unmengen schnell sprechender Geschäftsleute abzuwehren, die von seinem Ruhm angelockt worden waren.

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Kollegen aus seiner Anfangszeit als russischer Auswanderer erinnern sich auch heute noch lebhaft daran, wie Alexei jeden mit einer „zupackenden russischen Umarmung" begrüßte, und sich auch nicht zurückhielt Männer und Frauen zur Begrüßung in typischer Manier auf die Lippen zu küssen.

Zu harmlos für das FBI

Eines Tages tauchten im Büro von Bullet-Proof Software FBI-Agenten auf, die mit ihm über „seine mögliche Arbeit für den KGB" sprechen wollten. „Mit echten FBI-Agenten zu reden", machte auf Alexei Paschitnow durchaus Eindruck. Die Agenten arrangierten sogar einen weiteren Termin, bei dem sie auch seine Frau Nina, die als Englischlehrerin arbeitet, über mögliche geheime Verbindungen zum russischen Geheimdienst ausfragten.

Die Agenten merkten jedoch schnell, dass sie bei den Paschitnows ihre Zeit verschwendeten. Alexei war ein Software-Entwickler, der durch Glück und Verstand zu seinem Ruhm als Computerexperte gelangt war. Er brachte seine gesamte Zeit dafür auf über Puzzlespiele nachzudenken—für das Verstecken von KGB Geheimnissen hatte er keine Zeit.

Ich mache Pausen bei meiner Arbeit—um Videospiele zu spielen.

1996 schließlich gingen die Rechte für Tetris endlich an Paschitnow selbst über, nachdem das Ende der Sowjetunion ​einen komplizierten rechtlichen Prozess nach sich gezogen hatte. Alexei Paschitnow hatte zum Zeitpunkt seines juristischen Sieges bereits begonnen, als Games-Entwickler bei Microsoft zu arbeiten—lange bevor der marktbeherrschende Software-Gigant mit der Xbox öffentlich ins Games-Geschäft einstieg.

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An seiner Arbeitsroutine hatte er seit den Tagen in dem beengten sowjetischen Büro nicht viel geändert. Gegen 9 oder 10 Uhr morgens kam er im Büro an, wo er bis zu seiner Mittagspause um ungefähr 13:30 arbeitete. Feierabend machte er gegen 10 oder 11 Uhr abends.

„Ich habe mich an diesen Arbeitsrhytmus gewöhnt", erzählte er mir, „und so habe ich ihn einfach mein restliches Leben lang beibehalten. Es ist eine Art Lebensstil."

Als ich Alexei gegenüber erwähnte, dass ich ein tägliches Arbeitspensum von 12 bis 14 Stunden wirklich außergewöhnlich finde erklärte er mir, dass er über den Tag verteilt durchaus Pausen mache—natürlich um Videospiele zu spielen. „Wenn ich erschöpft bin, höre ich auf zu arbeiten und spiele ein bisschen. Irgendwann fällt mir ein, dass ich meine Arbeit fertigstellen muss und dann mache ich mich wieder an den Schreibtisch."

Die Anfangfehler der Xbox

Bei Microsoft sollte Alexei Paschitnow als Ideenlieferant arbeiten und verantwortete seine eigenen Projekte: „Ich brauchte eigentlich gar nicht mehr selbst zu programmieren." Mit der Entwicklung der Xbox traf Microsoft zumindest für Alexei Paschitnows persönlichen Geschmack keine gute Entscheidung: „Ich interessiere mich für Puzzlespiele. Die Xbox war nichts für Puzzles. Ich suchte mir also den friedlichsten Titel und arbeitete daran. Ich mag keine Shooter."

Alexei erlebte Microsoft in diesen Jahren nicht als den professionellen Konsolenentwickler, der das Unternehmen später wurde. „In Sachen Games war Microsoft allgemein nicht besonders gut. Sie hatten nicht genug Spezialisten und sie verstanden die Essenz des Ganzen überhaupt nicht. Sie stellten aus irgendeinem Grund auch nicht die richtigen Leute ein und so fühlte ich mich im Unternehmen ein bisschen verloren. Die ersten Jahre [der Xbox-Entwicklung] waren ein totales Desaster. Es wurden so viele gute Projekte begonnen und wieder beendet."

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Alexei haderte mit den Projektgruppen in denen er arbeitete: „Niemand wollte mich bei seinen Projekten dabei haben. Und ich wollte auch nicht, dass jemand bei meinen Projekten mitmachte."

Ich mag keine Shooter. Also suchte ich mir das friedlichste Spiel, das ich finden konnte.

„Alle meine Projekte hatten plötzlich nur noch eine geringe Priorität." Es war die Zeit in der sich Microsoft für den Konsolenkrieg rüstete—und Puzzlespiele für den PC unwichtig wurden. Auf dem Microsoft Campus war das Motto nur noch „Xbox, Xbox". Als Ende 2001 schließlich Halo auf den Markt kam, hatte Microsoft schließlich „verstanden wie es läuft. Aber ich habe auch die Anfangszeit erlebt. Und da gab es so viele Fehler und schlechte Entscheidungen."

Der ungeklärte Tot des Tetris-Mitentwicklers

Während Alexei sich schließlich auch bei Microsoft nach und nach akklimatisierte, nahm das Leben seines alten Freundes und Geschäftspartners Vladimir Pokhilko eine tragische Wendung. 1998 tötete  Pokhilko seine Frau und Kinder und schließlich sich selbst. Die Gründe sind bis heute nicht vollkommen klar. Was damals im Süden Palo Altos im Haus der Familie Pokhilko passierte war ein Schock für jeden der Vladimir kannte. Und die Brutalität der Morde machte alles nur noch unbegreiflicher.

Im San Francisco Chronicle hieß es damals, dass „Pokhilko die beliebte Yoga-Lehrerin Fedotova und den Siebtklässer Peter im Schlaf mit einem Hammer erschlagen und mit einem Jagdmesser auf sie eingestochen hatte. Schließlich schnitt er sich selbst mit dem Messer den Hals auf." Die damalige Polizeisprecherin von Palo Alto, Tami Gage, erklärte, es sei „unfassbar, dass jemand so etwas sich selbst und seinem Kind antut."

Einige Tage nach unserem Treffen schrieb mir Alexei Paschitnow in einer E-Mail: „Was Vladimir angeht kann ich nur sagen, dass wir als Freunde, Kollegen und Partner stets ein gutes und herzliches Verhältnis zueinander hatten."

Als die Dot.com-Blase kurz nach der Jahrtausendwende platzte und auch die Games-Entwickler erfasste, hatte Alexei Paschitnow bereits soviel durch die Tetris-Lizenz verdient, dass er nicht wie so viele seiner Kollegen gezwungen war, seine Aktienanteile zu verkaufen. „Eigentlich bin ich [sogar] schon durch meine Microsoft-Aktien reich genug geworden; unabhängig von meinen Einnahmen durch Tetris. Irgendwann hatte ich dann einfach das Gefühl, bei Microsoft fertig zu sein." Alexei kündigte.

Im Jahr 2005 kehrte er zwar kurzzeitig zurück, um an Hexic, einem Tetris-ähnlichen Puzzle-Game für Xbox 360, mitzuarbeiten. „Hexic war ein interessanter Titel und echt gut ziemlich gut. Microsoft sitzt auf einem solch riesigen Berg geistigen Eigentums, aber sie schaffen es einfach nicht dem Ganzen ein zweites oder drittes Leben einzuhauchen, was eigentlich problemlos möglich wäre. Und das ist schade, denn so liegen [bei Microsoft] auch noch einige meiner alten Spiele brach. Der Einsatz vieler meiner Kollegen war viel zu oft ergebnislose, vergeudete Zeit."

Zum Ende unseres Gesprächs wollte ich Alexei unbedingt noch Fragen, was er von den Plänen für einen Tetris-Film hält, die ​kürzlich bekannt wurden. Für mich klang die Nachricht, die Ende September die Runde machte, wie eine verpasste Gelegenheit—eine Story über fallende Bit-Quadrate anstatt über den Mann, der diese Spiel irgendwie nebenbei entwickelt hat als er für die sowjetische Regierung arbeitete. Weiß Alexei schon, wie die Story für Tetris aussehen soll?

„Nein, und um ehrlich zu sein haben auch die anderen bisher keine Ahnung, glaube ich", erzählte er mir. „Sie sind momentan erst am Brainstormen, aber sie haben einige gute Ideen. Sie wollten [im September] eben einfach herausfinden wie gut die Idee bei den Medien überhaupt ankommt."

Ansonsten arbeitet Alexei Paschitnow heute an seinen eigenen „kleinen verrückten Projekten", wenn er nicht gerade in seinem Tesla mit dem TETRIS-Nummernschild in Bellevue herumkurvt. Nach etwas Morgengymnastik und einem Frühstück macht er sich an seine tägliche Gaming-Routine und sammelt Coins in verschiedenen Mobilgames. Insbesondere bei Gems with Friends und Arcane Battles, „musst du dich regelmäßig und zur richtigen Zeit einloggen, um nicht für die Spiele bezahlen zu müssen." Nachmittags macht er sich dann an seine Arbeit und auch wenn er momentan nicht mit einer konkreten Game-Design beschäftigt ist „hat er bereits ein Projekt im Hinterkopf. Ich bin bestimmt nicht beschäftigungslos."

Für seine Entwicklungsarbeit verzicht Paschitnow übrigens auf einen Computer: „Ich benutze meistens einen Block und Stifte", erzählte er mir von seiner täglichen Arbeitsweise. „Irgendwann wird es dann Abend und ich gehe Tennisspielen, mache ein wenig Sport oder bleibe zu Hause und schaue Fernsehen oder lese ein Buch. So sieht mein Tag aus. Eigentlich nichts Aufregendes oder Besonderes."

Redaktionelle Mitarbeit von Brian Anderson.