Ein Mann fällt in ein schwarzes Loch. Um ihn herum wehen Geldscheine durch die Luft. In dem Artikel geht es um die hohen Zinsen, die Studierende in Deutschland gerade bezahlen müssen.
Illustration: IMAGO / Ikon Images
Menschen

Wie eine Staatsbank gerade Tausende Studierende ruiniert

Die günstigen KfW-Kredite sollen Menschen mit wenig Geld bei der Studienfinanzierung helfen – doch die Bank schraubt ihre Zinsen immer höher.

Es sah so aus, als könnte nichts dabei schiefgehen. Enya nahm für ihr Studium einen Kredit auf. Mit günstigen Zinsen, bei einem Institut in staatlicher Hand. Wie Hunderttausende andere junge Menschen wollte Enya so ihr Studium finanzieren. Und wie womöglich Tausende andere steht sie deshalb jetzt vor einem gewaltigen Problem. Denn die Zinsen auf diesen Kredit sind in astronomische Höhen geklettert.

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Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau, kurz KfW, soll Studierende eigentlich mit günstigen Krediten unterstützen. Während der Pandemie senkte sie die Zinsen für Studienkredite sogar auf null Prozent. Doch seit April gelten neue Konditionen: Bis zu 7,82 Prozent Zinsen müssen Studierende seitdem zahlen (davor war der Zinssatz bereits auf fünf Prozent geklettert). Bei Enya, die wie alle für diesen Text interviewten Kreditnehmer hier nur ihren Vornamen nennen will, sind es 7,55 Prozent. Konkret bedeutet das, dass die Bank ihr monatlich 192 Euro vom Konto abzieht. 156 Euro davon sind nur Zinsen. Mit den restlichen 36 Euro zahlt sie einen Teil des geliehenen Geldes ab. 


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Auch Samira hatte sich für ihr sechs Jahre andauerndes Studium Geld von der KfW-Bank geliehen: 47.000 Euro. Doch am Ende hätte sie 100.000 Euro zurückzahlen müssen. 53.000 Euro Zinsen. Um irgendwie aus dieser Nummer rauszukommen, nahm Samiras Vater eine Hypothek auf sein Haus auf und zahlte den KfW-Kredit ab. Samira zahlt ihrem Vater nun monatlich 400 Euro zurück. "Und das ist immer noch viel besser als bei der KfW", sagt sie. Zum Jahresende 2022 waren 278.000 Studierende Kreditnehmer bei der KfW-Bank. In der Rückzahlungsphase befanden sich zu diesem Zeitpunkt knapp 160.000 Personen. Viele von ihnen könnten jetzt ebenfalls vor unerwartet hohen Schulden stehen.

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"Seit 1948 setzt sie sich im Auftrag des Bundes und der Länder dafür ein, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Lebensbedingungen weltweit zu verbessern", schreibt die KfW über sich selbst. Vier Fünftel des Kapitals gehören dem Bund, ein Fünftel den Bundesländern. Wegen Corona, dem Krieg in der Ukraine und der steigenden Inflation sind die Zinssätze nicht nur bei der KfW brutal in die Höhe geschossen. Das ist für alle Kreditnehmer ärgerlich. Aber für Menschen, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben, kann ein Zinssatz von fast acht Prozent die Existenz bedrohen. 

Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin der KfW, dass die Bank mit Studienkrediten keine Gewinne erziele und lediglich kostendeckend arbeite. Wenn die KfW aber quasi eine direkte Tochter des deutschen Staates ist, müsste der ja auch entscheiden können, Studierende weniger zu belasten, oder? Dem ist aber nicht so. 

Unerwartet hohe Schulden nach dem Studium: Sind Studierende selbst Schuld?

Wenn Studierende einen Kredit bei der KfW abschließen, müssen sie sich für einen Festzins oder einen variablen Zins entscheiden. Letzterer kann je nach Kapitalmarktsituation alle sechs Monate sinken – oder steigen. Enya sagt, ihr sei weder klar gewesen, dass sie einen Kredit mit variablem Zinssatz abschließt, noch was das für Konsequenzen haben kann: "Ich habe nicht geahnt, dass die Zinsen einmal diese Dimension erreichen würden." Hätte Enya also einfach genauer aufs Kleingedruckte schauen müssen? Vielleicht. Aber wahrscheinlich hätte das auch nichts geändert. 

Kaum jemand hat damit gerechnet, dass die Zinsen auf Studienkredite so stark steigen würden. Alisa, die ebenfalls einen Studienkredit bei der KfW abgeschlossen hat, war sich bewusst, dass sie zwischen einem variablem und einem Festzins wählen kann. Sie habe sich aktiv gegen den Festzins entschieden, sagt sie. Ihr Zinssatz lag bei 2,2 Prozent, als sie damit begann, ihre Schuld zu tilgen. Die KfW-Bank bietet an diesem Punkt allen Kreditnehmern an, zu einem festen Zinssatz zu wechseln. Bei Alisa hätte er 4,5 Prozent entsprochen. Sie lehnte ab: "Ich dachte, niemals wird der Zins in so kurzer Zeit auf über vier Prozent steigen. Na ja. Dann ist er viel mehr gestiegen und jetzt muss ich sechs Prozent Zinsen zahlen."

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Jens Müller-Sigl, Finanzierungsberater beim Studentenwerk Oldenburg, sieht die Schuld an der finanziellen Notlage nicht bei den Studierenden, sondern bei der KfW beziehungsweise beim deutschen Staat. Es sei fast schon absurd, dass gerade die Bildungsfinanzierung derart hoch verzinst wird, sagt er. Schließlich sei die Förderung dazu da, Menschen eine Zukunft mit guter Bildung zu ermöglichen. "Die zuständigen Ministerien hätten hier schon längst eingreifen müssen." Das Studentenwerk Oldenburg habe bereits auf Landes- und Bundesebene auf die Notlage der Studierenden aufmerksam gemacht. Bisher habe sich aber nichts geändert.

In der Finanzberatung der Uni Oldenburg hat Müller-Sigl täglich mit Studierenden zu tun, die wegen der Zinserhöhung der KfW finanziell am Ende sind. Viele würden Privatinsolvenz anmelden, während andere Kredite über ihre Eltern aufnähmen, um den Studienkredit bei der KfW aufzulösen. "Keine andere Bank verlangt solche Zinsen", sagt Müller-Sigl. Er stellt aber auch klar, dass andere Banken Studierenden, die keine Sicherheiten anbieten können, vielleicht gar nicht erst einen Kredit bewilligen würden. 

Laut dem Vergleichsportal Check24 bietet derzeit nur eine einzige Bank Berufseinsteigern mit Hochschulabschluss, die sich 40.000 Euro leihen möchten, einen festen Zinssatz von unter sieben Prozent an: Die SKG Bank würde das Geld gegen 5,89 Prozent Zinsen rausrücken. Die ING Diba würde sogar fast neun Prozent fordern. Diese Angebote setzen ein jährliches Bruttogehalt von 45.400 Euro voraus, laut dem Berufsportal Absolventa.de der derzeitige Durchschnitt bei Hochschulabsolventinnen und -absolventen. 

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Auch wenn die Zinserhöhung viele Studierende überrascht haben dürfte, müssen sie ihre Kredite zu den neuen Konditionen abbezahlen. Müller-Sigl rät in diesem Fall, zur Schuldnerberatung zu gehen. Allen anderen rät er von der KfW ab: "Der KfW-Kredit ist im Grunde keine Möglichkeit zur Studienfinanzierung mehr. Wahrscheinlich bedeutet dieser Zinssatz auch das Todesurteil für diese Bank. Warum sollte irgendjemand einen Kredit mit fast acht Prozent Zinsen aufnehmen?"

Zockt die KfW Studierende ab?

Die KfW orientiert sich am EURIBOR-Zinssatz. Die Euro Interbank Offered Rate ist ein Referenzzinssatz, der die aktuell durchschnittlichen Zinsen auf Kredite europäischer Banken widerspiegelt. Weil die KfW eine Anstalt des öffentlichen Rechts ist, könnte das Bundesfinanzministerium maßgeblich Einfluss darauf nehmen, die Zinsen dennoch zu senken. Bislang ist das aber nicht passiert.  

Und dann ist da noch die Karenzphase. Das ein festgelegter Zeitraum, etwa nach dem Ende des Studiums, in dem man einen Kredit erst einmal nicht zurückzahlen muss. Solche Karenzphasen sind bei anderen Banken unüblich. Sie soll Studierenden den Start ins Berufsleben erleichtern. Soweit die Theorie. 

Tatsächlich müssen Kreditnehmer bei der KfW nach dem Ende ihres Studiums anderthalb Jahre lang monatlich Zinsen auf die Gesamtsumme ihrer Schuld zahlen. Raus kommt man aus der Karenzphase nach frühestens sechs Monaten, wenn man eine Verkürzung beantragt. Du hast nichts verstanden? So geht es den meisten.

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Auch Kristin hat ihr Studium der sozialen Arbeit an einer Privatuniversität mit einem KfW-Kredit finanziert. Die Karenzphase habe sie erst richtig verstanden, als sie drin steckte und nicht herauskam. In ihrer Klasse waren insgesamt 20 Studierende, etwa die Hälfte habe einen Studienkredit bei der KfW abgeschlossen, sagt Kristin. Die KfW habe sich den Studierenden als Helfer präsentiert, der sich nicht bereichern, sondern sich für Studierende einsetzen würde. 

Schon während ihres Studiums habe Kristin monatlich Zinsen gezahlt, was sie gut fand: "Ich dachte, dass mein Schuldenberg am Ende dafür nicht so riesig wird." Als Kristin ihr Studium beendet hatte, landete sie in der Karenzphase. Ihr und ihren Kommilitonen habe dieser Begriff zunächst gar nichts gesagt. Auf Nachfrage habe ihr die KfW erklärt, dass sie ihre Schulden zunächst nicht zurückzahlen und ihr Leben als Berufstätige erst einmal genießen könne. "Das klang natürlich total nett", sagt Kristin. Als sie dann gemerkt habe, dass ihr trotzdem monatlich Geld abgezogen wird, nämlich die Zinsen, war sie sauer.

"Mein Schuldenberg schrumpfte überhaupt nicht. Zum Glück ist mir das aufgefallen und ich konnte die Karenzphase verkürzen. Ich will gar nicht wissen, wie viele arme Studenten gerade in der Karenzphase sind und gar nicht wissen, dass sie monatlich so viel Geld bezahlen und nicht mal ihre Schulden abbauen."

Auf Kristins Nachfrage hin habe ihr ein Mitarbeiter der KfW am Telefon gesagt, dass die Karenzphase für die Bank notwendig sei, um selbst Geld zu verdienen. Die Pressestelle der KfW wollte sich dazu auf Nachfrage nicht äußern. Kristin hat sich bei einer anderen Bank mittlerweile um eine Umschuldung gekümmert und muss dort "nur" 4,25 Prozent Zinsen zahlen. 

Am 1. Oktober wurde der Zinssatz wieder erhöht: Er liegt jetzt bei 9,01 Prozent.

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