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Der implizite Autor

Jener Film von Roman Polanski war es, der mir ein romantisches Interesse für den Beruf der Ghostwriter erweckte.

Jener Film von Roman Polanski war es, der mir ein romantisches Interesse für den Beruf der Ghostwriter erweckte. Schreiben in Auftrag, ein Tanz auf den Gitterstäben einer Gefängniszelle, ein abenteuerlicher Beruf, fern meines kleinen Befindlichkeits-Zirkus - vielleicht.

Ein befreundeter Schriftsteller, der sich bereits auf diese Weise "prostituierte", riet mir davon ab begeistert zu sein, denn da glänze nichts, höchstens das Geld. Das reichte mir nicht, immerhin hatte ich meine Tagträume bereits mit Ewan McGregor, Pierce Brosnan und Olivia Williams besetzt. Es ging eine Weile, bis ich über meine Netzwerke mit einem richtigen Phantom verknüpft wurde. Vergangenes Wochenende war es soweit, mir wurde ein Interview gegeben. Aus Gründen die hier folgen, möchte der Ghostwriter nicht genannt werden. Ich nenne ihn deshalb X. Seine Wohnung liegt in Berlin Mitte, nahe der Friedrichstrasse, in einer Schlucht einsam möblierter Wohnungen, in denen Geschäftsleute manchmal, aber öfter nicht, eine Nacht verbringen. X lebt, nicht fern dieser Vorstellung, wie ein junger Investment Banker aus einem Film wie Wall Street 2. Fenster von oben bis unten und rundherum. Parkett. Bulthaupt Küche. Mies van der Rohe. Corbusier. Alles da. Aber auch verlotterte afrikanische Masken. Wir plaudern über Berlin, Leipzig, die vergangene Buchmesse. Kein Ort für die Geister, sagte er dazu. Das ist lustig. Er meint es aber ernst. Es gibt Kaffee, Brasil Santos.

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Mietest du, oder gehört dir das?

Die Wohnung habe ich vor fünf Jahren gekauft - die Zahlen haben mich angemacht.

Wie meinst du das?

Na ja, der Deal war logisch. Ich beobachte den Markt, ich schaue auf die Bank und irgendwann muss ich kaufen. Besser damals als jetzt, das hat sich gelohnt. Es würde sich hier immer noch lohnen.

Kommt das alles nur vom Schreiben, frage ich. X nickt. Hinter einer Tür kläfft ein Hund. Er sei Allergiker, deshalb bekam der Hund, ich nenne ihn hier Y, sein eigenes Zimmer. Sie wohnen getrennt - spazieren zusammen.

Wer sind deine Kunden?

A und B Prominenz. TV-Menschen, Politiker, Unternehmer, Künstler, Wissenschaftler. Bekannte Menschen, die ein Buch wollen ohne sich von A bis Z darum zu kümmern. Oder Menschen, die die Öffentlichkeit suchen, Blaues Blut, Geldadel, Onetime-Wonders. Sie haben keine Zeit, dafür haben sie genug Geld um sich einen Ghost zu nehmen. Den meisten fehlt Zeit und auch das Handwerk. Aber nicht jeder der ein Buch macht, muss gleich den Schriftsteller spielen - das ist schon OK so.

Das Leben erzählt sich doch von selbst?

Nein, das Leben ist eine Unordnung. Unsere Erinnerungen sind verstrickt wie ein Garnknäuel, aber das ist natürlich. Wer aus dem Leben ein Buch machen will, muss die Stricke die für ihn wichtig sind befreien und einzeln anschauen. Dann legt er sie am richtigen Ort zusammen und alles beginnt Sinn zu machen, weil die Fakten endlich organisiert sind. Ein Künstler der eine Ausstellung macht, wirft auch nicht einfach all seine Werke in die Mitte der Halle.

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Ist es nicht müssig, immer das Leben Anderer zu organisieren?

Machmal schon. Es gibt immer anstrengende Kunden.

Was ist anstrengend?

Ein Kunde der nicht weiss was er will. Oder wenn ihm wieder und wieder Neues einfällt, das ins Buch muss. Unvorbereitete Kunden. Dann ist es wie bei einer Ausgrabung und nach Monaten stossen wir vielleicht auf den Kern der Geschichte, vielleicht aber auch nie. Prominente denken ihr Leben sei Allgemeinwissen und muss von mir nur noch zusammengeschrieben werden. Dann ist es besonders harte Arbeit.

Ist das dein Traumberuf?

Es ist mein Beruf. Ich träume vom Klavierspielen aber ich finde es gut dass dieser Traum ein Traum bleibt. Alles hat seinen Ort. Im Traum spiele ich Klavier und im Leben schreibe ich. Das ist doch ein guter Deal, nicht?

Doch, klingt gut. Stimmt es, dass Ghostwriter machmal zur Person werden, in dessen Namen sie schreiben?

Ich hoffe nicht! Ich wäre sonst wahrscheinlich sehr krank. Nein, ich verwandle mich beim Schreiben nicht mehr, als wenn ich einen guten Roman lese und mich in die Romanfiguren einlebe, oder wenn ich Mitgefühl für einen Menschen fühle, weil ich mich ein bisschen in ihn hinein versetzen kann …

… aber beim Schreiben ist die Empathie doch noch viel intensiver.

Bruno Ganz ist kein Hitler geworden. In Der Untergang hat er ihn aber trotzdem sehr gut verkörpert. Schreibst du auch für Leute, die du nicht magst?

Machmal. Ich kann das aber erst nach der Arbeit sagen. Eigentlich mag ich viele nachher besser, weil ich sie verstanden habe.

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Ich muss sie verstehen, das ist mein Geschäft. Ich muss sie mögen.

Schreibst du auch im Namen von Terroristen?

Na ja, für ehemalige, ja.

Warum?

Also mich interessiert das Leben in allen Formen. Grönemeyer hat es so gesagt, Mensch heisst Mensch, weil er irrt und weil er kämpft. Ich könnte kein Schriftsteller sein, wenn ich Menschen immer so einfach aus dem Weg ginge.

Ghostwriting als Inspiration?

Das fliesst alles zusammen, ja. Ghostwriting ist aber auch mein Job - wenn ich nur meine eigenen Texte schreiben würde, hätte ich nicht dieses Leben. Ich könnte auch nicht immer im Winter sein, wo es warm ist, et cetera. Aber die Auftragsarbeit macht mich auch zu einem ganz bestimmten Schriftsteller. Alles im Leben fliesst im Menschen zusammen aber was heraus kommt ist immer anders, alles ist Inspiration.

An seinem Handgelenk baumelt eine Rolex Submariner. Sogar seine Frisur sieht teuer aus. Schwer vorzustellen, dass alle Geister so gut leben wie er. X ist ein Sonderfall. Er wirk wie ein literarischer Geschäftsmann. Wie einer aus einem Buch.

Gibt es viele Ghostwriter?

Viele mehr, als man denkt. Das ist aber schwer zu sagen solange sie unsichtbar bleiben. Machmal muss sich einer outen, dann ist es ist wie bei den Homosexuellen: Out of the closet. Wir wollen aber meistens genau dort drin sein, also lieber keine Paraden.

Und was ist mit Ansehen? Willst du nie aus dem Fenster schreien: Ich bin es, der alle diese Bücher geschrieben hat! Ghosts sind doch halb tot, sie machen sich einen Spass daraus auf der anderen Seite zu stehen.

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Nein, ich habe kein Problem damit. Aber ohne Ventile geht es auch nicht.

Die eigenen Texte?

Ja.

Veröffentlicht?

So oft ich kann.

Ich kenne gar keine Bücher von dir …

Ich schreibe sie nicht in meinem eigenen Namen. Und wer sagt, dass mein Name mein Name ist? (X lacht wieder wie ein Verrückter und Y kläfft aus seinem Zimmer)

Wie, du bist also auch dein eigener Ghostwriter?

Ich verwende für meine Bücher unterschiedliche Pseudonyme. Einige müssen bleiben … die, die sich gut verkaufen. Sonst würde beim Verlag das Marketing zu teuer. Die müssen jeden Autor pushen, Pseudonym oder hin oder her. Ein Renner kann aber auch mal weiter rennen, das ist schon OK. Aber ich wechsle mich viel ab.

Was wechselst du ab?

Na ja, der Name auf dem Cover wechselt und ich kann frei sein. Niemand erwartet etwas von mir. Ich kann mich ausleben, ohne dass sich ein Journalist darüber den Kopf zerbricht, warum ich jetzt plötzlich dies und dann etwas ganz anderes geschrieben habe. Und wenn ich als Schriftsteller überleben will, kommt die Presse ja meistens von allein. Aber ich habe gemerkt, dass ich trotzdem nicht mitmachen muss.

Und wer macht die Lesungen, wer wird in der Zeitung abgebildet?

Es gibt eben kein Bild, das hat die Agentur im Griff. Bei den Sachbüchern ist es ja auch nie kein Problem. Sachbuchautoren sind als öffentliche Figuren immer noch völlig uninteressant. Wenn es Sinn macht einen Menschen zu zeigen, dann arbeiten wir mit richtig guten Schauspielern.

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Im Ernst?

Mit meinem letzen Roman ging eine Schauspielerin auf Tournee.

Welcher Roman war das?

No Comment. Natürlich kein Kommentar! (Verrücktes lachen, er raucht nun, Griechische Zigaretten, glaube ich)

Ich sehe X nun als kleinen Feuerteufel. Er heckt und zäuselt und verschüttet Benzin. Er wartet auf Momente wie diesen, in dem er die Möglichkeit hätte, sich zu verbrennen. Warum würde er überhaupt ein Interview geben? Warum würde er einen Hund besitzen, obwohl er ihn krank macht? Aber bin ich eine Gefahr? Es ist nicht einmal gesagt, dass der Name unter dem ich ihn kenne, sein eigener ist. Türschilder und Facebook-Profile sind wie Visitenkarten und Pseudonyme: austauschbar. X rutscht vergnügt in seinem Fauteuil hin und her.

Warum der ganze Aufwand? Ist das für dich erfüllend?

Total. Kein Stress mit dem Publikum … und Ich muss nichts erklären. Aber ich kann sagen was ich will. (Y kläfft, X schreit: Y, Schnauze!)

Was für Sachbücher schreibst du?

Meistens Kochbücher.

Du bist auch Koch?

Nein, ich koche fast jeden Tag, ich tu es sehr gern. Aber ich bin kein Koch, nicht mehr als eine Hausfrau. Aber der Beruf fasziniert mich schon, das wäre jetzt vielleicht dieser Traumberuf.

Und woher nimmst du das Wissen um Kochbücher zu schreiben?

Aus meiner Fantasie, ich verbinde meine Erinnerungen und Erfahrungen und einen Teil erfinde ich. Aber unser Wissen ist immer ein bisschen erfunden, nicht?… In mir sind ja unendlich viele Details vorhanden, und mit diesen Klötzchen kann ich zu einer innovativen Alternative zur Wirklichkeit gelangen, die der üblichen aber ganz ähnlich sieht.

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Das verunsichert mich jetzt …

Darüber bin ich nicht unglücklich. Den Buchdeckel stellen sich vielen wie ein Tor zur Wahrheit vor. Das ist doch verrückt, nicht? Und die Schriftsteller fallen dann auch noch darauf ein. Nach zwei erfolgreichen Titeln fliegt der Zweifel auf dem Fenster und sie werden eitel. Das sind Feuilleton-Intellektuelle von heute. Es ist doch ungesund, auf allem den eigenen Namen zu sehen.

Aber was wenn etwas schief geht, was wenn die Fantasie nicht reicht. Was, wenn ein Rezept einfach nicht funktioniert?

Jedes Rezept wird natürlich von Profiköchen geprüft, die schauen auf alles. Aber mal ehrlich, meistens merkt keiner den Unterschied. Wem ist je ein Rezept aus der Molekularküche nicht in die Hose gegangen?

Ist das nicht gemein?

Es sind Buchstaben. Wer weiss, ob die Menschen in den Geschichtsbüchern wirklich so lebten. Diese Geschichten sind schon durch so viele Mühlen gegangen, aber was im Buch steht, nehmen immer noch viel zu viele für wahr. Kinder glauben an die Märchen die ihnen vorgelesen werden, natürlich, aber Erwachsene glauben an den ganzen Rest. Na ja, trotzdem kommen gute Geschichten dabei rum. Ich denke mir immer, das ist doch eigentlich wie der Wilde Westen und jeder nimmt sich sein Land. So ist es natürlich nicht, weil die Cowboys wurden gebildet, die mussten alle zur Uni.

Was ist gut daran, wenn nach Stunden in der Küche das Mahl misslingt?

Blauäugige Gourmets kommen darauf, dass die sogenannte Molekularküche der Ripoff des Jahres ist. Und noch etwas, Autoren, die zusehen was läuft und wie sich der Markt in den letzen Jahren verdichtet hat, die müssen umdenken. Sie müssen sie sich vielleicht doch mal wieder Mühe geben, beim Schreiben. Die können jetzt nicht mehr sagen, Literatur sei weniger zugemüllt als das Fernsehen und der Supermarkt. Tiere haben kein Problem sich Umständen anzupassen, sie mutieren einfach, so wie der Ghostwriter … (Gelächter, seine Frisur hat schon ein bisschen Schlagseite. Es ist mittlerweile tatsächlich absurd und lustig).

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Warum macht der Verlag mit?

Weil meine Pseudonyme ein gutes Geschäft sind. Einem grossen Verlag geht es ums Verkaufen.

Wo gibt es deine Bücher?

In jeder Buchhandlung.

Hast du vor, einmal in deinem eigenen Namen veröffentlichen?

Vielleicht, wenn mein Geist genügend Erfahrungen gesammelt hat.

Nach diesem Gespräch scheint mir die Welt eine andere, eine kleinere, geworden, aber auch nicht. Erst beim herausgehen achtete ich darauf: keine Bücher weit und breit, keine Hinweise. Wo war die Literatur in dieser Wohnung? Zurück zur Friedrichstrasse. Vorbei am Kulturkaufhaus Dussmann - Blödmann, denke ich. Ob die wissen, wie es in ihren Bücherregalen spukt? Vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Alles hat seinen Platz. Auch ein X und sein unvermeidbares Y und sein unvermeidbares - ja, sie leben in extremis: Schwarze Nacht über der Autobahn, die Reifen beben über den Teer, der Körper vibriert im Sitz, Lichter ziehen vorbei wie die Jahre, einschläfernd, hypnotisierend, und dann: ein schwarzer Glanz in der Ferne, ein Sportwagen ohne Licht, er fährt auf unserer Spur, aber direkt auf uns zu: Ein Geisterfahrer. Kollision. Einer sei gestorben. Wer bleibt zurück? Nur ich, denn Geister gibt es nicht.