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Undercover bei den Piraten Somalias

'The Pirate Tapes' ist ein Film, der nur mit einem geringen Budget und durch extremen Mut zustande kam.

Filmfirmen auf der ganzen Welt haben Jahre lang versucht, herauszufinden, wie man sich unter Somalias Piraten schmuggeln könnte und trotzdem am Ende mit Filmmaterial und heilen Knochen wieder aus der Sache rauszukommt. Nur bewaffnet mit einer Minikamera der nächsten Generation und einer gesunden Menge Möchtegern-Gangster-Attitüde hat es der somalische Kanadier Mohamed Ashareh 2009 für seinen Film The Pirate Tapes geschafft, mit den Bluebears am Horn von Afrika ganz privat und persönlich zu werden.

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Die kanadische Filmfirma Palmira PDC arbeitete mit Ashareh zusammen, während er durchs somalische Puntland zog, wo es von Piraten wimmelt und er sich in getürkten Geschäftsverhandlungen, in denen es um Millionen Dollar ging, Gefängniszellen und Geiselnahmen wiederfand. Sie sammelten sein Material und arbeiteten gemeinsam daran, den Film auf Vordermann zu bringen. Ashareh scheint mit der endgültigen Version nicht zufrieden zu sein—wir hingegen lieben den Film. Deswegen haben wir Kontakt zu Produzent Andrew Moniz von Palmire aufgenommen, um mehr über diese Geschichte herauszufinden: von den reichen Typen, die die Armen mit schädlichem Müll vergiften und von den armen Typen, die dagegen ankämpfen, indem sie für Lösegeld Öltanker klauen.

VICE: Das ist also deine erste Dokumentation?

Andrew Moniz: Ja. Ich hab vorher nie daran gedacht, eine Dokumentation zu machen, weil das Risiko so groß und der Ertrag so gering ist. Wie viele Dokumentationen schaust du an und sie gefallen dir wirklich? Es gibt nur eine Handvoll, von denen wir glauben, dass sie zwei Jahre unseres Lebens wert sind, um gedreht zu werden. So sieht es in der Realität nun mal aus. Dokumentarfilmer sind hardcore. Wir sind fiktional, wir gehen gern ins Kino und essen Popcorn.

Wie kam das dann zu Stande? Wie habt ihr Mohamed getroffen?

Er kam zu uns, weil er mit einem Camcorder nach Puntland ging, wo seine Familie herkommt. Er hatte keine Ahnung von Film. Aber er war der Meinung, dass wir sein Material in eine Art Film verwandeln sollten. Wir haben ihm dann erklärt, dass man nicht einfach irgendwo hingehen kann, eine Kamera darauf richten und erwarten kann, dass am anderen Ende ein Film dabei rauskommt. Am Anfang haben wir im Prinzip versucht, ihm das Filmemachen auszureden. Aber er hatte ein paar interessante Interviews mit Leuten, die von sich behaupteten, Piraten zu sein. Deshalb besprachen wir, wie es zu einem wirklich coolen Film werden könnte. Wir haben ihm aber auch gesagt, dass er dorthin zurück müsste und es sicher ein ganzes Jahr seines Lebens dauern würde. Aber wenn er glaubte, er könne Piraten auf Band bringen, fanden wir das den Aufwand wert.

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Worin bestand eure ursprüngliche Intention?

Eigentlich wollten wir einen Film machen, der einfach seine Perspektive zeigt, mit einem sehr groben Look. Wir wussten schließlich, dass es wegen des versteckten Filmens kein cineastisches Meisterwerk werden würde. Deshalb brachten wir ihm die Grundlagen bei—wie man mit der Kamera umgeht, wie man das Bildmaterial geheim hält und wie man sicherstellt, dass einem die Leute dort nicht den Kopf wegschießen, solche Sachen eben. Gleichzeitig dachten wir: „Dieser Typ könnte sterben, das ist verdammt gefährlich.“ Aber Mohamed hat seine Sache wirklich sehr gut gemacht.

So wie der Film gedreht ist, sieht es raus, als wäre noch ein andere Kameramann mit ihm in Somalia gewesen.

Wir hatten noch einen anderen Somalier, Abdikareem Issa, der zweite Kamera und einige andere Interviews mit Piraten gemacht hat. Abdikareem ist ein toller Typ—als Mohamed zum ersten Mal ins Gefängnis kam, ging Abdikareem mit.

Hat Mohamed angerufen, als er in den Knast kam?

Ja, der Film zeigt, wie wir versuchen, ihn frei zu bekommen. Am Ende musste ihn aber seine Familie rausholen. Hätten sie herausgefunden, dass eine kanadische Produktionsfirma hinter ihm steht, hätten sie eine Menge Lösegeld verlangt.

Er kam ins Gefängnis, nachdem er abgehauen war und an der Grenze zu Somaliland mitgenommen wurde, weil sein Clan in dieser Gegend nicht beheimatet war. Wusste irgendjemand in Somalia, dass Mohamed diesen Film drehte?

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Nein. Zu einem späteren Zeitpunkt wusste es dann nur Abdikareem. Es gab Zeiten, in denen wir wollten, dass Mohamed Leuten folgte, die wir interessant fanden und er nein sagte. Er dachte nämlich, sie könnten herausfinden, dass er einen Film dreht. Er war Leuten gegenüber misstrauisch, die „zu gut“ Englisch konnten oder „zu intelligent“ waren.

Wie kamt ihr an das heimliche Filmmaterial?

Mohamed trug die Kamera um seinen Hals, sehr weit oben, fast auf Krawattenhöhe, und er ist sehr groß. Er war die ganze Zeit mit der laufenden Kamera unterwegs und keiner hat es bemerkt. Er hatte diese Kamera immer bei sich. Daher gewöhnten sich die Leute daran und dachten, es sei eine Fotokamera, niemand wusste, dass er HD-Aufnahmen drehte.

Wie seid ihr damit umgegangen, als er ins Gefängnis kam? Kamt ihr da zu dem Punkt, an dem ihr dachtet: „Scheiße, wenn er jetzt auffliegt, dann muss ich mich ein bisschen verantwortlich dafür fühlen“?

Als er dort war, bekam ich mitten in der Nacht einen Anruf von ihm. Er erzählte mir, dass er im Gefängnis saß und er bat uns um Hilfe. Dann sagte er, dass er seine Familie anrufen würde. Er rief von dieser skurrilen Handynummer aus an, deswegen versuchten wir immer wieder, dort anzurufen. Wir dachten schließlich, er wäre im Gefängnis, dabei war es das Handy von irgendeinem Typen. Mohamed war im Grunde gekidnappt worden. Zu einem Zeitpunkt saß er auf seinen Knien, eine Waffe auf seinen Kopf gerichtet. Wir wussten, dass er auf der Flucht war, denn am Tag zuvor hatte er uns angerufen und so was gesagt wie: „Ich brauche 2.000 Dollar in bar, ich werde ausfliegen, ich gehe zum Flughafen.“ Wir haben ihm das Geld gegeben und dachten, dass alles OK wäre. Und dann rief er an und sagte: „Nein, ich sitze im Gefängnis. Das Geld ist weg. Sie haben das ganze Geld gestohlen, sie haben das Kameraequipment gestohlen, sie haben das Filmmaterial gestohlen, einfach alles.“ Da mussten wir ihn nach Hause bekommen und uns dann Gedanken über das Material machen.

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Da gibt es eine Szene, in der du Blackwater anrufst, diese berüchtigte, private Militärfirma, um sie zu bitten, ihn aus dem Gefängnis zu holen. Ist das echt passiert? Was haben sie geantwortet?

Blackwater war echt. Wir haben tatsächlich einen Haufen privater Sicherheitsfirmen angerufen, als Mohamed im Gefängnis saß. Wir wollten hauptsächlich sehen, was man benötigt, um jemanden in Afrika aus einer Situation wieder dieser zu befreien und wie viel das kosten würde. Natürlich wäre es irrsinnig teuer sein, aber wir waren bereit, das in Erwägung zu ziehen. Blackwater hat uns aber nicht ernst genommen. Sie vermittelten uns eine Kontaktperson, die uns angeblich helfen solle, aber nie auf uns zurückkam. Ich glaube, weil wir das alles in einem kleinen Auto filmten und sie verschreckten. Rückblickend betrachtet wäre es wahrscheinlich ein großer Fehler gewesen, diese Schiene zu fahren.

Mohamed ist mit den Piraten in Kontakt gekommen, indem er als Vermittler eines westlichen Geschäftsmanns aufgetreten ist. Kannst du das erklären?

Wir wussten sehr wenig darüber, wie die Sachen dort unten ablaufen, er hingegen schon. Er sagte: „Schaut, Piraten machen ihr Geld so. Investoren sind daran beteiligt und es ist eigentlich ein Geschäft. Es gibt ausländische Geldgeber aus der ganzen Welt. Sie sind diejenigen, die normalerweise den Hauptanteil des Profits kriegen.“ Sollten sie ihn also jemals fragen, warum er filmte, könnte er immer behaupten, er täte das, um es Investoren zu zeigen. Das war unsere Deckung, obwohl er uns die ganze Zeit das Bildmaterial geschickt hat und wir es zu dem Film hinzufügten.

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Mohamed Ashareh

Hat das viel gekostet?

Somalia ist kein günstiges Land. Wir haben allein 30.000 Dollar für diese Reise ausgegeben. Es gibt keinen Listenpreis für irgendwas, es gibt keine richtige Wirtschaft und wenn ein Pirat ein Schiff kentert, steigen in der Stadt die Preise. Sie wissen schließlich, dass die Piraten Millionen von Dollar machen werden.

Der Film geht ziemlich wohlwollend mit den ursprünglichen Gründen der Piraterie in Somalia um—die Überfischung durch westliche Fischerflotten, die die lokale Fischereiindustrie zum Erliegen brachte und so weiter. Und dann wiederum zeigt er sehr genau, dass diese Probleme noch immer als Entschuldigung benutzt werden, aber längst nicht mehr die Art rechtfertigen, mit der die Piraten jetzt operieren. Es geht hier längt nicht mehr um erschöpfte Fischbestände, oder?

Nein, nicht mehr … Wir wussten, dass diese Leute richtige Gangster waren. Dennoch dachten wir: „OK, wenn diese Leute ihre Lebensgrundlage schützen, haben sie das Recht dazu, loszuziehen und jeden vom Fischklau in ihren Gewässern abzuhalten.“ Ich meine, stell dir vor, du lebst in einem dezimierten Land wie diesem und ein Schiff kommt vorbei und würde dir deinen Fisch wegnehmen; und anstatt zu fischen, würdest du hingehen und das Schiff in Geiselhaft nehmen, bis dich eine Versicherungsfirma bezahlt, dann würdest du das tun. Das steht nicht zur Debatte. Jeder normale Mensch würde das tun. Aber dann hat sich alles plötzlich ums Geld gedreht—darum, große Tanker zu überfallen, weil sie unbewaffnet sind, langsamer und mehr wert. Es ist nicht so, als wären sie verrückt und würden rausgehen und Leute umbringen, sie sehen das als eine Art Job an.

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Eine Weile lang war das ein Thema, aber Reportagen kommen wirklich nur ganz vereinzelt an. Ihr Jungs scheint, den besten Zugang gefunden zu haben.

Deshalb haben wir uns darauf eingelassen—weil wir wussten, dass dies ein Film ist, der auf alle Fälle entstehen würde. Wir wissen, dass Leute, die diese Art von Dokumentation machen, entweder den gesamten Weg gehen, da rein gehen und ihr Leben riskieren oder das Ganze aus Sicht des Militärs und reformierter Piraten zeigen, bevor sie für Interviews in ein Londoner Büro reisen.

Dieser eine westliche Experte in eurem Film war Matt Bryden von der UN, der war sehr gut …

Ursprünglich hatten wir viele somalische Politiker interviewt und die haben nur schlecht über ihn geredet, sie nannten ihn den „weißen Teufel“. Zuerst glaubten wir ihnen. Er reichte diesen Bericht ein, in dem es heißt, dass in Somalia massig Korruption vor sich geht. Das tat uns für die ganzen beschuldigten Politiker leid. Was viele von ihnen nie wirklich verstanden haben ist, dass Matt Bryden Beweise für das alles besaß. Ich glaube, sie dachten, es handle sich nur um bloße Anschuldigungen. Wir gingen zu diesem Interview und dachten, dass sich dieser Typ zum Idioten machen würde, im Endeffekt ist es aber unser bestes Material.

Seid ihr inzwischen davon überzeugt, dass die Regierung Puntlands eine Art geheime Absprache mit den Piraten geschlossen hat?

Es gibt in dieser Regierung ein paar gute Menschen und dann gibt es eben noch die Korrupten, genau wie im Westen auch. Aber ja, über den Präsidenten Puntlands gab es viele Gespräche und jeder in der Gemeinschaft weiß das, sie habe die ganze Zeit davon gesprochen.

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Was denkst du über die Wahrnehmung der westlichen Welt von den Piraten?

Einer der Hauptgründe für diesen Film ist der, dass wir den populären Medien einen dicken Mittelfinger zeigen wollten, weil sie über diese Geschichte nicht sachgemäß berichten können. Die etablierten Medien gehen an die Piratengeschichte mit einer solch geschmacklosen Einstellung heran—du weißt schon, Fluch der Karibik und solche Sachen. Sie verstehen gar nicht, was diese Leute durchgemacht haben und dass sie jetzt im Grunde einen Streifen Wasser kontrollieren und buchstäblich jeden bescheißen werden, wenn nichts passiert. Ich meine, schau dir doch mal die ganzen Schiffe an, die dort lang fahren …

Also glaubst du, dass die anfängliche Berichterstattung eher bevormundend oder einfach unvollständig und sensationsgeil ablief?

Ja, total. Das Problem liegt auf dem Land. Die wahre Geschichte dreht sich nicht um Piraterie, es geht um die Entsorgung von Giftmüll und die immer dezimierteren Fischvorräte in diesem Gebiet. Ich finde es verrückt, wenn du an die ganzen Menschen denkst, die aus den Ländern der ersten Welt kommen und giftigen, sogar nuklearen Müll im Wasser entsorgen. Die davon betroffenen Somalier—das zeigen wir in dem Film—müssen in Nairobi ins Krankenhaus und werden schlecht versorgt, weil sie nach den Kenianern behandelt werden. Sie überleben normalerweise nicht. Und dann hast du im selben Wasser diese Fischereischiffe, die den ganzen Fisch nehmen, ihn verarbeiten und ihn an die gesamte Welt verkaufen …

… und auf unsere Teller bringen. Danke Andrew. Gut gemacht!

Danke, Oscar!