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Sex

Ein Interview mit einem Typen, der wahllos Leute k.o. schlägt und sich dabei filmen lässt

„Es gibt keine Regeln beim Knockout—du schlägst einfach ein Opfer k.o., das du dir auf der Straße ausgesucht hast. Es kann überall stattfinden und jeder ist ein potenzielles Opfer. Für mich ist es einfach nur ein Mittel, mich abzureagieren und mich zu...

„Knockout“ ist ein extrem gewalttätiges „Spiel“, das ganz Amerika in Schrecken versetzt. Die in armen Gegenden an der Ostküste der USA immer mehr in Mode kommende Freizeitbeschäftigung besteht darin, Passanten zusammenzuschlagen, die nichtsahnend durch die Straßen spazieren—einfach so aus Spaß.

Die ersten Erwähnungen von Knockout als Spiel lassen sich bereits 1992 finden. Mit der Verbreitung Dutzender Gewaltvideos, die die Angreifer selbst gedreht haben, hat das Spiel in diesem Jahr jedoch ein neues Ausmaß erreicht.

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Die Videos wurden über soziale Netzwerke verbreitet und erregten dadurch die Aufmerksamkeit der Medien. Die Polizei befürchtet nun, dass sich der Trend im ganzen Land ausbreiten könnte. Neben New York kam es auch in Philadelphia und Chicago vermehrt zu derartigen Vorfällen.

Eine Freundin aus Brooklyn erzählte mir, dass sie kürzlich einen „berühmten Knockout-Spieler“ kennengelernt hat, der ihr mehrere selbstgedrehte K.o.-Videos gezeigt hat—ihrer Meinung nach, um sie rumzukriegen. Ich habe sie gebeten, dem Typen (er heißt John* und ist 24 Jahre alt) meine E-Mail-Adresse zu geben, weil ich herausfinden wollte, was so witzig daran sein soll, Unschuldige auf der Straße zusammenzuschlagen.

Obwohl er extrem paranoid ist, ließ John sich darauf ein, mit mir zu chatten—in einem Internetcafé (ich in Paris, er in New York) und mit nur für diesen Anlass erstellten E-Mail-Adressen. Zuallererst erinnerte er mich daran, dass drei der letzten Angriffe in Brooklyn ihm und seinen Freunden zuzuschreiben sind.

VICE: Worum geht es beim Knockout? 
John: Es gibt keine Regeln beim Knockout—du schlägst einfach ein Opfer k.o., das du dir zufällig auf der Straße ausgesucht hast. Es kann überall stattfinden und jeder ist ein potenzielles Opfer. Für mich ist es einfach nur ein Mittel, mich abzureagieren und mich zu amüsieren. Es ist extrem lustig, Leute aufs Kreuz zu legen. Ich muss lachen, wenn ich sehe, wie wir den Leuten aufs Genick schlagen und sie zusammensacken, als wenn sie einschlafen würden.

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Und warum machst du das?  
Weißt du, es gibt keine Arbeit, kein Geld und keine Perspektiven. Außer Drogen und Gewalt ist nichts mehr übrig. Mit Knockout haben wir uns für die Gewalt entschieden. Dadurch können wir uns abreagieren. So sind Menschen nunmal. Wenn sie gestresst sind, haben sie Gefühlsschwankungen, sie schreien, machen Sachen kaputt oder nehmen Pillen—und wir schlagen eben jemanden k.o.

Ich habe vor sechs oder sieben Jahren damit angefangen. Damals kamen die Angriffe nicht so häufig vor, und in den Medien sprach kein Mensch darüber—wir haben es damals auch noch nicht „Knockout Game“ genannt. Die Aktionen wurde als Einzelfälle betrachtet und niemanden hat sich daran gestört. Aber seitdem die Zeitungen es als „Spiel“ bezeichnen und alle Angriffe sammeln, haben die Leute Angst. Als wenn wir eine verdammte organisierte Bande wären. Am Anfang haben wir keine Videos gemacht. Wir haben damit angefangen, weil es uns Spaß gebracht hat, es im Anschluss nochmal zusammen anzukucken. Dann haben wir die Videos ins Netz gestellt, und seitdem wird es von der Presse als Knockout bezeichnet.

Betrachtest du es denn auch als Spiel? 
Ja, unter uns ist es schon ein Spiel. Aber vielleicht ein sadistisches Spiel. Die Idee bei einem Spiel ist ja, dass es immer einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Dieses Spiel ist die dunkle Seite Amerikas, eines Landes, das süchtig nach Gewalt, nach Waffen und Kriegen ist. Wir spielen mit dem, was man uns gibt, und wir sind ziemlich gut darin—du hast meine Knockouts im Fernsehen gesehen, oder?

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Knockout-Spieler, die gerade einen Typen bewusstlos geschlagen haben.

Findest du es gewaltsam? Gab es schonmal jemanden, der dich verfolgt oder zurückgeschlagen hat?
Ja, es ist gewaltsam, aber vor allem für die Opfer—wir sind ja auf der Seite der Jäger. Wir sind die Könige des Dschungels, die Wächter des „Brooklyn Zoo“. Für uns ist es wie ein  starker Schlag auf einen Punchingball. Wir schaffen es aber nicht immer, die Leute umzuhauen, es kommt vor, dass du auf einen Typen einschlägst, er aber nicht zu Boden geht. Die Leute brauchen immer ein bisschen, bis sie verstanden haben, was gerade passiert ist. Nach ein paar Sekunden versuchen sie, uns einzuholen—sie rennen und schreien—, aber wir haben dann schon einen großen Vorsprung. Diese Leute sind uns egal—sie sind allein und wir sind sechs oder sieben—, aber in der Zwischenzeit könnten die Bullen kommen und uns erwischen.

Einmal hat ein Kumpel im letzten Moment seine Rechte zurückgezogen und der Passant hat ihm eine reingehauen: Er war geschlagen. Seitdem lachen wir ihn aus. Wir haben ihn gefilmt, und wenn er uns nervt, zeigen wir ihm das Video von diesem Tag.

Was geht in dir vor, wenn du einen Unschuldigen zusammenschlägst? Empfindest du Stress oder Angst?
Nein, Angst nicht, und Stress, na ja, vielleicht ein bisschen. Ich will, dass das Ganze schnell über die Bühne geht. In dem Moment, wo ich mir jemanden vornehme, bin ich von Gewalt und idiotischen Gedanken getrieben. Ich will meinen Kumpels einfach nur zeigen, dass ich ein Kerl bin, der vor nichts Angst hat und größere Eier hat als sie. Ich denke an nichts Bestimmtes, nur manchmal an Mohammed Ali wegen des Stils. Man darf es nicht vermasseln, im Fernsehen wird deine Rechte in Großaufnahme gezeigt!

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Hattest du schonmal ein schlechtes Gewissen, nachdem du einen Passanten k.o. geschlagen hast? 
In diesem Moment gibt es kein Mitgefühl. Wenn wir mit unseren Kumpels unterwegs sind, setzt unsere Empathie aus, wir wollen einfach die Crew zum Lachen bringen, indem wir den Verstand ausschalten—meistens verlassen wir die Szenerie lachend. Meine Kumpel nennen mich Iron Fist, nach dem Typen aus den Marvel-Comics. Wenn du im Fernsehen siehst, dass der Typ, den du umgehauen hast, im Koma liegt oder tot ist—so wie es letztens passiert ist—, muss das hart sein.

In der Tat. Gibt es einen bestimmten Opfertyp, auf den ihr es abgesehen habt, oder Leute, die leichter zu kriegen sind als andere?
Nein. Wir suchen unsere Opfer zufällig aus und nehmen nie Frauen—diejenigen, die Frauen angreifen, sind Idioten. Manchmal geht das Ganze aus einer Wette hervor, oder wir sehen Typen, die auf der Straße auf uns herabsehen. In den Medien heißt es jetzt, dass sich die Angriffe gegen Juden richten, aber das ist eine Lüge. In den meisten Fällen trifft es dich einfach, weil du Pech hast, mein Freund.

Ein weibliches Opfer eines Knockout-Angriffs in England

Hast du die Angriffe gezählt, an denen zu teilgenommen hast?
Nein. Es gab viele, aber wir stellen nur die Videos online, in denen die Leute sofort k.o. sind. Viele Angriffe haben zu nichts geführt. Ich würde sagen, dass ich bei ungefähr zehn Angriffen mitgemacht habe, bei denen es geklappt hat, darunter die drei in Brooklyn, die die Bullen mitbekommen haben. Das ist meine Hood, spiel dich nicht auf, wenn du hier langgehst.

Dadurch, dass eure Videos in sozialen Netzwerken geteilt werden, wurde Knockout ziemlich schnell populär. Glaubst du, dass es auf dem Weg ist, bei Jugendlichen in Mode zu kommen?
Knockout ist das Ergebnis aus einem Überschuss an Energie und einem Mangel an Freizeitangeboten für Typen aus dem Ghetto. Sie reagieren sich ab, das ist alles. Siehst du, wie Brutalität vermarktet und von Hollywood und Computerspielen glorifizieret wird? In Filmen und Computerspielen wie GTA wird Gewalt angepriesen. Gewalt ist zu einer Banalität geworden.

Denkst du, dass die Medienaufmerksamkeit die Verbreitung von Knockout hemmen wird, oder sie es eher noch beliebter machen wird?
Bestimmte Leute, besonders jüngere, sind dadurch erst auf die Idee gekommen. Aber Knockout gab es schon immer, es ist in letzter Zeit nur beliebter geworden. Die Medien haben noch dazu beigetragen, so dass die Politiker jetzt reagieren müssen. Um die Zahl der Angriffe zu reduzieren, haben sie jetzt die Strafen für Knockout verschärft. Außerdem wurden mehr Polizisten auf die Straße geschickt, und in den Medien werden Aufrufe für mehr Wachsamkeit verbreitet. Ich habe sogar schon Interviews mit Opfern gesehen. Das ist der Spaß nicht mehr wert, ich habe keine Lust, wegen so einem Scheiß erwischt zu werden. Früher gab es keine Konsequenzen, es war nur ein Mittel, um Stress abzubauen.

Du willst also aufhören? 
Ja, ich werde damit aufhören. Das mit den Todesfällen und den lebenslangen Gefängnisstrafen geht zu weit. Ich hatte viel Spaß, aber im Rückblick sehe ich ein, dass es nicht gut war. Es ist so, wie einen Porno zu kucken—am Ende ekelst du dich. Aber alle machen es wieder, weil Sex eben ein Trieb ist—genau wie für uns die Gewalt.