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Juice Cleanse

Ich bin zum Cleansing nach Thailand gefahren und habe es gehasst

„Jeden Tag hat man uns drei Säfte vorgesetzt: einen schlammfarbenen Shake mit Spirulina, dann Kokoswasser und zum Abschluss einen Gemüsesaft.“ Klar, dass man sich dann nach Phat Thai, Tom Yum und frittierten Bananen sehnt.
Foto von bertholf via Flickr

Rückblickend ist es ziemlich schwer zu sagen, warum ich mich auf eine fünftägige Saftkur eingelassen habe. Selbstgeißelung lag mir irgendwie schon immer, die Arbeit ödet mich oft nur an. Also dachte ich, ich könnte eine geistige und körperliche Herausforderung gebrauchen. Nach kurzer Suche im Internet war ich von den vielen Gesundheitsvorteilen des „Juice Cleansing" absolut überzeugt: Es beruhigt Magen, Leber und Darm, es entgiftet, der Körper bekommt Nährstoffe im Überfluss und die eigenen Energiereserven werden wieder aufgeladen bzw. erreichen sogar neue Höchststände. Außerdem versprach so eine Saftkur eine absolute Selbsterfüllung, inneren Frieden und Reinigung. Nach einer Woche schamloser Völlerei, des zwischenmenschlichen Chaos und dem dann folgendem Selbsthass klang das einfach verlockend.

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Mit meinem Freund im Schlepptau fuhr ich also auf die thailändische Insel Koh Samui. Hier blieben wir fünf Nächte und sechs Tage im „Spa Resorts Samui", eine Art Detox-Hotel, das bekannt ist für seine „Juice It"-Fastenkuren. Das Hotel liegt an einem Privatstrand versteckt in einer der ruhigeren Ecken der Insel, sodass man zum Glück weit weg vom touristischen Zentrum der Insel ist, eine übelerregende Stadt, wo sich sonst nur pöbelnde, sonnenverbrannte Engländer und Thai-Prostituierte tummeln. Leider konnte ich mit dieser Idylle überhaupt nichts anfangen.

Es gibt nichts, was mir einen Urlaub mehr versauen könnte, als die ständige Angst, beim Verlassen des Hotelzimmers über eines der umherwandernden Skelette zu stolpern, das mit grimmiger Entschlossenheit eine Eimer mit Darmspülungsflüssigkeit fest umklammert.

Zunächst waren da die anderen Gäste: Fast jeder von ihnen war entweder besorgniserregend übergewichtig oder gefährlich magersüchtig. Normalerweise ziehe ich nicht über Menschen mit Gewichtsproblemen her, aber ehrlich gesagt gibt es nichts, was mir einen Urlaub mehr versauen könnte, als die ständige Angst, beim Verlassen des Hotelzimmers über ein Skelett zu stolpern, das mit grimmiger Entschlossenheit einen Eimer mit Darmspülungsflüssigkeit fest umklammert.Mit meiner Größe 38 fühlte ich mich wie die Hauptattraktion in einer Freak Show, das hat mir nicht unbedingt Selbstbewusstsein verschafft.

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Außerdem hatte ich keinen geregelten Tagesablauf mehr: Normalerweise gibt es für mich drei Fixpunkte—Frühstück, Mittag, Abendbrot. Wenn ich mal eine längeres Telefonmeeting habe, lasse ich deswegen noch keine Mahlzeit aus. Essen ist ein bewusster, sozialer und befriedigender Prozess, der meinem Tag einen roten Faden gibt. Ohne feste Mahlzeiten gibt es keinen Morgen, keinen Nachmittag und keinen Abend.

Also habe ich 98 Prozent meiner Zeit im Resort damit verbracht, an Essen zu denken. Vorher hatte ich mir einige überzeugende Berichte von Leuten durchgelesen, die schon ein Juice Cleansing hinter sich hatten. Alle meinten, dass man nach den ersten Tagen überhaupt nicht mehr an seinen Bauch denkt, sondern man sich stattdessen in einen tieferen meditativen Zustand versetzt fühlt, den man nie erreichen könnte, wenn man einen fettigen doppelten Hamburger verdrückt. Das sehe ich anders. Der fünfte Tag war noch genauso qualvoll wie der erste. Als ich Zeit hatte, um in mich zu gehen, hat mir keine Stimme von oben eine bahnbrechende Erkenntnis ins Ohr geflüstert. Eher habe ich die ganze Zeit meinem unbändigen Magengrummeln gelauscht.

Meist gingen wir früh ins Bett, aber auch der Sex war mehr Anstrengung als Genuss.

Dieses Problem hat sich durch die Säfte noch verstärkt: Dadurch hatte ich nur noch mehr Appetit auf faktisch alles, was irgendwie fester war und nach ein bisschen was schmeckte. Jeden Tag hat man uns drei Säfte vorgesetzt: einen schlammfarbenen Shake mit Spirulina, dann Kokoswasser und zum Abschluss einen Gemüsesaft. Den Spirulina-Shake habe ich so früh wie möglich runtergezwungen, damit mir nicht den ganzen Tag speiübel war. An einem guten Tag bekamen wir abends noch eine Tasse milde klare Brühe mit leicht erdigem Geschmack.

Vor allem fühlten wir uns beide ständig unglaublich ausgelaugt. Wir hatten kaum Energie, kaum Lust irgendetwas zu tun. Einmal haben wir eine Motorradtour gemacht, nur um dabei festzustellen, dass man nirgendwo hinfahren konnte, ohne nicht die ganze Zeit die verführerischen Gerüche der Straßenmärkte in die Nase zu bekommen: dampfende Töpfe gefüllt mit Tom Yam mit reichlich Shrimps, brutzelnde Pfannen mit Phat Thai mit ordentlich Tamarindenpaste und frittierte Bananen in einem Bett aus Kokosraspeln oder Nutella. Um den Versuchungen irgendwie widerstehen zu können, sind wir dann überhaupt nicht mehr aus dem Resort raus. Meist gingen wir früh ins Bett, aber auch der Sex war mehr Anstrengung als Genuss. Wir haben uns nur noch plattschbreit auf unsere leeren Bäuche gelegt und Lammkarrees zum Einschlafen gezählt.

Vielleicht zeigt dieses schreckliche Erlebnis eher, wie verwöhnt ich schon bin, als dass es irgendetwas über Saftkuren selbst aussagt. Vielleicht verstehe ich das Konzept einfach nicht. Was auch immer der Sinn dahinter ist, es fällt mir einfach schwer, überhaupt irgendwelche Vorteile nennen zu können. Statt einer plötzlichen Bewusstseinsänderung und einem Gefühl der Selbsterfüllung fühlte ich mich nur schwach und hungrig. Außerdem war ich ziemlich sauer, dass ich Tausende Baht nur dafür ausgegeben habe, ein Drittel meines Jahresurlaubs in irgendeinem blöden sozialen Experiment zu verbringen.Die zwei Kilo, die ich in Thailand abgenommen hatte, hatte ich nach meiner Flucht aus dem Resort schnell wieder drauf.

Als Tag Nummer Sechs endlich näher rückte, kippte ich meine letzte Portion Kohlsaft ins Meer, checkte in ein exklusives Hotel ein und deckte mich mit so vielen frittierten Thai-Shrimps und rotem Curry ein, wie ich nur auftreiben konnte und versetzte mich so durch ein gutes Food-Koma in einen echten meditativen Zustand.