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Kälte und Knüppel schwächen die Proteste in der Ukraine

Die Proteste werden unter Polizeigewalt, Kälte und Nebel immer aussichtsloser. Auch die EU bleibt den Ukrainern gegenüber eher reserviert. Aber einige Ukrainer, die im Ausland leben, fühlen sich in ihrem Patriotismus stärker denn je und kehren zurück.

Foto von Jordi Bernaubeu

In der Ukraine kämpfen seit heute morgen Polizei und Demonstranten mit Schlagstöcken und Knüppeln gegen einander. Wie abzusehen war, will die Regierung dem Ganzen ein Ende setzen. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Kälte (minus 10 Grad und Nebel) die Demonstranten mehr und mehr in ihre Häuser zurücktreibt. Außerdem reißt sich die EU angesichts ihrer eigenen Probleme nicht gerade darum, die Ukrainer zu unterstützen oder sie gar in den Staatenbund aufzunehmen. Aber einige denken trotzdem nicht daran aufzugeben.

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Vakula

Ich habe mit einem der bekanntesten DJs und Producern aus der Ukraine gesprochen, um herauszufinden, was er von der zunehmend hoffnungslos scheinenden Situation hält. Vakula, den vielleicht einige aus dem Boiler Room oder der Panorama Bar im Berliner Berghain kennen, hat selbst einigen Demos auf dem Maidan beigewohnt und gibt sich kämpferisch. Er ist vor Kurzem von Moskau in seinen Heimatort Konotop gezogen—nordöstlich von der fast 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Kiew. Im Moment ist er aber in Kiew. Gestern Nacht hat er mir noch auf Facebook geschrieben, dass es dort heftig abgeht. Aber ich kann ihn gerade nicht mehr erreichen …

VICE: Viele EU-Bürger sind sehr frustriert—beispielsweise in Spanien oder in Griechenland. Sie haben keine Jobs und scheinen sich ziemlich verloren zu fühlen. Wissen die Ukrainer davon? Und denken sie, dass es ihnen besser gehen wird, wenn die Ukraine Teil der Europäischen Union werden sollte?
Vakula:Wir wollen von der EU bisher nur vor dieser Gang beschützt werden, die in der Regierung sitzt, also Schutz vor Korruption. Unser Land ist sehr stark aufgestellt, aber unser Präsident schwächt es.

Trotzdem wollen viele Europäer, vor allem aus den wohlhabenden Ländern, die Ukraine nicht in der EU sehen. Sie haben Angst davor, dass sie für die Schulden der Ukraine zahlen müssen. Weiß der einfache Demonstrant davon?
Diese Demonstrationen haben nicht mehr den EU-Beitritt zum Ziel—zumindest seit der Nacht, als die Soldaten die pazifistischen Studenten auf dem Maidan zusammenschlugen. Alle Menschen sind gegen diese Regierung und ihre Methoden, uns zu kontrollieren! Ich persönlich brauche keinen Bund mit Europa. Die Ukraine ist Europa! Ich will, dass mein Land so stark wird, wie es mal war … zu Zeiten der Zaporizka Sich. Deswegen bin ich gegen diese Regierung. Sie tötet unser Land.

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Foto von Ivan Bandura

Die Brüder Klitschko sind in Deutschland sehr beliebt. Viele Deutsche sehen in Vitali den Oppositionsführer. Ist er das wirklich? Und wenn ja, denkst du, dass er ein guter Präsident wäre?
Ich kann ihn mir nicht als Präsidenten vorstellen, aber er ist einer der Oppositionsführer. Und er hat keine Angst davor, gegen diese Gang, die unser Land kontrolliert, anzukämpfen.

Welche Politiker wären für den Job als Präsident geeignet? Es gibt zwei wahrscheinliche Kandidaten—Oleh Tjahnybok von der Swoboda-Partei (dt. Freiheit) oder Arsenij Jazenjuk, ehemaliger Außenminister des Landes.
Diese beiden Männer haben nicht genug Kraft und Charisma, um dieses Land zu regieren. Was Jazenjuk angeht, bin ich besonders skeptisch, weil er lange Zeit in der Regierung war und in dieser Zeit häufig seine Meinung geändert hat. Aber ich will niemanden verurteilen, denn bevor diese besondere Situation eintrat, war ich politisch nicht sehr engagiert, deswegen will ich mir kein Urteil erlauben. Besonders kein falsches.

Die Ukraine scheint sich in einer Identitätskrise zu befinden. Würde eine Teilung der Ukraine in einen ukrainischen Teil und einen russischen Sinn machen?
Ja, wir haben einige Regionen, in denen Menschen leben, die sich nicht als Ukrainer sehen. Ich persönlich wuchs zu Zeiten der Sowjetunion auf und besuchte eine russische Schule. Aber nachdem die Ukraine 1991 ihre Unabhängigkeit erlangte, habe ich keinen einzigen Gedanken an die Frage verschwendet, wer ich bin. Ich bin Ukrainer. Mein Großvater war ein Kobzar und ein richtiger Ukrainer. Er ist mein Vorbild.

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Was muss sich sonst noch ändern, damit es besser wird?
Wir wollen einen Patrioten in der Regierung. Einer, der was für die Menschen in diesem Land tut, die es lieben und es stärken wollen.

Wie würdest du die Stimmung in deinem Land beschreiben? Ist sie eher aggressiv oder freundlich? Was denkt die einfache Bevölkerung?
Ich kann sagen, dass die Menschen, die sich heute auf den Straßen befinden, sehr auf ihrer Meinung beharren. Aber die gesamte Stimmung ist nicht aggressiv. Es liegt ein Gefühl des totalen Zusammenhalts in der Luft, und wir fühlen uns alle wie Brüder. Die einzigen Aggressoren, die ich wahrnehme, tragen Uniformen. Sie sind gegen unsere Nation und sollten sich schämen.

Foto von Ivan Bandura

Warst du selbst auf einigen Demonstrationen? Was hast du dort erlebt und was hat dich besonders wütend oder vielleicht sogar glücklich gemacht?
Ich war in den letzten Wochen häufig in Kiew und bin sehr stolz darauf, Teil dieser Demonstrationen zu sein. Ich fühle den ukrainischen Geist, der in der Luft liegt und uns alle verbindet. Ich war nicht da, als die Soldaten brutal auf die Studenten losgingen, aber ich war sehr verärgert darüber. Am nächsten Tag nahm ich den Zug und war bereit, gegen diese Situation anzukämpfen!

Du scheinst ein politischer Mensch zu sein. Welchen Einfluss haben diese Geschehnisse auf deine Arbeit als Musiker?
Ich kann mich jetzt nicht auf Musik konzentrieren, weil ich ständig an mein Volk und mein Land denken muss. Ich schlafe mit den Gedanken an die Zukunft unseres Landes ein und wache mit ihnen auf …

OK. Vielen Dank. Ich wünsche dir und deinem Land alles Gute.