FYI.

This story is over 5 years old.

Words

Roman Flügel verkleidet sich nicht

Roman Flügel spricht über seine Erfahrungen mit Sekten und Sythesizern.

Halloween ist vorbei, Weihnachten nähert sich in Blitzkrieggeschwindigkeit. Immer mehr frierende Muttis schieben ihre Kinderwagen durch Berlin Neukölln, Burgerläden sprießen aus dem Boden wie Ebola-Falschmeldungen. Alles ist vergänglich, alles wandelt sich, nur das Berghain steht unbeeindruckt da und ist rechteckig. Eben dort, in der Panoramabar, hat am Samstag Roman Flügel gespielt, und da wir Roman Flügel schon seit Längerem schätzen, haben wir ihn zu einem Interview gebeten. Roman Flügels musikalische Geschichte ist so lang, dass wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen, aber ihr könnt ja alle googeln. Sein Remix von C.A.R.s „Idle Eyes" dürfte niemandem entgangen sein (C.A.R.s Album ist übrigens letzte Woche erschienen) und wir erfreuen uns immer noch an seinem letzten Album, Happiness is Happening. Das Gespräch fand Sonntag in der Lobby seines Hotels statt, bei Wasser. Stillem Wasser. Aus einer Glasflasche.

Anzeige

THUMP: Du kommst gerade aus Glasgow?

Roman Flügel: Ja. Halloween. Irrsinn.

Warst du auch verkleidet?

Nein. Aber es ist schon verrückt zu sehen, wenn der ganze Saal voller Monster ist.

Aber das ist doch im Berghain auch so.

Hah. Nee. Die sehen schon noch ein bisschen anders aus. Ich hab nur gemerkt, dass die meisten entweder Superhelden oder Zombies sind.

Was liegt dir näher? Superheld oder Zombie?

Ich glaub das Zombiemäßige. Ich verkleide mich eigentlich nie. Wenn ich müsste, dann würde ich irgendwas Dandymäßiges machen, so aus dem 19. Jahrhundert.

Du warst gerade auf Tour? Wie war's?

Grundsätzlich super. Ich spiele ja die letzten Jahre immer einmal im Jahr in Amerika, da hat sich viel getan. Diesmal war es noch verrückter, weil ich auch in Mexiko gespielt hab, in dieser Grenzstadt, Ciudad Juáres, ein Unort, aber auch spannend zu sehen, dass an solchen Orten auf einmal eine Clubszene existiert. Wie die seit acht Jahren dort was am Laufen halten, wo der Rest der Stadt einen ziemlich wüsten Eindruck macht. In Amerika gab es jahrelang keine Möglichkeit zu spielen, das hat sich erst in den letzten Jahren mit der Globalisierung geändert. Was in Europa, in Berlin passiert, hat einen immensen Eindruck gemacht. Da haben sich ganze Szenen nach Amerika verlagert. Als ich vor zehn, zwölf Jahren mal in New York war, war für die alles, was mit elektronischer Musik zu tun hatte, letzten Endes Schwulenmusik.

Anzeige

Haha.

Nein, wirklich. Das war nicht denkbar für die meisten. Alles war so Rock-dominiert, dass die Musik überhaupt nicht angekommen ist.

Also bei den Typen in den zerrissenen Jeans, die ihre Gitarren auf der Bühne zerschmettern etc … ?

Ja genau, inzwischen ist das Klischee in Frage gestellt worden. Auf der anderen Seite hat man in Amerika diesen Durchbruch von ultrakommerzieller Dancemusic mit EDM, was ja eigentlich die Proll-Rock-Fraktion abgelöst hat.

Man weiß nicht, ob zum Besseren.

Ich war wirklich verblüfft. Ciudad Juáres ist die andere Seite von El Paso, wo ganz viele Mexikaner versuchen, auf die amerikanische Seite zu kommen, über die Grenze, die sehr stark gesichert ist. Ich hab viele Geschichten gehört von denen, die mich eingeladen haben, die dort leben, leben müssen, wollen natürlich auch. 2010 hatten die bürgerkriegsähnliche Zustände im Norden von Mexiko, wo sich verschiedene Drogenkartelle bekämpft haben. Das hat natürlich auch das Leben der normalen Bürger dort in Mitleidenschaft gezogen; die mussten den Club für ein halbes Jahr schließen, weil es ständig irgendwelche Schießereien auf der Straße gab. Das hat sich aber mittlerweile wieder beruhigt. Es gibt im Prinzip nur diesen einen Club da. Es ist verblüffend zu sehen, wofür Berlin, wofür Techno dort steht, das wird dann gerne auch nachgebaut. Dieser Berghain-Look.

Also so eine Art Berghain-Nachbau? Sieht das gut aus?

Anzeige

Nicht schlecht, aber es geht nichts über das Original.

Wie ist die Anlage da?

Schlecht.

Haha. Auf welcher Anlage spielst du am liebsten?

Im Tel Aviv im The Block. Da ist einfach die wohlaustarierteste Anlage ist, auf der ich jemals gespielt habe. Es klingt einfach wahnsinnig schön. Ich hab zuhause eine relativ schlechte Anlage. Es steht und fällt ja alles mit den Komponenten. Im Studio habe ich so 'ne Mischung aus analogen und digitalen Sachen, weil ich noch nie irgendwas verkauft hab.

Noch nie? 

Noch nie.

Aber gab es keine dieser Musiker-typischen Phasen des totalen Pleiteseins, wo du dich schweren Herzens von irgendetwas trennen musstest? Musstest du nie hungern?

Nein, auch das nicht. Ich muss sagen, ich bin echt froh, dass ich auch durch Krisen immer so gekommen bin, dass ich finanziell nicht ruiniert war. Darum hab ich, wie gesagt, inzwischen eine Mischung aus ALLEM. Analog. Digital. Software. Hardware. Der ganze Kram.

Wenn du was verkaufen müsstest, was würdest du verkaufen? Und was auf gar keinen Fall hergeben?

Oje. (Langes Schweigen) Was ich nicht verkaufen würde, wäre mein alter KORG MS-20 oder der MKS80 Analog Synthesizer von Roland.

Und der Synthesizer, den du mit auf eine einsame Insel nehmen würdest, ist … ?

Ich würd den MS-20 mitnehmen, der ist einfach so ein wildes, rauhes Gerät, mit dem man viel machen kann, und der trotzdem so einen ganz speziellen Klang hat.

Was sind deine Pläne für den Rest des Jahres?

Anzeige

Im November spiel ich jedes Wochenende, im Dezember geh ich 4 Wochen nach Indien.

Um … dich selbst zu finden?

Na ja, das versucht man ja wahrscheinlich sowieso sein Leben lang. Nee, nicht explizit deswegen, aber ich bin in den letzten drei Jahren immer wieder nach Indien gekommen, und das ist echt ein großartiges Land. Entweder man will sofort wieder hin oder man hasst es so sehr sehr, dass man nie wieder hin will.

Die Freundin von einem Bekannten von mir hat Urlaub in Indien gemacht, und dann ihren Rückflug einmal verschoben, zweimal verschoben, und dann ist sie in ein Kloster da gegangen und hat ihren Namen geändert. Und er ist ihr hinterher um sie zurückzuholen.

Und, ist sie zurückgekommen?

Ich glaube ja.

Eine Freundin von mir ist mal in Amerika bei einer Sekte geblieben. Bei der Moon-Sekte. Ich weiß nicht, was daraus wurde, sie ist verschollen. Menschen suchen eben immer nach Erklärungen und Sinn und der eine hat vielleicht Gründe, nicht mehr heimkehren zu wollen. Manche haben einfach Angst davor, das normale Leben weiterzuführen.

Was denkst du, was für Musik hören die Leute in Sekten?

Ich glaub, das hängt von der Sekte ab. Ich hab auch mal so ein Experiment miterlebt, ich war mal eine Zeit lang auf einer sehr bizarren Privatschule, die geführt wurde von den Siebenten-Tags-Adventisten. Ich bin da gelandet, weil diese Schule nicht weit von meinem Elternhaus war—und weil es eine sehr, sehr schöne Schule war, und meine Eltern gar nicht genau wussten, was sich da eigentlich abspielt, die dachten sich so: „Der Weg dahin ist nicht weit, und die ist so schön eingerichtet und so toll am Waldesrand und so weiter." Und dann kam ich da hin und da war es wirklich so, dass klar war, dass bestimmte Musikrichtungen auf gar keinen Fall angesagt waren.

Anzeige

Zum Beispiel?

Heavy Metal. Satansmusik. Und Diskotheken waren auch des Teufels. Und „Mode-Torheiten", wie es genannt wurde. Das hat mich natürlich besonders angezogen. Das ist dann alles ziemlich kollidiert, meine Eltern hatten nämlich überhaupt nichts gegen Heavy Metal und gegen „Mode-Torheiten" schon gar nicht. In der Zehnten habe ich dann auf ein staatliches Gymnasium gewechselt. Aber war schon eine interessante Erfahrung, das ist ja z.B. ein Glauben, der ohne Evolution auskommt.

Aber wie war denn dann dein Biounterricht?

Naja, die waren staatlich anerkannt, das heißt, die mussten uns das schon beibringen, aber halt immer mit dem Vorbehalt, dass sie daran nicht glauben.

In Deutschland? in den Achtzigern? Bist du dir da nicht verschaukelt vorgekommen? 

Wir fanden das vollkommen albern. Aber es wurde immer wieder versucht zu indoktrinieren. Es sind dann irgendwelche Ex-Astronauten aus Amerika angereist, die dann Vorträge gehalten haben und aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse behauptet haben, dass die Evolution nicht stattgefunden hat. Damals war das ja sogar noch abwegiger.

Wow. Sonst noch spannende Vorkommnisse in deinem Leben?

Spannend? Es gibt soviel spannende Sachen, es ist eigentlich alles spannend. Ich langweile mich eigentlich nie. Ich bin so glücklich, dass ich so ein Leben führen kann wie ich es führe.

Ja, du scheinst das ganz gut hingekriegt zu haben.

Das ist eine Sache, die getragen ist und getragen wurde von extremer Begeisterung. Als ich anfing, gab es keine Szene, aber der Enthusiasmus war so groß, dass man da einfach ohne Vorbilder naiv reingeschlittert ist. Wenn da so was zusammenkommt wie eine Jugendbewegung plus die Wiedervereinigung, das ist getragen worden von einer Welle der Begeisterung, die dann hier in Berlin kulminiert ist. Das ist eine Energie, die so schnell nicht wieder kreiert werden kann, aber das hat uns alle getragen.

Ich hab festgestellt, im Alter werden eh alle entweder Zyniker oder Buddhisten.

Haha, ja. Ich würde mich für den Buddhisten entscheiden.

**

Folgt THUMP auf Facebook und Twitter.