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Noch mehr absurde Verschwörungstheorien um Flug MH370

Ein Flugzeug zu verlieren ist einfacher als ihr glaubt.

Dies ist eine Fortsetzung des gestrigen Artikels, der mit den Verschwörungstheorien aufgeräumt hat, die momentan von den Medien zu dem tragischen Verschwinden von Flug MH370 verbreitet werden. Teil eins findet ihr hier.

Die letzte bekannte Position von Flug MH370 nach der Ortung von FlightRadar23.com (Bild via)

Es hat nicht lange gedauert, bis wir uns daran gewöhnt haben, ständig beobachtet zu werden. Von den Überwachungskameras, die unsere Straßen säumen, zu den GPS Empfängern in unseren Handys; von personalisierter Internetwerbung bis zu den Geheimdienstmitarbeitern, die uns über unsere Webcams beim Wichsen zugucken. Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, dass, egal was wir tun und wo wir gerade sind, wir geortet und beobachtet werden können. Trotz der ganzen Datenschutzdebatten scheint es fast so, als ob wir uns eigentlich wünschen, dass das alles stimmt—dass wir daran glauben möchten, dass da oben im Himmel irgendwo ein kleiner Spionagesatellit umherschwebt, der uns durch seine wachsame Linse beobachtet und dem kackegal ist, was wir eigentlich treiben.

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Um zu sehen, wie weit wir damit eigentlich schon sind, brauchst du dir nur die öffentlichen Reaktionen auf zwei Nachrichtenthemen der jüngeren Vergangenheit anzuschauen. Als die NSA-Geschichte ans Licht kam und bekannt wurde, dass britische und amerikanische Geheimdienste gigantische Mengen Kommunikationsdaten speichern, waren die Reaktionen vielleicht empört—aber nicht verwundert: ‚natürlich machen die das’ und ‚das war doch schon lange klar’ hörte man aus allen Ecken. Andererseits ist das plötzliche Verschwinden von Flug MH370 von unserem digitalen Raster sehr schwer zu verdauen. Wie ist es möglich, dass über 200 Personen einfach so verschwinden, die in einem Flugzeug sitzen, das mit modernster Kommunikationstechnik vollgestopft ist?

Die Menschen scheinen, was auch einleuchtend ist, zu glauben, dass der Zustand und die Position von jedem Flugzeug, das gerade irgendwo auf der Welt unterwegs ist, permanent in Echtzeit zu einer Basisstation gesendet werden. Das war bei Flug MH370 allerdings nicht der Fall—die Rolls-Royce-Triebwerke der Maschine senden zwar per Satellit Datenpakete an die Hauptzentrale der Firma in Derby, aber das passiert auf jedem Flug nur einige Male. Es ist kein Livefeed, wie viele suggeriert haben. Im Fall von MH370 wurden zwei Datenpakete abgeschickt—eins nach dem Start und eins während des Anstiegs der Boeing 777 auf Reisehöhe.

Das ist nicht wirklich viel, aber eine konstante Datenübermittlung wäre schon nach kurzer Dauer unheimlich kostspielig—nach einer Studie von 2002, die in der Business Week zitiert wurde, würde allein die Übertragung bei einem solchen System etwa 216 Millionen Euro pro Jahr pro Fluggesellschaft kosten. Natürlich ist die Technologie inzwischen billiger geworden, aber irgendjemand müsste die Datenflut dann ja auch noch auswerten.

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Wäre die Möglichkeit der Echtzeitüberwachung das wirklich wert? Die Datenmengen, die Hersteller wie Rolls-Royce von jedem Flug erhalten, geben ihnen wertvolle Informationen, die sie zur Verbesserung der Performance und der Zuverlässigkeit ihrer Triebwerke heranziehen können, um so ihren Kunden am Ende bessere Produkte liefern zu können. Für eine moderne, sichere Fluggesellschaft und ihre Passagiere liegen die Vorteile nicht ganz so offen auf der Hand. Das Mehr an Daten wird wohl eher keine Unglücke verhindern, sondern lediglich eine etwas schnellere Aufklärung ihrer Ursachen ermöglichen. Wäre es dir lieber, dass die Airlines dafür Geld ausgeben, oder ist die Kohle vielleicht doch besser in eine direkte Steigerung der eigentlichen Flugsicherheit investiert?

Was ist eigentlich mit dem RADAR? Die Wahrheit ist, dass du, sobald du den Einzugsbereich der an Land befindlichen Radarstationen verlassen hast, auf dich allein gestellt bist. Die meisten Flugzeug haben an Bord einen ADS-B-Transponder, der jede halbe Sekunde die Position des Flugzeugs überträgt—das ist auch die Technik, mit der Webseiten wie FlightRadar24.com die Flugruten aufzeichnen, wie auch aktuell bei MH370 geschehen. Wenn der Transponder ausfällt, wird es extrem schwierig, das Flugzeug zu orten. Theoretisch kann eine angeschlagene Boeing 777 noch 20 Minuten durch die Luft gleiten, bevor sie dann auf dem Meer aufschlägt. In der Zeit kann die Maschine noch locker über 150 Kilometer zurücklegen. Zeichne also einen Radius von 200 Kilometern um die letzte bekannte Position und du hast locker 125.000 Quadratkilometer undurchschaubaren Ozeans, den du durchsuchen darfst. Schöne Scheiße.

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Einige Leute haben darauf hingewiesen, dass die Flugdatenschreiber und Cockpit-Stimmrecorder—die sogenannte Black Box—mit Unterwasserortungssignalen ausgestattet sind, was auch stimmt. Die Geräte stoßen Ultraschallsignale aus, die von Sonargeräten aus einigen Kilometern Entfernung aufgegriffen werden können. Diese Unterwasserortungssysteme, kurz ULB, haben bei Abstürzen auf dem Meer eine Überlebensrate von circa 90 Prozent, was wirklich gute Neuigkeiten sind. Die schlechten Neuigkeiten sind allerdings, dass das Sonarsystem nicht viel weiter als zwei Seemeilen entfernt sein darf, wenn du das Teil finden willst. Wenn dein Suchgebiet sich über mehrere zehntausend Quadratkilometer erstreckt, sind die Chancen relativ gering.

Natürlich war noch eine andere Form von Kommunikationsgerät an Bord des Flugzeuges—die Handys der Passagiere. Diese sind aber auch Grund für einige der dämlichsten Nachrichtenmeldungen in den letzten Tagen. Einige Zeitungen berichteten begeistert, dass die Handys einiger Passagiere vier Tage—sorry VIER TAGE—nach dem Crash immer noch klingelten, wenn man sie anrief.

Die Lösung für dieses Mysterium ist, dass es eigentlich kein Mysterium gibt, dass es zu lösen gilt. Menschen gehen einfach davon aus, dass, wenn sie jemanden Anrufen und das Klingelzeichen hören, das Telefon am anderen Ende der Leitung auch wirklich klingelt. In der Realität ist diese Annahme totaler Humbug—was auch schon seit Jahren gilt—und wenn dir das einmal einleuchtet, weißt du auch, dass es gar kein Geheimnis gibt. Das einzige Mysterium bleibt hier, warum so viele Journalisten diese Story verbreitet haben, ohne einfach mal einen Netzbetreiber anzurufen und das Ganze mal gegenzuchecken.

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Nicht nur die Informationen über das Flugzeug sind lückenhaft. Viele Menschen, inklusive mir, haben in den letzten 6 Tagen gelernt, dass gefälschte Pässe wesentlich normaler sind, als wir alle dachten. Wenn du bedenkst, dass Interpol eine Datenbank mit allen verlorenen oder gestohlenen Pässe unterhält, die von jeder Fluggesellschaft auf der ganzen Welt bei Bedarf genutzt werden kann, fragst du dich schon, wie es Milliarden von Passagieren jährlich schaffen, an Bord eines Flugzeuges zu kommen, ohne dass ihre Pässe vernünftig kontrolliert werden.

Auch hier fußt die Frage wieder auf einer weit verbreiteten Annahme: nämlich, dass es einen großen Beitrag zur Flugsicherheit beisteuert, wenn man vorher kontrolliert, ob ein Pass als Gestohlen oder Verloren gemeldet worden ist. Nur zwei der 19 Flugzeugentführer von 9/11 hatten gefälschte Pässe bei sich—nur um jetzt mal ein Beispiel zu nennen—und es ist auch gar nicht so einleuchtend, warum irgendjemand, der vorhat ein Flugzeug in die Luft zu jagen, einen gefälschten Pass nötig hätte. Selbstmordattentäter sind nun mal selten Wiederholungstäter. Ein Blick auf die jüngere Geschichte hat auch gezeigt, dass es nicht gerade an frischen und motivierten Anwärtern für solche Angelegenheiten mangelt. Extremisten haben in der Vergangenheit auch ihre erschreckende Bereitschaft bewiesen, die Bomben an ihren Partnern, Kindern oder sogar Babys zu befestigen. Während Passkontrollen vielleicht ein fruchtbares Mittel gegen illegale Einwanderung sein können, ist ihr Nutzen bei der Terrorbekämpfung sehr eingeschränkt und kann leicht umgangen werden.

Natürlich gibt es auch den Einwand, dass viel mehr Informationen zu Flug MH370 zugänglich sein müssten oder wenigstens schneller zugänglich sein sollten. Selbst wenn das der Fall wäre, wären wir noch immer von einer effektiven Koordination der einzelnen Akteure vor Ort abhängig, die die verstreuten Indizien zu einer kohärenten Story zusammensetzen. Leider sieht es so aus, dass eins der größten Hindernisse bei der Aufklärung die widersprüchlichen und verwirrenden Informationen sind, die die verschiedenen Regierungsbehörden Malaysias verbreiten.

Angesichts der ganzen Verschwörungstheorien, die in den letzten Tagen die Runde machen, ist es ziemlich ironisch, dass es wahrscheinlich wirklich eine Regierung ist, die die Aufklärung des Unglücks verhindert—allerdings eher durch Inkompetenz als durch ein konspiratives Komplott. Der Umgang mit dieser Tragödie hält auch eine wichtige Lektion für uns alle bereit: Bei all der Konzentration auf technologische und datengetriebene Lösungen für die Geheimnisse dieser Welt—und bei all unserem Glauben an die Allmacht von Überwachung—hängt es am Ende immer noch von den Menschen ab.

Lest auch: Die Absurdität der Verschwörungstheorien um Flug MH370.