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Wir haben einen Experten gefragt, wie sich der Brexit auf Österreich auswirken könnte

"Es ist zu erwarten, dass es zu gewissen Einschränkungen für Reisen oder Übersiedelungen nach Großbritannien kommt."​

Bild: cogito ergo imago | Flickr | CC 2.0

Eine Sache gleich am Anfang: Noch ist nichts fix. Die Abstimmung über den EU-Austritt Großbritanniens ist zwar gelaufen, aber sie ist rechtlich nicht bindend und damit theoretisch immer noch alles möglich—also auch, dass am Ende vielleicht nichts passiert.

Das wäre zwar überraschend, aber das war das Ergebnis der Brexit-Wahl für die meisten auch—obwohl es das eigentlich nicht sein hätte dürfen.

Die einzigen, die für "Bleiben" gestimmt haben, waren erwartungsgemäß London, Schottland und Nordirland—also die weltoffene Großstadt, der Landesteil, der die Zuwanderung für den Aufschwung braucht, und der Teil von Großbritannien, der aus der Vergangenheit bereits weiß, was es heißt, einen kompletten Clusterfuck an der Grenze zu haben.

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Alle anderen Regionen wollen nichts wie raus aus der EU (am liebsten mit der Garantie, dass sich nichts zum Schlechteren ändert) und schuld ist—auch nicht überraschend—dieselbe Bevölkerungsgruppe, die schon bei der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl gegen Einwanderung und für Abgrenzung gestimmt hat: nämlich alte, männliche Landbewohner.

Genau diese Wählerschicht hat auch Norbert Hofer für den Fall einer Wahlwiederholung schon wieder in Beschlag genommen und deutet vorsichtig in Richtung Öxit-Referendum. Aber bevor wir uns Gedanken darüber machen, ob sich in Österreich ebenfalls eine Mehrheit findet, die den Jungen die Zukunft verbaut (oder ob es denn Outstria oder Öxit heißen sollte), haben wir einen Experten für Europäische Wirtschaft gefragt, was der EU-Austritt von Großbritannien bedeuten könnte.

"Das hängt davon ab, welche neuen Beziehungen Großbritannien mit der EU als Alternative zum Vollbeitritt ausverhandelt", sagt Universitätsprofessor i. R. Dr. Fritz Breuss und weist darauf hin, dass laut Artikel 50 der EU-Verfassung der Austritt erst in zwei Jahren eintritt. "Geht Großbritannien in den Europäischen Wirtschaftsraum, kurz EWR, hinein, könnte es an allen Austausch- und Forschungsprogrammen der EU teilnehmen. Auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wäre gesichert."

"Es ist zu erwarten, dass es zu gewissen Einschränkungen für Reisen oder Übersiedelungen nach Großbritannien kommt."

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Denkbar wäre für Breuss auch ein Modell wie das der Schweiz: "Das heißt, Großbritannien könnte bilaterale Verträge mit der EU abschließen, die inhaltlich gleich wären wie eine EWR-Mitgliedschaft." Die langfristigen Auswirkungen wären unter anderem davon abhängig, welche neuen Beziehungen mit der EU Großbritannien als Alternative zum Vollbeitritt ausverhandeln könne.

Für die österreichische Wirtschaft wären die Auswirkungen jedenfalls zu vernachlässigen. "Heimische Wirtschaftsforscher glauben, dass der Brexit sich nur hierzulande marginal auswirkt", sagt Breuss. "Das heißt, die Auswirkungen würden nur rund 0,1 Prozent des BIP ausmachen. Britische Studien veranschlagen die BIP-Verluste für Österreich etwas höher, vielleicht doppelt so hoch—allerdings erst nach 2018."

Auch für Österreicherinnen und Österreicher, die nach Großbritannien reisen wollen, würde sich vorerst wenig ändern: "Großbritannien war schon bisher kein Schengenland, man kann also auch weiterhin nicht ohne Pass nach Großbritannien einreisen. Daran würde sich nichts ändern."

Wenn Grenzen eine ganz andere Bedeutung erlangen: Lest hier, was wir 2015 über Flüchtlinge gelernt haben.

Auf lange Sicht könnte die Sache schon ein wenig anders aussehen. "Es ist zu erwarten, dass es gegenüber einer EU-Vollmitgliedschaft zu gewissen Einschränkungen für Reisen oder Übersiedelungen nach Großbritannien kommt", so Breuss. "Vor allem, wenn—was im Rahmen der Brexit-Kampagne ja vehement gefordert wurde—die Immigration für Ausländer wirklich erschwert werden sollte."

Brexit-Spitzenkandidat Boris Johnson erklärte währenddessen in seinem ersten Statement seit der Abstimmung, dass für Großbritannien jetzt schon alles besser würde:

Angeblich wäre die Börse besser dran als letzten Herbst und der Pfund würde höher stehen als 2014. Tatsächlich hat die Börse nach der Brexit-Abstimmung mit 2,1 Billion Pfund den höchsten Verlust der Geschichte verzeichnet und der Pfund ist im Vergleich zum US-Dollar auf seinem niedrigsten Stand seit 1985.

Dass die Abschottungspolitik nicht wirklich die besten Ergebnisse bringt, dürfte für den Protest im Moment noch unwichtig sein. Reale Konsequenzen haben die unangenehme Eigenschaft, langsamer zu sickern als der schnelle Populismus der EU-Austritts-Fraktion. "Wir stehen ja erst am Anfang von Brexit", so Breuss.

Markus ist auch auf Twitter: @wurstzombie