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2014 wird alles besser

Wieso 2014 ein besseres Jahr für Atheisten wird

Ich nenne mich weder Atheist noch Vegetarier, weil ich es seltsam finde, mich durch die bloße Ablehnung einer kulturellen Norm zu definieren. Ich sehe mich lieber als Humanist, Säkularist oder Liberaler.

Foto von Chloe Orefice, Grafik von Sam Taylor

Im Grunde genommen, hatte Atheismus noch nie eine große Bedeutung in meinem Leben. Aktiv verwendete ich den Begriff zum ersten Mal, als ich in meiner Schulzeit ein Formular ausfüllte und mich fragte, ob ich „Protestant“ ankreuzen sollte, obwohl ich eigentlich gar nicht an Gott glaube. Für diesen Fall, erklärte mir meine Mutter unvoreingenommen, gibt es die Option „Atheist“. So kam es, dass ich mich durch ein Kreuz mit dem Kugelschreiber zu einem von ihnen erklärte. Danach dachte ich mindestens zehn Jahre lang nicht mehr über Atheismus nach. Zu Beginn meines zweiten Jahres an der Uni passierten die Anschläge vom 11. September. Sie lösten eine Welle der Religionsverachtung hervor, die den sogenannten „Neuen Atheismus“ begründete. Die zunehmende Abkehr von der Religion und die öffentliche Aversion gegenüber religiösen Extremismen erweckten beinahe den Anschein, dass wir einen neuen Höhepunkt im Prozess der Aufklärung erreicht hätten. Doch bald schon franste die Bewegung an den Rändern aus. Im Internet formierten sich hordenweise Anhänger des Neuen Atheismus, die sich in den meisten Fällen als Arschlöcher erwiesen. Es bildeten sich verschiedene Fronten und Fraktionen, die jeweils eigene Vorstellungen davon hatten, was unter diesem Neuen Atheismus zu verstehen sei. Die Weiterentwicklung des Neuen Atheismus schien für einige hauptsächlich darin zu bestehen, sich neue Arten des Hasses einfallen zu lassen.   Für Anfang 2014 lassen sich vier breit gefächerte und sich teilweise überschneidende Schismen skizzieren: (1) Arschlöcher vs. Feiglinge, (2) Islamophobe vs. extreme Feiglinge, (3) Misogyne vs. Feministinnen und (4) Amerikaner vs. Europäer. Die Arschlöcher hatten sich gerade deshalb dem Skeptizismus bzw. dem Atheismus zugewendet, weil dieser ihnen erlaubte, sich wie das was sie eben sind, nämlich komplette Arschlöcher, aufzuführen—getreu der weit verbreiteten Logik, dass dies, solange man Recht hat, völlig akzeptabel sei. Berühmte Arschlöcher schlugen zurück, indem sie Leute, die nicht zu ihnen zählen, als Weicheier oder Feiglinge beschimpften und ihnen einen Mangel stählernen Muts vorwarfen. Ein weiterer Streitpunkt sind die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Atheismus in Europa und dem in den Vereinigten Staaten. In Europa sind religiöse Institutionen einfach nicht mehr so wichtig. Natürlich gibt es irritierende Gepflogenheiten wie Kruzifixe oder Gebete in der Schule, doch die Wirkung, die davon ausgeht, ist äußerst gering. In vielen Regionen der USA ist eine militantere Form des Atheismus dagegen sinnvoll, weil Fundamentalisten es hier geschafft haben, die Gesetzgebung zu beeinflussen. Je nachdem, in welchem Bundesstaat du lebst, bedarf es durchaus Mut, sich als Atheist zu „outen“.

Bild von Surian Soosay via Creative Commons

Bei der Genese des Neuen Atheismus spielten Islamisten von Anfang an eine zentrale Rolle. Infolge des 11. Septembers wurden Muslime zur Zielscheibe rassistischer und fremdenfeindlicher Hasstiraden. Rechtsextreme Gruppierungen und konservative Zeitungen schlossen sich diesem Trend an. Dieser Umgang mit der muslimischen Minderheit bereitete der Linken zunehmend Unbehagen, und so kam es schließlich zu einer Gegenreaktion auf die Gegenreaktion. Der Begriff der Islamophobie, der in den 90ern geprägt wurde, wurde nun aufgegriffen, um semi-rassistische Anspielungen in den Medien zu beschreiben. Diese schienen fest entschlossen zu sein, Muslime nur noch als psychotische Extremisten darzustellen, die sich beim Anblick eines anstößigen Cartoons unvermittelt in die Luft sprengen. Was also können wir 2014 besser machen? Nicht Feigheit oder Angst hindern die Menschen daran, den Islam zu hinterfragen, sondern Sympathie. Der Islam ist in Europa dann doch nicht verbreitet genug, um außerhalb paranoider rechtsextremer Kreise viel Interesse zu erregen. Dadurch wird er fast immer nur von den Rechten angegriffen. Das wiederum könnte die Ursache dafür sein, dass man Auswüchsen wie Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung von Frauen nicht genügend Aufmerksamkeit widmet. Das ist ein Problem, das wir angehen müssen.
Auch 2014 werden misogyne Männer ihr erbärmliches sexloses Leben bejammern, nach wie vor werden sich Arschlöcher wie wütende Kleinkinder aufführen und die Diskussion über die richtige Reaktion auf den Islam wird vor sich hinflackern. Doch so laut und zornig diese Debatten und Streitigkeiten auch geführt werden—letztlich repräsentieren sie nur einen winzigen Anteil der weltweit existierenden Atheisten. Die wahren Fortschritte finden eher im Verborgenen statt. Die christliche Kirchen, in der Vorstellung vieler kaum mehr als ein kurioser Anachronismus, verliert weiterhin an Bedeutung. Auch in den USA findet der Fortschritt langsam, aber stetig statt. In der gesamten westlichen Welt sinkt die Anzahl der Menschen, die an Gott glauben. Selbst atheistische Aktivisten scheinen in einer gemäßigteren Phase angekommen zu sein—vielleicht, weil sie erkannt haben, dass Posterkampagnen und Trolling nicht wirklich zu Ergebnissen führen. Darüber hinaus entfalten sich atheistische Bewegungen mit anderen positiven Prägungen. Als Identitätsgrundlage kam mir der Atheismus immer fragwürdig vor, da die Überzeugung auf einer negativen Prägung, auf der Abwesenheit einer Identität basiert. Sie bezeichnet nicht das, was ich bin, sondern das, was ich nicht bin. Ich nenne mich weder Atheist noch Vegetarier, weil ich es seltsam finde, mich durch die bloße Ablehnung einer kulturellen Norm zu definieren. Ich sehe mich lieber als Humanist, Säkularist oder Liberaler. Auch wenn ich immer Atheist sein werde—die Bezeichnungen, die ich gewählt habe, haben eine größere Bedeutung für mich als die, die man mir auferlegt hat.