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Wer zur Hölle ist eigentlich das Christkind?

Wer ist eigentlich dieses mythenumrankte Geschöpf, das es jedes Jahr aufs Neue schafft, pünktlich am Heiligen Abend ein Lächeln in die runden Kindergesichter zu zaubern?

Wahrscheinlich hat jeder schon seine ganz persönlichen Erfahrungen mit ihm gemacht. Sicher hat auch jeder seine eigene Vorstellung von seinem Aussehen—wie etwa einer meiner Kollegen, der fest davon überzeugt war (oder nach wie vor ist?), es hätte die Gestalt eines Korkenziehers. Von Familie zu Familie variiert seine Geschichte. Und doch wissen wir alle, was seine Aufgabe ist.

Die Rede ist vom Christkindl. Diesem mythenumrakten Geschöpf, das es jedes Jahr aufs neue schafft, pünktlich am heiligen Abend ein Lächeln in die runden Kindergesichter zu zaubern. Doch nicht nur Kinder erfreuen sich an ihm. Auch für Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel, große Geschwister, Katzen, Hunde und alle die sich sonst noch so um den Christbaum versammelt haben, ist der Höhepunkt des Weihnachtsspektakels wohl erreicht, wenn ein sanftes Klingeln den soeben von allen unbemerkt gebliebenen Besuch des Christkindls ankündigt—sofern die vorweihnachtlichen Stresssymptome bereits mit exzessivem Punsch- und Glühweinkonsum bekämpft wurden und die traute Weihnachtsgemeinschaft bereit ist, sich vom kindlichen Christmasspirit anstecken zu lassen.

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Doch wer ist dieses geheimnisvolle Wesen, das uns seit dem 16. Jahrhundert immer kurz vor der Huldigung der Geburt aller Geburten einen Besuch abstattet und uns beschenkt? Und warum werden auch wir Glücklichen, die nicht am 24. Dezember geboren wurden, beschenkt?

Die noch nüchternen, aufmerksamen Leser unter euch, haben jetzt eine erste Ungereimtheit entdeckt.

Richtig, warum zur Hölle steht da 16. Jahrhundert? Ich komme gleich darauf zu sprechen. Zuvor sei aber noch erwähnt, dass der folgende Text für manche verstörend sein kann, die wahre Geschichte des Christkindls erzählt und dementsprechend Kinder unter zehn Jahren jetzt bitte aus dem Raum—oder zumindest vom Bildschirm—zu entfernen sind.

Denn das Christkindl ist eine Erfindung. Eine Erfindung von jenem Querulanten, der schon Priester, Theologen und Papst Leo den Zehnten zur Verzweiflung brachte und Schuld an der Reformation und damit der Spaltung der Kirche trägt.

Früher, im Mittelalter, hatte noch alles seine Ordnung. Geschenke wurden entweder am 6. Dezember vom heiligen Nikolaus verteilt, oder es gab sie am 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder. Da die Protestanten rund um Martin Luther aber die römisch-katholische Heiligenverehrung ablehnten, schuf vermutlich Luther selbst den „Heiligen Christ", der den Nikolaus ersetzen sollte. Mit „Heiliger Christ" war—oh Wunder—Jesus Christus gemeint. Und weil der kleine Jesus ja am 25. Dezember seinen Geburtstag feiert, wurde das Beschenken der Kinder kurzer Hand auf diesen Tag verlegt. Trotz dieser eindeutigen Anspielung auf die Geburt Jesus war der „Heilige Christ" aber keine Personifizierung des neu geborenen Jesuskindes.

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Wie wir alle wissen, gibt es heute unterschiedliche Vorstellungen, wie das Christkindl aussieht. Eine der gängigen ist die einer fliegenden Babygestalt, die vermutlich auf die Fehlinterpretation des „Heiligen Christs" als neu geborenes Jesuskind zurückgeht. Im Zuge der Zeit veränderte sich die Vorstellung aber immer wieder und die Bezeichnung „Heiliger Christ" wurde durch Christkindl ersetzt. Auch der Bezug auf Jesus Christus ging zunehmend verloren und hinzu kam eine weitere weitverbreitete Vorstellung vom Aussehen des Christkindls. Die Vorstellung vom Christkindl als engelhafte Erscheinung entstammt vermutlich weihnachtlichen Umzugsbräuchen, bei denen Maria, Josef und das Jesuskind oft von einer Schar engelhafter, weißgewandeter Mädchen begleitet wurden, deren verschleierte Anführerin das Christkindl war.

Während das Christkindl anfangs nur im evangelischen Deutschland aktiv war, wurde es erst im 19. Jahrhundert mit dem Adventkranz (auch der ist eine protestantische Erfindung) und dem Christbaum nach Bayern und Österreich gebracht. Das Christkindl ist also quasi ein deutsches Importgut. Wahrscheinlich ist es aber besser, wenn man das für sich behält.

Vor allem wo doch mittlerweile das als echt österreichisch akzeptierte Christkindl ohnehin zunehmend Konkurrenz vom Weihnachtsmann bekommt. Einer weitaus mächtigeren Gestalt, die immer um die Weihnachtszeit herum mit seinem Rentierschlitten vom Nordpol gen Süden reist und in den wohlig warmen Kaminen der restlichen Welt Zuflucht sucht. Als Dankeschön für die nächtliche Obhut liegen dann in der Früh Geschenke auf der erloschenen Feuerstelle.

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Dass der Weihnachtsmann nur eine Erfindung von Coca Cola wäre, ist eine weihnachtliche Verschwörungstheorie, die sich beständig hält, aber wie die meisten Verschwörungstheorien falsch ist. Tatsächlich beweisen nämlich Postkarten aus dem 19. Jahrhundert, dass der Weihnachtsmann auch schon vor Coca Cola als Mann im roten, weiß umsäumten Gewand mit Rauschebart und Zipfelmütze dargestellt wurde. Auch seine Gestalt geht zurück auf den heiligen Nikolaus und entstammt vermutlich der Verschmelzung vom als Bischof dargestellten Nikolaus mit dessen Helfer Knecht Ruprecht— heute besser bekannt als Krampus—von dem er Sack und Rute hat.

Während die Konkurrenz zwischen Weihnachtsmann und Christkindl heute dem verstärkten amerikanischen Einfluss vor allem in Film und Werbung zugeschrieben wird, hat der Weihnachtsmann aber eigentlich auch im deutschsprachigen Raum Tradition und war im 18. und 19. Jahrhundert vor allem im protestantischen Mittel- und Norddeutschland der Überbringer der Geschenke. Also auch er eigentlich deutsche Importware. Zum Glück kann uns das aber relativ egal sein, weil der Glaube ans Christkindl (noch) weiterverbreitet ist, als der an Santa Claus.

Foto: Björn Láczay | flickr | CC BY 2.0

Eine bekannte Vorstellung vom Aussehen des Christkindls gibt es noch. Das kleine, blauäugige Mädchen mit den goldblonden Löckchen ist heute wohl die gängigste Erscheinung des Christkindls. Diese Vorstellung entstammt schlicht und einfach der Werbung. Hier könnte sich also eine cocacolaeske Verschwörung tatsächlich bewahrheiten. Das herzige Goldlockenmädchen trifft einfach besser den Zeitgeist, als ein Speckrollenbaby mit Engelsflügelchen und ist damit auch für das Weihnachtsgeschäft der wahre Geschenkemacher.

Freilich soll das jetzt alles nicht heißen, dass da draußen nicht vielleicht doch ein fleißiges Etwas am Geschenke basteln und verpacken ist und nur darauf wartet, unbemerkt in eure Wohnzimmer zu schleichen, um euch zu beschenken. Wahrscheinlich ist es aber eure Mama und nicht das Christkindl.

In diesem Sinne wünschen wir euch und uns eine besinnliche Weihnachtszeit.

Christkindlbriefe und Artikelwünsche an Paul via Twitter: @gewitterland