Ich habe eine Nacht im Stadion des First Vienna FC gezeltet
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Nachts allein am Rasen

Ich habe eine Nacht im Stadion des First Vienna FC gezeltet

Wer schon einmal allein in einem leeren Klassenzimmer, Turnsaal oder New York nach einem Schneesturm war, weiß: Es fühlt sich falsch an.

Das war eine Nacht. Es ist 8 Uhr in der Früh an diesem Samstagmorgen und ich sitze gut düt und allein auf der Mitteltribüne. Reihe 2, Sitz 13. Also es steht nicht 13 auf meinem Sitz. Aber auf dem daneben 12. Wahrscheinlich sitze ich auf Sitz 13.

Es gibt Kellogg's Special K Red Berries und Milch aus dem Tetrapak, direkt in die Cornflakes-Packung gefüllt und gelöffelt. Danke an dieser Stelle an alle Interrailer, die diesen alten Trick seit Jahrzehnten an die Jugend weitergeben.

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Aber von Anfang an. Alles beginnt damit, dass der First Vienna FC gestern Abend Meister in der Regionalliga Ost wird. 28. Runde gegen den SC Mannsdorf. Es wird Fußball gespielt und so. Eine Zuschauerin trägt Glitzer-Ballerinas, ein Die-Hard-Fan Vienna-Lederkutte. Einer am Feld verletzt sich – "geht schon", sagt er und ein bisschen später: "OK, doch nicht."

Trage, Rettungsauto, Abtransport. Ganz schön viele Minuten später ist das Spiel vorbei, es gibt ein Feuerwerk, Freddy Mercury singt. Wie das so ist in einem Stadion, gehen die Leute ziemlich schnell nach dem Spiel. Es bleiben da: Leute, die hier arbeiten, Leute die hier den Meistertitel feiern. Und ich.

Und dann geht das große Flutlicht aus. Es ist 9:41. Einer schreit: "He!" Dann geht das kleine Licht an. "Du darfst am Rasen schlafen, klar. Eine Nacht ist OK, aber mehr geht nicht, weil der Rasen sonst kaputt geht." Manuel ist der Rasen wichtig. Manuel ist der Platzwart, es ist sein Rasen.

Es ist – große Enttäuschung – anscheinend überhaupt nichts Ungewöhnliches dabei, dass ich am Rasen des Vienna-Stadions campiere. Die Tribüne hat ein morsches Holzdach, das entweder abgerissen oder neu gemacht werden muss. Gleich darunter, das Büro von Manuel, dem Platzwart, ein tolles Kabuff. Ein Verschlag mit schrägen Decken, der sich direkt unter der Tribüne duckt.

Im Kabuff sitzen einige serbische Freunde und Bekannte von Platzwart Manuel. Sie schauen das Grey's Anatomy Serbiens ( Selo gori a baba se ceslja) auf YouTube, ohne Fullscreen. Kleines Bild, großes Kino. Es ist gleich klar, dass hier im Kabuff die bessere Party ist als drüben im VIP-Bereich, wo der Meistertitel gefeiert wird. Drüben, wo man weiß, dass es wegen der Insolvenz der Vienna vielleicht der letzte Meistertitel für längere Zeit war.
Ich entscheide mich, mein Zelt (2 Personen, 180cm mal 210cm, atmungsaktives Polyester) auf der Mittelauflage aufzuschlagen. Es fühlt sich in diesem Moment ein bisschen wie die Mitte der Welt an.

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In der Mitte des Feldes also, weit weg von den kleinen Lichtquellen an den Rändern, ist es ziemlich dunkel. Normal knallen hier Scheinwerfer mit ein paar Tausend Watt her. Meine Stirnlampe vom Hofer läuft auf zwei AA-Batterien.

Wer schon einmal allein in einem leeren Klassenzimmer, Turnsaal oder New York nach einem Schneesturm war, weiß: Es fühlt sich falsch an. Falsch, gerade jetzt ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort zu sein. Ich schleiche, statt zu gehen und versuche, das Zelt möglichst lautlos zu errichten. Es ist mittlerweile nach Mitternacht. Ich streife über das Feld und die Tribüne, die ein morsches Holzdach hat, das entweder abgerissen oder neu gemacht werden muss. Ich schieße Fotos mit mobilem Blitz und Selbstauslöser. Ein Fan verirrt sich zum Eingang vom Stadion. Wahrscheinlich hat er gerade im Vereinslokal gefeiert und wollte nur pissen gehen. Er steht einige Minuten so da, ungläubig, und schaut mir zu. Der verirrte Fan ist weit weg. Ich tue so, als wäre es ganz normal, mitten in der Nacht in einem leeren und dunklen Fußballstadion alleine mit mobilem Blitz und Selbstauslöser Fotos zu schießen. Der verirrte Fan und ich reden nicht miteinander.

Das Vienna-Stadion liegt auf der Hohen Warte, einem hügeligen Ausläufer vom Wienerwald. Auf der Hohen Warte gibt es noch: die ZAMG, oder: Zentrale Messanstalt für Meteorologie und Geodynamik und das Döblinger Freibad, über dessen Zäune man vielleicht zu leicht klettern kann.

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Ich gehe ins Zelt und versuche, ins Stadion hineinzuhören. Zeltwände sind bekanntlich ziemlich dünn. Nur der profane Sound vom Verkehr auf der Heiligenstädter Straße dringt zu mir herauf. Manchmal fährt eine U4-Nacht-U-Bahn vorbei. Manchmal schreit auch einer im Vereinslokal. Man sieht keine Sterne. Angeblich gibt es einen Vogel, der nur in der Nacht ins Stadion kommt und der gruselige Geräusche macht, die keiner nachmachen kann (was ich erfahre, als ich danach frage, welche Geräusche der Vogel macht). Ich selbst höre in dieser Nacht den Vogel nicht. Zum Glück.

Ich versuche nochmal, ins Stadion reinzuhören. Was will es mir sagen? Ich merke: Wenn alle Plätze im Stadion frei sind, wird es im Kopf schnell eng. Der junge Woody Allen dachte sich seine Gags immerhin auch nicht umsonst in der bummvollen New Yorker U-Bahn aus.

Mein letzter Gedanke, bevor ich auf dem weichen Rasen einschlafe: "Propz an Karl Lueger, dass er die Ausläufer vom Wienerwald in Nord-West-Wien nicht zugebaut hat." In den nächsten Stunden passiert gar nichts.

Ich wache auf, als es hell ist. Eine Schicht Tau liegt auf dem Handy-Screen. Kein Akku. Keine Uhrzeit. Top Start in den Tag.

Auf einmal wummert es aus dem Wald auf der Hohen Warte. Normale Vögel und so, aber auch Raben und Krähen.

Was könnte man machen? Einen Bauernschnäuzer in den Rasen vielleicht? Nein, doch eher ein paar Klimmzüge am Tor. Aber das Tor ist aus leichtem Aluminium und ich zu schwer (99 Kilo bei zwei Meter).

Die Rasensprinkelanlage sprinkelt, sie trifft mein Zelt. Einer joggt dreimal ums Spielfeld herum. Dann gehe ich. Alles in allem war es eine schöne Nacht im Stadion.

Ich werde in Zukunft öfter an Orte zur "falschen" Zeit gehen. Und ihr solltet das auch. Wer über das Ungewöhnliche staunt, sieht mehr als der, der eh schon alles weiß. Geht in den Park, wenn eigentlich Schule ist, auf den Campus, wenn eigentlich Ferien sind oder vor den Club, wenn eigentlich Tag ist. Der Diktator Muammar al Gaddafi hat mal bei der UN-Generalversammlung in New York gezeltet. Ihr seht, nichts ist unmöglich – außer du fragst vorher um Erlaubnis.

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