Die AUto
Alle Fotos: Rebecca Rütten
Menschen

Hobbys, die ich nicht verstehe: Modelleisenbahnen

Nur wenige junge Menschen begeistern sich noch für große Basteleien an kleinen Welten. Zu Recht?
Filzen, Gin Tasting, Modelleisenbahnen: Wir testen seltsame Hobbys

Männer, die wirken, als hätten sie eine Modelleisenbahn im Keller: Markus Söder und Friedrich Merz. Ein Mann, von dem man es weiß: Horst Seehofer. Alle Typ oller Konservativer. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie sich solche Männer mit ein paar Teewurstbroten in ihre muffigen Keller zurückziehen und mit glänzenden Augen ihr kleines Reich aus winzigen Blechzügen und zerfleddertem Kunstmoos betrachten. Für ganz Deutschland hat es nicht gereicht, aber im hauseigenen Keller sind sie die Herrscher. 

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Da ist sie wieder: Vorurteil-Alex. Sie verdreht die Augen, wenn Menschen vom Bouldern schwärmen, an Neujahr Eisbaden oder im Park eine Runde Spikeball zocken. Fluchtreflexe setzen ein, sie schüttelt sich wie eine Hündin, die in ein Planschbecken voller Nacktschnecken geworfen wurde. Ach komm, hört sie die Menge rufen, warum so engstirnig? Was tun dir diese Leute? Freu dich doch, dass die sich freuen.

Aber ich freue mich nicht. Ich rase innerlich. 

Innerlich rasen ist anstrengend und bringt mich aus dem Zen. Das geht natürlich nicht – Stichwort Selbstoptimierung – also arbeite ich eben an mir und versuche das Hobby Modelleisenbahn erst einmal zu verstehen. Wenn ich es dann immer noch doof finde, habe ich alles mir Mögliche getan und erlaube das innere Rasen wieder. 

Mir stellen sich in der Modelleisenbahnproblematik vor allem zwei Fragen: Was finden alte Männer an staubigen Blechbüchsen? Und: Werkeln da in schummrigen Kellern eigentlich Perverse? Also einfach nur die Fragen, die sich alle stellen, nehme ich an.

Danke, Dieter

Für die Beantwortung dieser Fragen besuche ich Mitte April den Modell-Eisenbahn-Klub Berlin 1932 e.V. in Berlin-Oberschöneweide, zu dem etwa 30 Mitglieder gehören. Ich möchte die Faszination für Modelleisenbahnen verstehen, meinen Eindruck von Zugopis gerade rücken und vielleicht sogar selbst eine Eisenbahn steuern. Muss aber auch nicht sein, so richtig spannend ist das bestimmt nicht. 

Ein Teil der Modelleisenbahn und vier ältere Männer, die sich unterhalten

Horst Seehofer würde ausrasten vor Freude

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Der Verein hat seine Modellwelt im zweiten Stock in einer großen Halle aufgebaut. Als ich den dämmrigen Raum betrete, breitet sich unter meinen Augen auf 250 Quadratmetern eine riesige kleine Landschaft aus. Felder, Wiesen, Kleinstädte, Bahnhöfe, Rathäuser, Wohnhäuser, Krankenhäuser, Häuser, Häuser, Häuser. In manchen brennen Lichter, vor anderen stehen kleine Figuren, die aussehen, als würden sie sich unterhalten. Bei der Vorstellung, all diese Miniaturfiguren anmalen zu müssen, bekomme ich nervöse Gefühle in meinen Armen. 

Nahaufnahme von einer Straße der Anlage. man sieht einen gelben Schulbus, einige Autos und ein großes Haus.

Toll: Man fühlt sich sehr groß, wenn alles andere sehr klein ist

In der Mitte des Raumes stehen vier ältere Männer. Sie unterhalten sich und nippen an Bierflaschen. Dass ich hier ein Fremdkörper bin und nicht dazugehöre, würden auch Vereinsfremde sofort erkennen, denn ich bin eine Frau und unter 70.

Ich komme mit Dieter Konitzko, 79, ins Gespräch. Seine Aufgaben im Verein sind es, Gleise und Lokomotiven zu reparieren und zu säubern. Manchmal korrigiert er auch Gleisstellungen. Er geht seinem Hobby vor allem wegen seiner Freunde im Verein nach: "Ich genieße die Kameradschaft. Wir trinken hier auch gerne mal zusammen ein Bierchen und im Sommer gibts manchmal eine Grillfeier. Wir quatschen auch gerne. Von Eisenbahn bis Politik ist jedes Thema dabei. Wenn ich nicht gerade hier im Verein bin, verbringe ich Zeit mit meiner Frau."

Die Autorin guckt Dieter zu, wie er einen Zug auf ein Gleis setzt.

Wenn man die Ratschläge von Modellbahnexperte Dieter Konitzko missachtet, entgleisen Loks und Gesichtszüge

Dieter ist ein Modelleisenbahnmann, den man sich zum Großvater wünscht. Er zeigt mir geduldig das Schienensystem, weist mich in die Zugsoftware ein, die sicherstellt, dass die Loks – die in Wirklichkeit keine "Blechbüchsen" sind – nicht ineinanderfahren und bringt mir sogar das Löten bei. Ich weiß nicht, was und warum ich löte, aber ich bin sehr stolz, als ich ein kleines Lämpchen zum Leuchten bringe. Dieter klopft mir anerkennend auf die Schulter und ich bin glücklich. Wenn ich mal Enkel habe, werde ich sie so behandeln, wie Dieter mich behandelt hat, beschließe ich. Mein inneres Rasen kommt ein bisschen ins Stocken. Ich glaube, mein Wutzug rollt gerade aus. 

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Die Autorin hantiert mit einem Lötkolben ein Vereinsmitglied leitet sie an

Wer falsch lötet tötet

Einer von Dieters Modelleisenbahnkumpels ist der 75 Jahre alte Joachim Massow. Damals wie heute gilt für ihn: Eine gute Modelleisenbahn erkenne man an den Details in der Umgebung, nicht unbedingt an den Zügen selbst. Er verweist auf die gefühlt Tausenden von kleinen Bäumen, die ein verstorbener Vereinskollege von ihm jahrelang per Hand gebastelt habe. Dann wuchtet er einen Teil der künstlichen Landschaft hoch und präsentiert stolz einen riesigen Kabelsalat. "Hier verstecken wir die ganze Elektronik. Ohne sie würden keine Züge fahren und keine Fenster leuchten." Joachim erklärt mir irgendetwas über elektronische Schaltkreise, aber der Schaltkreis in meinem Gehirn schaltet sich bei solchen Themen immer von selbst ab. Ich habe mich noch nie für Strom interessiert und werde es wohl auch nie. Dieser Zug ist abgefahren.

Ein Mann hebt einen Teil einer Modellbahnanlage hoch und zupft an Kabeln

Joachim: Profi

Ich frage Joachim, was er so treibt, wenn er nicht gerade im Verein ist und Joachim liefert: "Dann sitze ich vor meinem Computer und spiele Krieg. Aber in dem Spiel wird nicht nur getötet, da muss man auch mit anderen Figuren Handel betreiben." OK, Joachim. Jetzt muss ich lachen und er lacht mit. Warum wir lachen weiß er glaube ich nicht, aber das macht nichts. Joachim ist so großvätrig nett wie Dieter.

Die Autorin und ein Mann sitzen und stehen inmitten einer Modellbahnanlage

wholesome

Dieter und Joachim wirken sehr zufrieden mit ihrem Hobby. Aber wissen die zwei eigentlich, dass sie da an etwas festhalten, das längst in die Vergangenheit gehört? Ja, wissen sie, sagt Dieter. "Wir würden uns sehr freuen, mehr Frauen in unserem Verein begrüßen zu dürfen. Aber irgendwie kommt niemand. Für den Nachwuchs haben wir extra eine Bahn installiert, die per App gesteuert werden kann – heutzutage läuft doch alles nur noch über Apps – aber das funktioniert auch nicht als Lockmittel. Wir wollen nicht, dass unser Hobby ausstirbt, aber wir kommen mit unseren Modelleisenbahnen nicht gegen das Internet an."

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Meine Gesichtszüge entgleisen mir und ich gucke unprofessionell traurig und ertappt in die Runde.

Dieter sagt, dass sie schon gar nicht mehr wissen, wo sie mit den ganzen Eisenbahnen hinsollen: "Wir können mittlerweile keine gespendeten Züge mehr annehmen, weil zu wenig Leute da sind, die sie bedienen könnten. Die Männer mit den Modelleisenbahnen sterben weg und die Witwen bekommen die Lokomotiven nicht los."

"Wir werden immer weiter an der Anlage arbeiten"

Aber dann klinkt sich Sebastian Matuschek ein. Er ist tatsächlich erst 26 Jahre alt und fällt damit voll aus dem Raster. Er ist Vereinsmitglied, Twitch-Streamer und selbsternannter Aquarianer. Ich verstehe nur Bahnhof. Als ich nachfrage, was das bedeutet, sagt er: "Ich habe ein Aquarium. 55 Liter. Aber der Plan für die Zukunft ist, aufzurüsten und auf ein größeres Becken umzustellen. In dem Aquarium lebt unter anderem ein orangefarbener Krebs." 

Sebastian trägt eine schwarze Jacke, stemmt seine Hand in die Hüfte und guckt in die Kamera.

"Ein Zug ist nur dann spannend, wenn er irgendwo fahren kann." – Sebastian Matuschek

Sebastian hat das Hobby Modelleisenbahn noch lange nicht aufgegeben. Er ist in die Analyse gegangen, hat Problemherde ausfindig gemacht und ist allzeit bereit, seinem Publikum Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Stünde ein Flipchart neben ihm, er würde es nutzen und darauf zeigen. 

"Der Preis der Modelleisenbahnen ist nicht das Hauptproblem, es ist der Platz. Die Städte werden voller und niemand kann sich noch einen Hobbykeller leisten, in dem man eine Bahn aufbauen kann. Und dann der Stromverbrauch. Haben Sie in letzter Zeit mal die Nachrichten verfolgt? Wir müssen alle sparen und wollen unsere Rechnungen um Himmels Willen nicht noch weiter in die Höhe treiben. Für den Privathaushalt ist das Hobby vielleicht wirklich nicht mehr so gut geeignet. Aber hier im Verein haben wir ja den Platz. Wir haben die Mittel, wir haben die Expertise. Das Hobby ist auch facettenreicher als zum Beispiel Fußball. Wir planen Bauten, erlernen motorische Fähigkeiten und einige von uns kennen sich gut mit elektronischen Schaltkreisen aus. Da wird das Hobby auch richtig gefährlich. Hier ist ja überall Spannung drauf. Wir müssen aber mehr über unsere Leidenschaft sprechen. Deshalb ist es gut, dass Sie hier sind. Mein Vorschlag für die Zukunft wäre: Modelleisenbahnen in Live-Streams zeigen. Werbung an Zügen anbringen und so über YouTube-Videos Finanzmittel generieren. Dafür brauche ich ein Team: Jemanden, der sich mit Kameraführung auskennt und jemanden, der sich mit Schnitttechnik auskennt. Ich kann das nicht alleine stemmen. Durch diese Videos würden die Zuschauer endlich verstehen, dass es nicht nur darum geht, Züge im Kreis herumfahren zu lassen. Wir bauen uns hier eine eigene Welt auf. Teilweise lassen wir 14 Züge gleichzeitig fahren. Das muss man erstmal koordinieren. Wenn man einen Pulli häkelt, ist der irgendwann fertig. Aber wir werden hier niemals fertig. Wir werden immer weiter an der Anlage arbeiten und sie vergrößern."

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Wow. Sebastian fühlt ja noch richtig was! 

Sebastian und die Autorin lehnen sich über einen Teil der Anlage.

Links: Modelleisenbahnexperte | Rechts: auch

Sein Feuer steckt mich nicht vollkommen an, aber in meinem Herzen brutzelt es ein bisschen. Die Brandrede entfacht bei Sebastians Vereinskollegen vereinzelte Kopfnicker, aber dann teilt sich die Menge zügig und alle beginnen, irgendwo herumzuschrauben oder fachmännisch an Bieren zu nippen. Niemand scheint auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Ich will Sebastian fast zurufen: Leg noch eine Schippe drauf, stell die richtigen Weichen für die Zukunft, sonst landet ihr auf dem Abstellgleis. Aber die Worte verpuffen irgendwo in meinem Hals. 

Ob ich mit diesem Text wenigstens einen kleinen Funkenflug auslösen kann? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Sebastian sein Hobby niemals sterben lassen wird und es ist höchste Eisenbahn, dass die Menschheit das erfährt. 

Ich hatte eine gute Zeit im Modelleisenbahnverein. Ich habe mich immer gefragt, was für Weirdos stundenlang einen Zug dabei beobachten, wie dieser seine immer gleichen Runden dreht. Seit meinem Besuch im Modelleisenbahnverein weiß ich: Das sind keine Weirdos. Das sind liebe Senioren, feurige Sebastiane, keine Frauen und aber auch keine Perversen. Und die machen dort viel mehr als nur Zügen hinterherzuschauen: Basteln, Malen, irgendwas mit Schaltkreisen und natürlich Löten. Das Hobby ist so vielschichtig wie eine Lasagne. 

Aber um diese Aktivitäten geht's den Vereinsmitgliedern glaube ich gar nicht so sehr. Es geht ihnen vor allem um Freundschaft und Liebe. Jeden Mittwoch stoßen Dieter und Joachim erneut auf ihre Kameradschaft an. Sie erzählen von ihren Frauen zuhause, plaudern über Enkelkinder und vielleicht schimpfen sie hier und da auch mal gemeinsam über das Internet. 

Und dann ist da noch Sebastian. Selten oder nie empfinde ich so viel wie er, wenn es um Modelleisenbahnen geht. Seine brennende Leidenschaft zeigt mir meine eigene Eisklotzigkeit gegenüber Hobbys. Freunde treffen, essen gehen und hier und da eine Sporteinheit. Das ist alles nett! Aber viel mehr fühle ich nicht. Sebastian hingegen ist in die Tage verliebt, an denen er seinen Hobbys nachgeht, und das ist doch irgendwie sehr schön.

Als ich den Modell-Eisenbahn-Klub Berlin 1932 e.V. verlasse, höre ich rechts und links kleine Modellzüge an mir vorbeirasen. Aber ich rase nicht mehr, ich bin ganz ruhig.

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