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Sechs Angriffe in drei Tagen

Mit Schusswaffen und Silvester-Raketen gegen Flüchtlingsheime: 2016 hat schlecht angefangen.
Ein Feuerwerk der gefährlichen Sorte. Foto: imago | Susanne Hübner

Das Jahr 2015 stand in Deutschland nicht nur im Zeichen steigender Flüchtlingszahlen, sondern auch zahlloser Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. 2015 ist endlich vorbei. Aber wenn du dachtest, dass 2016 in dieser Hinsicht besser wird, müssen wir dich leider enttäuschen—die rassistische Gewalt geht weiter wie zuvor.

Zum Beispiel in Köln: Dort ließ der erste Anschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im neuen Jahr nur zwei Tage auf sich warten: Gegen viertel vor acht am Samstagabend warfen mutmaßlich zwei Personen Böller und „Bengalos" gegen ein Fenster einer Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Mülheim. Nur kurze Zeit später konnte die Polizei einen 21-Jährigen und einen 25-Jährigen als Tatverdächtige festnehmen. Ob die Beiden schon vorher als Neonazis aufgefallen sind, konnte die Staatsanwaltschaft am Montagmorgen noch nicht sagen, das sei Gegenstand der aktuellen Ermittlungen. Aber: Einer der ins Fenster geschmissenen „Bengalos" trug laut Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn die Aufschrift „Pegida".

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Hinter dem zerstörten Fenster liegt das Wohnzimmer einer Familie aus Montenegro—deren Kinder haben zur Zeit des Angriffs in dem Raum gespielt. Auch wenn die Pressemitteilung der Polizei das nicht erwähnt und auch der Oberstaatsanwalt davon am Montagmorgen nichts zu wissen scheint: Ein Familienmitglied wurde wohl durch herumfliegende Scherben im Gesicht verletzt, wie es Antifa-Aktivisten erzählen, die die Familie noch an dem Abend besucht haben. „Die standen unter Schock, die haben viele Kinder und wohnen da schon seit Jahren", erzählen sie.

Die Solidaritätsdemo in Köln am Sonntag. Foto: Felix Huesmann

Leider war der Anschlag in Köln nicht der einzige rassistische Angriff in den letzten Tagen. In seinen ersten drei Tagen hat es das Jahr 2016 schon auf insgesamt fünf Angriffe gegen Flüchtlinge und einen Neonazi-Krawall gebracht:

Merseburg (Sachsen-Anhalt)

In der Silvesternacht haben etwa 20 Rassisten in der Kleinstadt Merseburg in Sachsen-Anhalt den Anfang für 2016 gemacht: Kurz nach 01:00 Uhr zogen sie vor eine Flüchtlingsunterkunft und schossen mit Pyrotechnik auf die Unterkunft und die extra zum Schutz eingesetzten Polizisten. Die Polizei berichtet außerdem von einer Bierflasche, die auf die Beamten geworfen wurde, und von „fremdenfeindlichen Äußerungen". Die örtlichen Flüchtlingsfeinde waren übrigens schon ein paar Tage zuvor mit der Polizei aneinandergeraten, als sie sich bei einer unangemeldeten Demo nicht kontrollieren lassen wollten.

Dreieich (Hessen)

In Dreieich in der Nähe von Frankfurt am Main haben Unbekannte in der vergangenen Nacht auf das Erdgeschossfenster einer Flüchtlingsunterkunft geschossen und einen dahinter schlafenden Flüchtling verletzt. Der von den Schüssen getroffene 23-jährige Flüchtling soll nur leicht verletzt worden sein und konnte das Krankenhaus bereits in der Nacht wieder verlassen. Laut Polizeiangaben ist die Unterkunft mittlerweile abgesperrt und wird von der Kriminalpolizei untersucht. Zur Art der Munition wollte sich das Polizeipräsidium Südhessen bislang nicht äußern—auch ein mögliches Motiv sei bislang unbekannt.

Gleidingen (Niedersachsen)

Noch kurz vor dem Jahreswechsel haben Unbekannte in der Nacht auf den 31. Dezember versucht, die Unterkunft von 60 Flüchtlingen in Gleidingen bei Hannover anzuzünden. Eine Bewohnerin hatte um kurz vor vier in der Nacht ein Feuer am Kelleraufgang des Gebäudes bemerkt, ein Sicherheitsdienstmitarbeiter konnte das Feuer glücklicherweise schnell löschen. Die Unbekannten Täter hatten sich laut Polizeiangaben durch den hinteren Teil des Gebäudes Zutritt verschafft und das Feuer gelegt. Die Polizei Hannover sucht im Moment nach Zeugen.

Dortmund

In Dortmund hatten die Neonazis der Kleinpartei „Die Rechte" zwar im Vorfeld dazu aufgerufen, vor Flüchtlingsunterkünften zu böllern—sich dann aber in der Silvesternacht lieber mit der Polizei angelegt. Im StadtteilDorstfeld, in dem ein großer Teil der Dortmunder Neonazis wohnt, haben sie Streifenwagen mit Raketen beschossen und die aussteigenden Polizisten danach mit Feuerwerkskörpern und Glasflaschen beworfen. Nachdem die Neonazis in ein von ihnen bewohntes Haus geflüchtet sind, ist die Polizei in die Wohnräume eingedrungen und hat insgesamt 18 Neonazis in Gewahrsam genommen. Einer davon soll eine Polizistin gebissen haben, zwei Minderjährige wurden ihren Eltern übergeben.

Dargun (Mecklenburg-Vorpommern)

In dem kleinen Ort Dargun an der Mecklenburgischen Seenplatte hat ein Mann (34 Jahre, 2,3 Promille) am Abend des ersten Januar an der Tür eines ägyptischen Flüchtlings geklingelt und die Herausgabe von 30 Euro verlangt. Um seiner dreisten Forderung Nachdruck zu verleihen, hat er dem Flüchtling angedroht, er „würde […] ihm die Nazis auf den Hals hetzen, die ihn dann töten. Hierzu machte er die Geste des Halsdurchschneidens." Die Polizei konnte den betrunkenen räuberischen Erpresser kurz später in seiner Wohnung auffinden, anzeigen und in den Alkoholtester pusten lassen.

Gräfenhainichen (schon wieder Sachsen-Anhalt)

In Gräfenhainichen im Landkreis Wittenberg haben Unbekannte am Samstagabend einen Stein in die Eingangstür einer geplanten Flüchtlingsunterkunft geworfen und mehr als 1.000 Euro Sachschaden verursacht. Der Angriff auf das noch unbewohnte Gebäude war bereits der dritte innerhalb weniger Wochen. Im Dezember wurden dort schonmal Scheiben eingeworfen, außerdem haben unbekannte Täter das Gebäude kurz vor Weihnachten unter Wasser gesetzt und so den Einzug syrischer Flüchtlinge am 23. Dezember verhindert. Kurz danach wurde auch eine geplante Unterkunft in der Nachbarstadt Wittenberg durch Buttersäure unbewohnbar gemacht.