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VICE wird 10

Was von den Audimax-Protesten #Unibrennt übrig bleibt

Ein Blick zurück auf die Studierenden-Bewegung von 2009.
Bildung steht nicht zum Verkauf. Foto: Christopher Glanzl

Dieser Artikel ist Teil unserer Reihe zum 10-jährigen Jubiläum von VICE Austria. Mehr dazu findet ihr hier.


Am Ende sollen es noch rund 80 Obdachlose und 15 Studierende gewesen sein, die von den Polizeibeamten und der Spezialeinheit WEGA aus dem Hauptgebäude der Uni Wien befördert wurden. Den Zeitpunkt zur Räumung hatte die Universitätsleitung taktisch klug gewählt. Am ersten Tag der Weihnachtsferien war die ohnehin bereits dezimierte Belegschaft noch weiter geschrumpft, während die große Masse an Studierenden den Protest ohnehin nicht mehr verfolgte. Dass man zwei Monate zuvor noch im bekanntesten Hörsaal Österreichs Dosenbier gesoffen und sich auf Spontan-Raves im Arkadenhof mit der großen Sache solidarisierte, geriet ebenfalls langsam in Vergessenheit.

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Für die letzten Verbliebenen war die Räumung des Audimax nach sechzig Tagen Besetzung jedenfalls dennoch ein Schock, wie sie sagen. „In der Nacht hatte es minus zwölf Grad", erinnert sich Iga Mazak, damals Studentin der Theater-, Film- und Medienwissenschaften. „Wir dachten nicht, dass man das wirklich in der Art durchsetzt und aufgrund der zig Obdachlosen nicht mal die Notschlafstellen informierte. Aber man setzte einfach alle vor die Tür." Sie hatte abgesehen von zwei Nächten die gesamten zwei Monate im Audimax gelebt und war auch bei der Räumung am 21. Dezember noch dabei.

„Als ich um 4 Uhr früh geweckt wurde, war alles schon im vollen Gange", erzählt sie. „Die Polizei drang ziemlich leise ins Audimax rein und hat zuerst gleich alle Obdachlosen rausgeworfen. Wir versuchten dann, so viel Zeug wie möglich mitzunehmen. Als wir uns dafür länger Zeit ließen, wurden sie grober, pöbelten uns an und schubsten uns schließlich raus."

Zu Beginn des Wintersemesters 2009 hatte sich an den österreichischen Universitäten eine Protestbewegung gebildet, die in ihrer breiten Unterstützung, der Dauer und vor allem auch ihrer Vernetzung bis dahin doch ein Novum darstellte. Protestkultur war in Österreich zu diesem Zeitpunkt ziemlich tot und die letzten nennenswerten Demonstrationen unter Schwarz-Blau schon einige Jahre her.

Die Hypo-Pleite wurde immer deutlicher, die Auswirkungen der Finanzkrise waren noch nicht absehbar. Die Studierenden trugen dieses diffuse Krisengefühl auf die Straße und in die Hörsäle.

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Das Jahr 2009 schuf dann neue Rahmenbedingungen—nicht ideal für die Studierenden, aber genau deswegen ideal für neue Proteste. Die Hypo-Pleite samt Verstaatlichung und dem drohenden Milliardengrab wurde immer deutlicher. Die Auswirkungen der Finanzkrise generell waren noch nicht absehbar. Mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von vier Prozent stand Österreich zwar europaweit immer noch OK da, war aber trotzdem mitgenommen. Es waren die Studierenden, die dieses diffuse Krisengefühl schließlich auf die Straße und in die Hörsäle trugen. Die Zutaten dazu waren das anstehende Bologna-System, die chronische Unterfinanzierung der Unis sowie befürchtete Zugangsregelungen.

Die zweimonatige Besetzung des Audimax lag dabei im Kern der Protestbewegung. Alle größeren Universitäten des Landes, von Innsbruck bis Klagenfurt und Graz, zogen nach. Unter dem Hashtag #unibrennt fand der Protest erstmals auch ein netzbasiertes Branding, was dazu beitrug, dass die Bewegung auf andere Länder wie Deutschland überschwappte und sich eine Vielzahl an internationalen Universitäten bis in die USA solidarisierten. Ende des Jahres wurde der Begriff „Audimaxismus" dann zum österreichischen Wort des Jahres gewählt.

Begonnen hatte alles auf der anderen Seite des Wiener Rings, an der Akademie der Bildenden Künste. „Die Akademie stand damals mit dem Wissenschaftsministerium kurz vor der Leistungsvereinbarung für die Finanzierung der nächsten drei Jahre", erinnert sich Nadine Lemke, die damals Kunst im Öffentlichen Raum studierte und die erste Presseaussendung der Besetzer formulierte. „Aufgrund der mangelnden Transparenz und unbefriedigenden Kommunikation mit der Akademieleitung befürchteten wir, übergangen zu werden. Zentral war natürlich unsere ablehnende Haltung gegen die Bachelor/Master-Struktur. Mitbestimmung war nur noch eine Farce. Deshalb war die Besetzung der letzte Weg, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen."

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Welche Dynamik die Proteste dann innerhalb einer Woche annehmen würden, konnte auf der Bildenden damals noch niemand erahnen. Am Montag den 19. Oktober bereitete man in einer Vollversammlung an der Bildenden erstmals Protestaktionen vor. Am nächsten Tag gab man nach der Senatssitzung eine Pressekonferenz mit anschließender Kundgebung vor der Akademie und ging dann schließlich zur Besetzung der Aula über—Studierende gemeinsam mit Lehrenden. Am Donnerstag, dem 22. Oktober, protestierte man dann vor dem Wissenschaftsministerium. Die Aktionen der Kunststudierenden blieben an der Universität Wien nicht unbemerkt. Dort demonstrierten dann, ebenfalls am 22., Studierende vor allem der Internationalen Entwicklung und der Politikwissenschaft beim Votivpark, um kurz darauf spontan ins Audimax überzugehen.

Nicht nur Grasgeruch lag in der Luft, sondern eine Mischung aus Entschlossenheit und Neugier, die so viele in den Hörsaal trieb.

Als Iga Mazak kurze Zeit später dort eintraf, sei sie von der Situation sofort „gefesselt gewesen", wie sie sagt. „Die Atmosphäre war extrem. Es herrschte eine totale Aufbruchsstimmung, irrsinnig viele Leute voller Tatendrang waren da und es war einfach eine enorme Energie spürbar." Wer damals in den ersten Tagen im Audimax war, der weiß, dass diese Beschreibung nicht untertrieben ist. Nicht nur Grasgeruch lag in der Luft, sondern eine Mischung aus Entschlossenheit und Neugier, die so viele in den Hörsaal trieb. Niemand wusste, wie es weiterging, aber wenn das Audimax weiterhin so voll bliebe, müssten die Studierenden doch die Oberhand über „ihre Uni" behalten.

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„Kurz nachdem ich dort ankam, stellte sich eine Arbeitsgemeinschaft vor, die plante, eine Doku zu produzieren. Der hab ich mich dann angeschlossen." In den verschiedenen AGs hätte jeder seinen Platz finden und das tun können, was er oder sie am besten konnte. Als „Herzstück" der Besetzung galt für Iga die AG „Volxküche": Die Leute gingen am Abend dumpstern oder legten sich mithilfe der Spenden Essensvorräte an. „Alle paar Stunden gab es Mahlzeiten. Schlafsäcke und Matratzenlager in den Nebenräumen sorgten ebenfalls dafür, „das im Prinzip alles da war, was man brauchte, um dort leben." Im Plenum versuchte man sich in Basisdemokratie—jeder konnte am Pult sprechen und Vorschläge einbringen, während die Zuhörerschaft im Audimax dann per Handzeichen über die weitere Vorgangsweise bestimmen sollte.

Die AG-Veranstaltung sorgte dafür, dass immer wieder bekannte Intellektuelle Vorträge hielten, oder Bands von Tocotronic bis Anti Flag spontane Konzerte im Audimax gaben.

„Auch die autonome Szene hat eine tragende Rolle gespielt. Leute, die sich mit Besetzungen auskannten und sicher etwas radikaler unterwegs waren. Die haben halt mit Aktionen das Radl am Laufen gehalten, die sich die Studis nicht getraut hatte. Heute tut man ihnen oft unrecht." In Erinnerung bleibt auch die große Demo am 28. Oktober, bei der laut Veranstaltern bis zu 50.000 Menschen teilgenommen hätten.

Party und Protest gingen bei #Unibrennt Hand in Hand. Foto: Christopher Glanzl

Den personifizierten Feind sah man in der Person des ÖVP-Wissenschaftsministers Johannes Hahn. Der Minister weigerte sich, mit den Besetzern direkt zu verhandeln und war schon gar nicht bereit, das Audimax persönlich zu betreten. Als Gesprächspartner wurde seitens des Ministeriums nur die ÖH akzeptiert. „Das war natürlich absolut feig und ziemlich peinlich von ihm", meint Sigrid Maurer, die damalige Bundesvorsitzende der Hochschülerschaft, rückblickend. Sie war in den folgenden Wochen auch bei den Verhandlungen dabei und pendelte ständig zwischen Ministerium und Audimax hin und her. „Man hat ihm angemerkt, wie sehr ihm das auf die Nerven ging und wie desinteressiert er an Wissenschaftspolitik war." Hinzu kam, dass Hahn durch eine Personenrochade der ÖVP damals gerade seinen Wechsel nach Brüssel vorbereitete, wo er EU-Kommissar werden sollte. „Wir haben ihm dann einen Reiseführer geschenkt über den er sich anfangs sehr gefreut hat, weil er dachte, es wäre ein nett gemeintes Geschenk. Nachdem er gemerkt hat, dass wir ihn in doppelter Ausführung hatten, und ihn damit vor Kameras nach Brüssel verabschiedet haben, war er stinksauer."

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Der zum Feindbild erhobene Minister Gio Hahn, von Studierenden verschönert. Foto: Christopher Glanzl

Die damals aufkommende Kritik, dass die ÖH nur zögerlich auf die Besetzung reagierte, kann Maurer nicht teilen. „Die Besetzung war die Besetzung und die ÖH war die ÖH. Wir wollten die Besetzung auch auf keinen Fall vereinnahmen, teilten aber ihre Forderungen. Die Unterfinanzierung, die zunehmende Verschulung der Studiengänge—das waren Dinge, gegen die wir schon davor absolut eingestanden sind." Schon fünfzehn Minuten nach der Besetzung seien Maurer und ihr Stellvertreter im Audimax gesessen und hätten per Handy die erste unterstützende OTS ausgesendet. Insgesamt habe Maurer die turbulente Zeit als „unheimlich stressig" empfunden, aber auch als politisch „lehrreich." Ein paar Jahre später sollte sie schließlich über ein Mandat der Grünen, die den Protest damals unterstützten, in den österreichischen Nationalrat wechseln.

Mit Sondersitzungen im Parlament hatte die #unibrennt bald zumindest eines erreicht: eine breite, bildungspolitische Debatte. Anders als die ÖVP, die das Wissenschaftsressort stellte, zeigte die SPÖ zumindest zu Beginn ein offeneres Verständnis für die Protesthaltung der Studierenden. Konsistent war die Rolle des damaligen Bundeskanzlers Werner Faymann jedoch nicht. Was die Frage der Zugangsbeschränkungen anging, pendelte Faymann während der Zeit der Besetzung zwischen pro und kontra. Die FPÖ wiederum sprach sich zwar für mehr Geld für die Unis aus, wetterte jedoch gegen die „radikal-anarchistischen Besetzern." Schließlich setzte man seitens der Regierung und der Universitätsleitung auf die Taktik des „Aussitzens."

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Ablehnende Haltung gegenüber der #unibrennt-Bewegung regte sich zunehmend auch bald in den schon damals wichtigen sozialen Netzwerken. Als Gegenpart zur zentralen Facebook- und Kommunikationsseite „Audimax Besetzung in der Uni Wien: Die Uni brennt", die in den ersten Wochen über 20.000 Likes sammelte—für die damalige Zeit doch beachtlich—, bildete sich Ende Oktober die Seite „Studieren statt Blockieren", die ebenfalls innerhalb kurzer Zeit auf 15.000 Likes kam.

Einer, der die Toleranz der Besetzung und ihre Debattenkultur auf besondere Weise testen wollte, war Jakob Steiner, der heute auch als VICE-Reporter tätig ist. Jakob setzte sich in den ersten Tagen der Besetzung einen roten „Deckel" auf, taufte sich Manfred Mainbach und bestieg als scheinbarer Burschenschafter einer erfundenen Verbindung „Hiberia" das Podium des Audimax, um sich mit den Besetzern „völlig zu solidarisieren". Was folgte, war natürlich ein Pfeifkonzert. Als er am nächsten Tag erneut kommen wollte, um von den angeblichen Unterredungen mit seinen Burschenbrüdern zu berichten, wären schon „ausgelagerte Schlägertrupps bereitgestanden" die ihm den Zugang verwehrten. Wichtiger als die Performance sei Jakob aber die unmittelbar danach entstandene Diskussion im Hörsaal gewesen. „Ich war immer etwas irritiert, wie dogmatisch und wenig pragmatisch das Klima an der Uni Wien war. Ich finde ja, es ist viel wichtigere antifaschistische Arbeit, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen, als die abzustempeln."

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Der Protest im Hörsaal war von Dauer. Foto: Christopher Glanzl

Auch die #unibrennt-Leute scheuten nicht vor Selbstkritik zurück. Den Umständen, unter denen die Bewegung und das Prinzip der Basisdemokratie letztendlich an seine Grenzen stieß, widmete Besetzerin Iga Mezak auch Platz in ihrer Diplomarbeit. „Es ist klar, dass sich über die Zeit Hierarchien bildeten—inklusive bestimmter Gruppen, die auch immer mehr autonom gehandelt haben. Diese informellen Strukturen haben die Bewegung sicherlich geschwächt." Konkret seien das etwa die Bereiche der Arbeitsgruppen Presse oder Veranstaltungen gewesen. Aber auch ihren eigenen Bereich, die AG Doku, nimmt sie dabei nicht aus. „Wir waren sicherlich auch eine elitäre Gruppe, wenn man so will. Kapital war dabei nicht das Geld, sondern der Zugang zur Öffentlichkeit. Interviews geben, Prominente einladen, Themen setzen."

Was uns zur Frage führt, was #unibrennt letztlich brachte. Für die Politikerin Sigi Maurer sind das sicherlich zunächst einige kleinteilige Verbesserungen an den Unis selbst. Punkte, die die Curricula betreffen und die Studienvertretungen samt Besetzern mit dem Rektorat aussprechen und verbessern konnten. „Hahn hat auch, bevor er nach Brüssel ging, noch 35 Millionen aus der Ministerreserve ausschütten lassen, zur Entlastung von besonders nachgefragten Fächern." Am wichtigsten sei für sie aber der Umstand, dass Studierende durch den lauten Protest endlich wieder als aktiver Teil der Universitäten angesehen wurden. „Das sind schon Dinge, die es ohne #unibrennt nicht gegeben hätte."

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"Es ist wichtig, sich weiter an den Unis zu engagieren", meint Iga Mezak. "Der Kapitalismus hat seine Fühler in jeden Lebensbereich ausgestreckt."

Für die Besetzer im Audimax hingegen war immer klar, dass sich der Protest nicht nur auf die Bildungspolitik beschränkte. Das Audimax diente als Labor, als Trainingscamp, wenn man so will, für spätere soziale Bewegungen—auf der Straße, aber eben auch verschränkt mit der digitalen Vernetzung. Vielleicht war der erste Protest-Hashtag Österreichs also auch eine Blaupause für den sozialen Protest 2.0 in Österreich generell. „Jeder, der damals besonders aktiv war, ist es auch heute noch anderswo, zum Beispiel im Medienbereich oder in NGOs", meint Iga Mezak. In den folgenden Jahren sei dann etwa vermehrt der Anti-Abschiebungsbewegung entstanden. Im Umfeld der Besetzer und der Obdachlosensituation im Audimax sei auch das Vinzi-Wohnprojekt entstanden. Besondere Erwähnung sollten auch der Refugee-Marsch und die Besetzung der Votiv-Kirche finden. „Überall da waren in den Jahren danach wieder #unibrennt-Leute aktiv dabei—und sind es immer noch."

Dass es in der Zukunft zu neuen Protesten an den Unis kommen könnte, sei angesichts der Aussagen von Kanzler Kern zu mehr Zugangsbeschränkungen nicht ausgeschlossen, meint Sigrid Maurer. Der Zugang seines aktuellen, direkten Kontrahenten Sebastian Kurz verstärkt diesen Umstand wohl noch. „Es ist wichtig, sich weiter an den Unis zu engagieren", meint auch Iga Mezak. Sie selbst könne sich mit der Uni-Politik jedoch nicht mehr identifizieren, würde anderswo, etwa im Flüchtlingsbereich, wichtiger gebraucht. „Der Kapitalismus hat seine Fühler in jeden Lebensbereich ausgestreckt." Die Krise habe sich damals eben besonders an den Unis gezeigt. Inzwischen würden die Symptome anderswo noch deutlicher auftreten.

Kranzniederlegung zum Gedenken an die Zukunft Österreichs. Foto: Martin Krondorfer | flickr | CC by 2.0

Das Audimax der Uni Wien als Studi-Lager und Protest-Labor. Foto: Christopher Glanzl

So voll ist das Hauptgebäude der Uni Wien abseits von Protesten selten. Foto: Christopher Glanzl

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