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Popkultur

'Snowpiercer' ist, wenn Republikaner 'Bob’s Burgers' schauen

Der Kampf um die erste Klasse im Zug. 'Snowpiercer' ist der 'Panzerkreuzer Potemkin' der Webstream-Marxisten.

Im Augenblick spielen Tod und Transzendenz im Kino ja einige Hauptrollen gleichzeitig. Um nach Und morgen Mittag bist du tot und Transcendence das Triptychon vollzumachen, kommt hier noch ein weiteres Sci-Fi-Gelage, in dem sich der rote Faden menschlicher Selbstreflexion als weißer Zug durch die verschneite Pampa der Zukunft zieht: Snowpiercer.

Diese Comicverfilmung abseits des Marvel-Mainstreams, bei der die letzten Überlebenden der Menschheit in einem geschlossenen Mikrokosmos aus Bahnabteilen über die Gleiskörper der vereisten Erde donnern, ist wie jede gute Sci-fi-Story eigentlich ein Stimmungsbild der Gegenwart—nur dass im Fall von Snowpiercer der filmisch recht waghalsige Versuch unternommen wird, mit wenig Budget einen gigantischen Klimawandel-und-Klassenkampf-Symbolismus als marxistisches Sittenstück aufzuziehen.

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Wir beginnen hinten im Zug, wo die Krise der Unterprivilegierten brodelt und sich langsam aber sicher der Aufstand formiert; von hier aus wir reisen mit unseren Revoluzzern langsam nach vorne, Wagon um Wagon, in sich steigernden Stufen von Eskalation, die das Gleichgewicht der unerbittlichen Maschine—von der das Überleben der Menschheit in diesem frostigen Terrain abhängt—beinahe aus den Fugen (und von den Gleisen) bringt. Auf dem Weg gibt es Gemetzel und Tilda Swinton (wobei ersteres auch im Gesicht von zweiterer vorgeht), brachiale Brutalität und Ohnmacht, geile Kampfsequenzen und, nona, natürlich auch einiges an beachtlichen Logikfehlern, CGI-Ausrutschern und Brüchen in der Diegese, aber wurscht.

Snowpiercer ist das Panzerkreuzer Potemkin der Webstream-Marxisten, wo die Revolution nur während des Bufferings passiert; es ist ein Ameisenaufstand in der Westentasche, aber nicht ohne ein gewisses Kribbeln für diejenigen, die sich diese Weste freiwillig anziehen (und sich vom Nippel aus von ihr zerfressen lassen). Sicher, manche subjektive Nachtsichtgerät-Kamera ergibt keinen Sinn—das Problem kennt man aus de facto jeder Sequenz, die nur aus subjektiven Kameras bestehen soll—und einige Animationen sind so brüchig, dass man sich wünschte, man hätte doch nur eine Screener-Version auf dem Laptop gesehen.

Aber insgesamt ist der Film trotzdem ein schönes, wenn auch schlichtes Geschichtchen von Arbeiterunterdrückung und verlogenem Turbokapitalismus, der uns auf den Mythos vom „großen öffentlichen Gesamtwohl" vorbetet, aber eigentlich doch nur „die Maschine füttert" (hier sogar im wörtlichen Sinn), die uns noch dazu davon abhält, zu sehen, was außerhalb von ihr (dem vermeintlich geschlossenen System) alles möglich wäre.

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Ziemlich poetisch ist eigentlich auch, dass zwar die Maschine oder der Motor—auf Englisch alles: „The Engine"—des Zuges ewig währt; aber eben nur im übertragenen, ideologischen Sinne, während ihre Bestandteile sehr wohl verfallen, wie bei jedem anderen ganz gewöhnlichen technischen Teil auch. Ideologie und Mechanik, nobles Konzept und handfeste Arbeit werden hier so plastisch wie möglich gegeneinander gebasht, bis es eben im ganzen Zug rumort. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht zu weit auf die Schattenseite der Spoiler-Nazis geraten und lasse deshalb auch den eigentlichen Clou der Erzählung weg, über den man sich die Finger genauso krüpplig schreiben könnte, wie an jedem Buch von Ayn Rand und jeder Wahlkampfrede eines jeden Republikaners von Ronald Reagan bis Mitt Romney.

Lasst mich nur auf eine Sache hinweisen, die für manche vielleicht wie eine überpenible I-Tüpfel-Reiterei aus der Filmfehlersuch-Fraktion klingt, aber leider sehr substanziell jedem neoliberalen Turbokapital-Verfechter in die Hände spielt, der damit einmal mehr das dümmliche, undurchdachte Links-Gewäsch der Che Guevara-Shirt- und Anonymous-Masken-Träger an die Wand stellen kann.

Denn die größte inhaltliche Schwäche von Snowpiercer ist leider die zugrundeliegende Analogie selbst—also der Vergleich des Zuges mit dem stur auf vordefinierten Wegen voranpreschenden Kapitalismus. Sicher, das Ganze ist ein praktisch durchdekliniertes Märchen vom Aufstand, das schon auch mal unrealistisch sein darf (drum kritisiere ich hier auch gar nicht erst, warum die Menschheit ausgerechnet in einem Zug, der auf Schienen fährt, die eisige Ewigkeit verbringen sollte, anstelle von, sagen wir, einem gigantischen Schneemobil, das sich frei bewegen kann oder so), aber eins muss man mir erst noch erklären: Denn wie soll ein kapitalistisches System ohne jedes Kapital funktionieren? Ich weiß, man darf wahrscheinlich nicht so genau hinsehen und sollte allein schon wegen den Effekten lieber die Augen halb zusammenkneifen, aber es sind Schwächen wie diese, die am Ende jede große Idee kippen können.

Wer es gerne ähnlich mikrokosmologisch und aufstandsbestandsaufnehmend, aber gleichzeitig doch ein bisschen realistischer mag, sollte übrigens zur Ergänzung Bob's Burgers S04E15 schauen. Hier geht es zwar nicht um den Umsturz, sondern nur um eine Weinverkostungsreise—und der Zug pierct auch weniger durch den Snow, als er vielmehr mit 5 km/h durch die Idylle saftelt—, aber im Grunde genommen ist die Chronik des gesellschaftlichen Verfalls eine doch recht ähnliche und zeigt im Fall der Animationsserie sogar noch viel eindrucksvoller, dass es eigentlich nicht viel Schlimmeres gibt, als wenn die Welt um einen herum immer kleiner und das Eis (nicht nur sprichwörtlich) immer dünner wird. Leider hat Snowpiercer insofern Recht, als genau das für die Menschen in den hinteren Abteilen längst passiert ist. Eine gute Übung in Suspension of disbelief, bei gleichzeitig einsetzendem Realitäts-Flash ist beides allemal.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

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