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„Lil B, next level, unglaublich!“—Millie & Andreas ‚Drop The Vowels‘ im Stream

Jungle, Rave, Dubstep, House und alle Arten Geräuschmusik—Wir sprachen mit Andy Stott über sein und Miles Whittakers neues Album ‚Drop The Vowels‘. Einen Albumstream von Millie & Andrea haben wir auch.

FLACs sollen ja jetzt das neue Ding sein. Nachdem Neil Young neulich erfolgreich seinen Audio-Player Pono lanciert hat, ist das Thema High Fidelity wieder in der Mitte der musikalischen Gesellschaft angekommen. MP3-Kompression kann gegen verlustfreie Codecs natürlich kaum anstinken, argumentieren die Klangfetischisten auf ihren Elfenbeinstereoanlagen. Als hätten Andy Stott und Miles Whittaker (von Demdike Stare) mit dieser Debatte gerechnet, klingt ihr Stück „Stay Ugly" als brutalstmöglicher Gegenentwurf dazu: Sechseinhalb Minuten lang brutzeln die beiden Noise- und Clubmusikkünstler darin vor sich hin, um auch dem Letzten klarzumachen, wie geil kaputtkomprimierte Musik aus abkokelnden Lautsprechern doch klingen könnte. So geil, so dreckig.

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Auch der Rest dieser Sammlung an Tracks ist spannend genug: Jungle, Rave, Dubstep, House und alle Arten Geräuschmusik finden sich auf ihrem gerade bei Modern Love veröffentlichten Album Drop The Vowels. Im Interview mit Lauren Martin erklärt Andy Stott, inwiefern er sich von Jai Paul und Lil B hat inspirieren lassen, wie das Album entstanden ist und wie ihre Live-Sets funktionieren. Das ganze Millie & Andrea-Album kannst du dir außerdem in voller Länge anhören.

THUMP: Wie arbeiten Millie & Andrea?
Andy Stott: Miles und ich haben bei keinem der Tracks zusammengearbeitet, würde ich sagen. Ich verschicke meine Tracks, dasselbe tut er auch. Alle Tracks sind eigenständige Millie & Andrea-Stücke—die gleichzeitig veröffentlicht werden. Klar, wir arbeiteten auch schon einmal zusammen an einzelnen Tracks, aber eigentlich inspirieren wir uns nur gegenseitig.

Und wie kam's zu dieser Art der Kollaboration?
Das hat sich einfach so ergeben. Ich lebe immer noch in Manchester, als wir das Projekt begannen, lebte Miles in Burnley—das ist nur 45 Minuten die Autobahn runter. Wir konnten uns also durchaus gegenseitig im Studio besuchen. Jetzt lebt Miles aber in Berlin, und mittlerweile ist er auch schwer beschäftigt—mit seinen Solo-Sachen und Demdike Stare. Als mein Album Luxury Problems rauskam wurde es bei mir auch ziemlich hektisch. Zusammenfinden ist so schwierig. Ein gemeinsames Album zu machen war nur auf diese Art der einzig gangbare Weg.

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Hat sich mit Millie & Andrea dein Klang gegenüber deinen Solostücken verändert?
Ich denke ja. Wir beide haben unsere individuellen Stile weiterentwickelt. Dieses Album ist mehr für den Dancefloor konzipiert und unterscheidet sich von den früheren Sachen vor allem in Sachen Selbstsicherheit—wir haben uns in Sachen Produktionstechnik und Stil ja auch weiterentwickelt. Wir profitieren auch von diesem Arbeitsprozess. Auf meinem Rechner habe ich immer noch Tracks von vor mehreren Jahren rumliegen, mit denen Miles sich dauerhaft schwer tat. Irgendwann kam er dann zu dem Punkt an dem er sagte: „Funktioniert der Track in dieser Form?" Tat er dann natürlich nicht. So bizarr!

Das Album—mit all seinen musikalischen Einflüssen—klingt sehr roh, behält aber immer die Melodie im Hinterkopf. Was hast du dir gerne an Musik angehört, was hat Drop The Vowels beeinflusst?
Die Produktion von Jai Pauls Sachen … das klang alles so zermatscht, super komprimiert, dann hat seine Musik aber auch so unterliegende Gemeinheiten. Das ist die ultimative Popmusik, total, aber die Produktion ist so fies. Und „fies" meine ich in kleinster Weise negativ. Mehr so: „Mein lieber Scholli!" Das war für mich inspirierend: Wie kann man eine so dermaßen zermatschte Produktion sehr, sehr zugänglich machen. Ich wollte mich musikalisch öffnen, dabei aber fies bleiben. Einige der schnelleren Stücke wie „Corrosive" habe ich beim Pitchfork Festival gespielt. Dort sah ich dann auch Lil B spielen. In einer solch lauten Umgebung hatte ich noch nie so fette Beats wie bei ihm gehört. Das war auch recht inspirierend.

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Du stehst auf Lil B? Verrückt! Damit hätte ich ja nie gerechnet …
Ich habe nur dieses eine Live-Set gesehen. Ein Freund spielte mir vor ein paar Jahren Lil Bs Musik vor. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber er sagte wohl: „Jetzt habe ich dir ein bisschen Lil B vorgespielt, aber ich glaube kaum, dass du das ernst nehmen wirst." Und er hat Recht: Anfangs wusste ich nicht viel damit anzufangen, aber als ich Lil B live sah, war es das Größte! Das haute mir irgendwie in die Fresse. Besonders dieser eine richtig fetter Drone-Track mit einem Trap-mäßigen Beat drunter … Da dachte ich: Das ist next level. Unglaublich!" Die „Stage Two"-12", die vor unserem Album rauskam, schrieb ich während des Rückflugs aus Chicago, noch ganz befangen von Lil Bs Set.

Der ist wirklich 'ne ganz schöne Type—und steht auf ziemlich ungewöhnliche Musik.
Er mag sogar Grouper und solche Sachen. Das finde ich klasse. Meine fünf Minuten Ruhm stammen ja aus einer Situation, in der Evian Christ und ich uns mal in Lil B Garderobe austobten, mit all seine Sachen rumwarfen.

Was magst du an unpolierten Klängen?
Ich mochte diesen Aspekt an Produktionen eine lange Zeit lang, das versuchte ich dann auch in meinen Produktionen unterzubringen … Die Rauheit, diese Sandigkeit, den Zerfall der Dinge zu perfektionieren. All das, das dich ein bisschen zurückschrecken und „Oh mein Gott" denken lässt … Die Aggression. So denke ich ja über das Jai Paul-Album: hübsch anzuhören, aber nimmt man diesen hübschen Anstrich weg, dann sind die Melodien immer noch sehr schön. Das klingt für mich so, als sei es sorgsam zusammengestellt und dann in die Waschmaschine geworfen worden. Was dann übrig bleibt ist das, was zählt. Dazu will man beim Hören die Fäuste ballen, dabei ist es Popmusik. Und wenn Popmusik schon diese Reaktion hervorrufen kann, dann muss das bei Techno einfach eskalieren.

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Wie sehen eure Live-Sets aus—gerade wo ihr schon nicht im Studio zusammenarbeitet?
Über den Kopf zermartern wir uns gerade die Köpfe. Wir spielen zusammen, also sollten wir wissen, was wir beide und der jeweils andere so macht. Die Trackauswahl besteht aus neuen und alten Stücken, wir haben also eine gewisse Sequenz hinbekommen—und Miles bringt da eher den Hardware-Teil mit ein. Ich weiß allerdings nicht, was genau er an Hardware mitbringen wird—das erfahre ich vermutlich beim Soundcheck.

Improvisation also?
Es gibt schon eine gewisse Struktur, aber das ist mehr eine grobe Richtung. Wir kennen uns natürlich schon sehr lange und sehr gut. Ich fange beispielsweise an, einen Live-Track so wie auf dem Album—mit leichten Abwandlungen—zu konstruieren und Miles wird das dann sampeln. Oder er spielt mit Effekten und lässt sie reinschleichen, dann mache ich natürlich Platz sobald ich es höre.

Diese semi-improvisierten Elemente von Live-Techno gefallen mir meistens besonders gut. Ist für die Künstler und die Gäste auch am interessantesten.
Definitiv, so ist's gedacht: zwei Extreme. Man kann ja nicht einfach auftauchen und sich nicht vorbereitet haben, nur auf Start drücken und laufen lassen … Das geht nicht. Andererseits ist uns das totproben, die Gewissheit zu wissen, was zu jeder Sekunde der Performance passieren wird, auch zu mechanisch. Keine Ahnung ob andere Leute so arbeiten, aber für Miles und mich ist das zu mechanisch. Es braucht immer Raum für Improvisation, aber nur wenn man ein grundlegendes Fundament aufgebaut hat. Was auch bedeutet, dass keine Liveshow der anderen gleicht. Die Idee gefällt mir eigentlich ganz gut.

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Weiter im Text:

Zum Abschluss: Wie klingt Drop The Vowels für dich?
Als seien Millie und Andrea ein bisschen erwachsener geworden. Ich kann's nicht benennen. Es braucht einfach seine Zeit, bis man es als [rundes] Album sehen kann. Man braucht eine gewisse Zeit und Abstand davon. Dann kann man auch wie ein richtiger Zuhörer rangehen: wenn man vergessen hat, wie man es aufgenommen hat. An dem Punkt bin ich noch nicht angelangt, das ist alles noch zu frisch. Ich höre es als Album, ja, es läuft, es fließt und all das. Aber nachdem man gerade was fertig gestellt hat? Und es dann nach langer Zeit wieder anhört? Das klingt alles ganz anders.

Millie & Andrea, Drop The Vowels, Modern Love, 31. März 2014

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