„Sieben Stunden Grauen“: Der Knochenjob der Rosetta-Kometenlandung
Ein Detail des Kometen. Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA.

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„Sieben Stunden Grauen“: Der Knochenjob der Rosetta-Kometenlandung

Der ESA-Lander Philae nimmt heute Kurs auf 67P. Wir haben mit Kometen-Harpunier Matt Taylor über den Versuch gesprochen auf einem fliegenden Kometen zu landen.

Zum ersten Mal in der Geschichte wird heute ein Fahrzeug auf der Oberfläche eines Kometen landen. Dazu entlässt der ESA Forschungssatellit Rosetta den Philae-Lander aus seiner Obhut, um ihn vorsichtig auf einem ausgewählten Punkt des Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko aufsetzen zu lassen.

So ist jedenfalls der Plan. Matt Taylor, der leitende Wissenschaftler dieses Projektes der Rosetta-Mission erzählte mir am Telefon, dass er für sich selbst mit einem enormen Stresslevel rechnet: „Wenn der Lander auf seinem Weg ist, wird meine Anspannung exponentiell ansteigen." Während die Marslandung des Curiosity-Rover „sieben Minuten des Grauens" bedeutete, rechnet er nun mit „sieben grauenvollen Stunden".

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SEPARATION CONFIRMED! Safe journey @Philae2014! pic.twitter.com/dsM5Xaedzp

— ESA Rosetta Mission (@ESA_Rosetta) November 12, 2014

Die heutige Landung ist nur ein Aspekt der Rossetta-Mission, die bisher schon eine beeindruckende Liste an Pionierarbeiten geleistet hat. Nach ihrem „Erwecken" im Januar bestand der erste Meilenstein darin, dass der Orbiter auf den Kometen im Weltraum traf.

Wie geplant ist der Lander Philae inzwischen heute um 10:03 deutscher Zeit von Rosetta abgekoppelt worden. Die erfolgreiche Landebestätigung soll dann um 17 Uhr bei der Bodenstation eingehen. Ich habe mit Taylor darüber gesprochen, was in dieser Zeit genau passieren wird.

„Schon bis zum Beginn des Landemanövers haben wir uns eine Reihe ambitionierter Ziele gesetzt", erklärte er. „Wir prüfen, ob unsere Bahnbestimmung in Ordnung ist, ob der Lander in einem guten Zustand ist—das sind die go/no-go-Szenarien."

Nachdem Philae abgekoppelt wurde, werden einige von uns da sitzen und „in ungeduldiger Erwartung bis zum Erreichen der Kometenoberfläche Däumchen drehen", sagte er. Der Vorgang selbst ist weniger dramatisch als man vielleicht denken mag: Rosetta gleitet in Laufgeschwindigkeit um den Kometen und wird Philae einfach einen sanften Schub verpassen, damit sich das Landegerät mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde dem Kometen nähert—angezogen von der schwachen Anziehungskraft. Taylor berichtete mir, dass der Philae-Projektmanager Stephan Ulamec den Vorgang mit dem Gefühl verglichen hat, „gegen eine Wand zu laufen: Es tut nicht wirklich weh, aber du merkst, dass du es getan hast."

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Während des Landevorgangs von Philae fliegt Rosetta in eine entferntere Umlaufbahn, „damit es zu keinem Zusammenstoß mit dem Kometen kommt."

Beim Abkoppeln von Philae macht die CIVA-Kamera, die schon jetzt für ihr Rosetta-Weltraum-Selfie berühmt ist, ein letztes Abschiedsfoto und das Reiseduo geht von nun an getrennte Wege. Ab nun ist eine unter dem Lander angebrachte Kamera für weitere Fotos zuständig.

Taylor erzählte mir, dass dem Team rund zwei Stunden nach der Abkopplung Telemetriedaten zur Verfügung stehen, und bis zur endgültigen Landung kann die Bodenstation dann das Geschehen verfolgen. Glücklicherweise assistieren auch noch andere Instrumente bei der Landung. Eines der vielen Experimente der Mission, das CONSERT Experiment, schickt Radiowellen durch den Kometen, um seinen Kern zu untersuchen. Die Signale werden bisher durch die Materie des Kometen gestört und die Wissenschaftler erhoffen sich nun durch den direkten Kontakt mit dem Himmelskörper weitere Erkenntnisse über seine innere Zusammensetzung.

Taylor erklärte mir, dass sie durch die Überwachung des Dopplereffektes der Signale außerdem den Anflug des Kometen verfolgen können. „Wir nutzen das Experiment, um die Dopplerverschiebungen zu beobachten und zu sehen, wie sich das Signal verhält. Dadurch erfahren wir, wie sich der Lander fortbewegt."

Außerdem überprüft der Rosetta-Orbiter den Lander kontinuierlich aus sicherer Entfernung. Bei der Landung wird Philae schließlich mit zwei Harpunen an einem speziell ausgewählten Punkt auf dem Kometen zu verankern. Dieser Ort wurde erst kürzlich nach der Insel im Nil auf den Namen Agilkia getauft.

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Sobald die Landung als erfolgreich gemeldet wurde, ist damit zu rechnen, dass die zahllosen irdischen Twitter-Fans der Rosetta-Mission erleichtert aufatmen. Für die Wissenschaft beginnt dann jedoch ein weiterer Teil intensiver Forschungsarbeit: „Nachdem wir gelandet sind, machen wir zunächst ein Panoramabild, um zu sehen, wo Bruce Willis und sein Team stecken. Anschließend beginnen wir mit den echten Schnüffel-Messungen", erzählte mir Taylor.

Sowohl der langsame Landeanflug als auch die Landung selbst folgen einem engen Zeitrahmen, denn sie sind abhängig von dem primären Batteriesystem des Landers. „Sobald wir den Lander vom Orbiter abkoppeln, hängt er nur an seiner eigenen Energiezufuhr", berichtete mir Taylor. „Es gibt ein wenig Solarenergie, die das System wieder auflädt, aber letztlich sind wir auf die 70 Stunden Batterielaufzeit beschränkt."

Innerhalb des Arbeitszyklus wird jedes Philae-Instrument einmal zum Einsatz kommen, bevor schließlich die wissenschaftliche Langzeitsequenzierung beginnt, die von sekundären Batterien angetrieben wird, welche durch die Sonnenenergie aufgeladen werden. Daher fiel die Wahl auch auf Agilkia als Landepunkt: Denn auch wenn es so aussieht, als sei der „Bauch" des Quitscheentchen-förmigen Kometen für eine Landung geeigneter, bekommt diese Seite jedoch nur rund vier Stunden Sonnenlicht pro Tag.

Wer weiß, was passiert? Kometen sind unvorhersehbar.

Auch wenn Rosetta bereits  die unangenehmen Gerüche von 67P aufzeichnen durfte, wird Philae den Planeten sehr viel intensiver erleben dürfen als der Orbiter es aus der Ferne je könnte. Taylor erläuterte mir das im Detail: „Während der Orbiter lediglich die äußere Atmosphäre des Kometen gerochen und geschmeckt hat, wird der Lander so richtig an der Oberfläche kratzen und schnüffeln."

Philae wird voraussichtlich bis zum kommenden März überleben, dann werden sich einige seiner Komponenten so weit erhitzt haben, dass sie nicht mehr funktionieren. Die Mission von Rosetta wird aber auch dann noch nicht enden. Im kommenden Sommer wird die Mission in eine neue aktive Hochphase eintreten, wenn der Orbiter Kilogramm für Kilogramm an Ballast abwirft und so selbst einen kometenähnlichen Müllschweif bilden. Es könnte dabei passieren, dass der Orbiter in die Hälfte zerteilt wird, was laut Taylor die „Mission stark verändern würde" und ihre weiteren Möglichkeiten begrenzte. „Wer weiß schon, was passieren wird?" sagte Taylor: „Kometen sind ziemlich unvorhersehbar und die größte technische Herausforderung, die wir mit dieser Mission haben ist diese: Verstehen, wie wir in solchen Bedingungen arbeiten können."

Taylor ließ sich abschließend noch entlocken, dass die Forscher bis jetzt schon einige „bahnbrechende" Ergebnisse auf der Rosetta-Mission sammeln durften, die gerade noch überprüft werden. „Wir haben bereits mehr Informationen zusammen getragen, als je zuvor von einem Kometen gesammelt wurden, und auch die Auflösung der Daten ist die beste aller Zeiten", sagte er.

Lasst uns hoffen, dass auch die weiteren Schritte der Philae-Mission erfolgreich verlaufen und die Datenberge weiter wachsen. Auch ein paar weiteren Weltraum-Selfies wäre ich nicht abgeneigt.