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10 Fragen

10 Fragen an einen Priester, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie kannst du an einen Gott glauben, der Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt? Was ist das Schlimmste, das dir gebeichtet wurde? Und was machst du, wenn du sexuell erregt bist?
Foto: Can Erdal

Franziskus von Boeselager, 39 Jahre alt, arbeitet als Kaplan, eine Art Hilfspfarrer, in Münster. Vor drei Jahren hat er sein Leben Gott versprochen. Er hat entschieden zu verzichten, auf freie Sonntage, eine Familie und Sex.

Ich arbeite als freie Journalistin in Berlin und gehöre zu dieser Mittzwanziger-Generation, in deren Alltag Kirche und Glauben keine Rolle spielen. Seit Monaten begleite ich Franziskus, für den das, was für mich fremd ist, alles ist. Ich berichte über ihn im Rahmen eines Projekts der katholischen Kirche. Die Idee: herauszufinden, was passiert, wenn sich zwei Lebensrealitäten begegnen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Bedingung: Ich darf fragen, was ich will. Ich begleitete Franziskus bei Priesterweihen, zwei Wochen in Polen zum Weltjugendtag oder in seiner Messe—die er jeden Tag feiert. Wir diskutierten über Homosexualität, Geschiedene, Ideale, Frauen in der Kirche, den Missbrauchsskandal. Über all das schreibe ich auf meinem Blog.

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Sechs Monate sind fast um, viele Fragen habe ich Franziskus von Boeselager schon gestellt, vor einigen habe ich mich gedrückt. Die hole ich jetzt für VICE nach.

Foto: Can Erdal

VICE: Männer sollen bis zu 19 Mal täglich an Sex denken. Wie oft du?
Franziskus: An Sex im Sinne von Geschlechtsverkehr denke ich extrem selten. Es kann vorkommen, dass ich eine attraktive Frau als sexuelles Objekt wahrnehme, anstatt als Person. Dadurch laufe ich Gefahr, sie zu entwürdigen. Das passiert mir selten. Wichtig ist, solche Gedanken nicht zu verteufeln. Sie dürfen kommen, aber ich lasse sie auch wieder gehen.

Keine Küsse, keine zärtlichen Umarmungen, keinen Sex—was sind deine Tricks, damit du das hinbekommst?
Bei Sexszenen im Theater oder im Film schaue ich weg. Außerdem tanze ich in der Regel nicht mit Frauen. Beides kann etwas aktivieren, was ich nicht will. Aber das muss jeder Priester selbst wissen. Wenn ich nachts in Versuchung gerate, bete ich meist. Man könnte aber sicher auch Schäfchen zählen. Am wichtigsten sind für mich gute soziale Kontakte.

Foto: Can Erdal

Ist Selbstbefriedigung erlaubt?
Sie zeigt eine Art von Unausgeglichenheit, von Maßlosigkeit. Und beides tut meiner Meinung nach nicht gut. Trotzdem sollte man sich nicht von Gewissensbissen runterziehen lassen. Denn das Bedürfnis ist natürlich. Priester sind genauso versucht wie Ehemänner oder Singles.

Was würdest du tun, wenn du dich wieder verlieben würdest?
Ich würde mich zunächst freuen, weil es etwas Schönes ist. Und dann schauen, wie ich damit umgehe, um trotzdem meiner Berufung treu zu bleiben. Es ist die gleiche Entscheidung, die ein Verheirateter trifft: fremdgehen oder die neue Beziehung beenden? Priester verlieben sich auch, das ist menschlich. Manche hängen den Priesterdienst an den Nagel. Aber die Mehrzahl sagt: Die Verliebtheit geht vorbei. Ich habe mich Jesus Christus und dem Dienst an Menschen versprochen. Hast du noch Fragen, die nichts mit Sex zu tun haben?

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Klar—wie viele tote Menschen hast du schon gesehen?
Vielleicht ein knappes Dutzend, meistens, wenn ich um eine letzte Segnung gebeten wurde. Häufiger sind Beerdigungen, oft eine pro Woche. Bisher waren es etwa 100. Ich mache das gern, unter anderem, weil es immer etwas Hoffnungsvolles hat. Ich darf den Angehörigen Trost spenden und selbst die Nähe Gottes erfahren.

Foto: Can Erdal

Was ist das Schlimmste, das dir mal gebeichtet wurde?
Abtreibungen haben die Menschen am meisten belastet. Sie brauchen eine besondere Zuwendung. Mir wurden auch schon Kapitalverbrechen gebeichtet. Ich versuche zu helfen und die Person anzuleiten, es wieder gut zu machen, zum Beispiel, indem sie sich selber anzeigen. Ich selbst unterliege natürlich der Schweigepflicht.

Hast du LGBT-Freunde ?
Meine homosexuellen Bekannten sind selbst gläubig. Mit ihnen unterhalte ich mich auch darüber, wie sie versuchen, als Christ zu leben. Die Homosexualität behindert sie in ihrer Identitätssuche. Mit LGBT-Freunden, die nicht gläubig sind, hatte ich bisher keinen engeren Kontakt.

Was nervt dich an der katholischen Kirche?
In Deutschland, dass sie in ihren Strukturen untergeht und Gottes Geist zu wenig Raum gibt. Ich denke, die Trennung von Staat und Kirche würde dem Staat weh, der Kirche aber gut tun. Global finde ich, dass sie ein stärkeres Gegengewicht zur weltweiten Ungleichheit von Mann und Frau sein sollte.

Wie kannst du an einen Gott glauben, der ständig Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt?
Nicht Gott lässt sie ertrinken, die Ursache ist menschliches Fehlverhalten. Wir Menschen sind frei, alles zu tun, um so etwas zu verhindern. Was Naturkatastrophen angeht, frage ich mich schon, warum er sie zulässt. Ich kenne den Sinn nicht, aber ich vertraue darauf, dass es einen gibt.

Wie kannst du dein Leben einer Institution verschreiben, die auf der ganzen Welt strukturell den Kindesmissbrauch vertuscht hat?
Das war ein sehr schlimmer Fehler von vielen Personen. Aber ich liebe die Kirche. Natürlich nicht dafür, dass sie den Missbrauchsskandal verantwortet. Sondern weil Jesus Christus durch sie wirkt. Ich habe so viel durch die Kirche geschenkt bekommen. Das will ich weitergeben. Jetzt erst recht!

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