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Europawahl 2014

Das Bullshit-Märchen vom Teuro muss aufhören

Wir haben eine Supermarkt-Rechnung von 1992 als Einkaufsliste verwendet und die Preise von damals und heute verglichen.

Am Sonntag ist Europawahl. Vor dem österreichischen Parlament hängt dazu ein riesiges Wahlmobilisierungs-Banner mit dem Spruch „UNSER EUROPA, IHRE WAHL", der in vier Worten zusammenfasst, was in Bezug auf das EU-Thema—zumindest sprachlich, aber wohl auch gedanklich—alles falsch läuft. Zum einen zieht es eine Grenze zwischen den einen, denen Europa gehört und den anderen, die für Europa wählen; sonst müsste es ja „UNSER EUROPA, UNSERE WAHL" heißen. Zum anderen wählt es die formale Anrede und schafft damit nicht nur Distanz, sondern auch noch Verwirrung, weil der Spruch auf die Art auch „UNSER EUROPA, DEREN WAHL" bedeuten könnte.

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Natürlich besteht die Möglichkeit, dass ich mir hier zu viele Gedanken mache und vielleicht ist der Grammatik-Nazi in mir auch einfach nur antieuropäisch eingestellt—aber egal, wie oft ich den Spruch auch lese, ergibt es für mich trotzdem keinen Sinn, warum man hier überhaupt zwei verschiedene Pronomen verwenden sollte. Die Frage, die ich mir zu dem Banner stelle, ist dieselbe, die auf europäischer Ebene andauernd und mit den unterschiedlichsten politischen Untertönen gestellt wird: Wer sind in diesem großen Ganzen „wir" und wer sind „sie" (oder eben „Sie")? Und warum ist Europa eigentlich so beschissen in Sachen Eigen-PR?

Sogar hier vor dem Parlament, wo man die Menschen auf die unschuldigste Art zum Wählen motivieren will, wirkt Europa im besten Fall distanziert und im schlimmsten Fall elitistisch aufgespalten in Regierende und Regierte. Im Alltag der meisten Menschen äußert sich dieses Gefühl zwar nicht in der Form von grammatikalischen I-Tüpfel-Reitereien—und vermutlich ist den meisten von euch völlig egal, mit welcher Anrede euch das österreichische Parlament dazu motivieren will, eure Stimme am Sonntag irgendeinem alten Sack zu geben, der noch nie irgendwas für euch getan hat—, aber die Skepsis gegenüber der EU ist trotzdem allgegenwärtig. Wenn selbst die Grünen mal die Gurkenkrümmung kritisieren (und damit zumindest nicht das Gegenteil von Mölzer sagen, der ja bekanntlich findet, dass im Vergleich zur EU sogar die NS-Diktatur in Sachen Überregulierung eher locker drauf war), weiß man, wo die Leute stehen.

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Nirgendwo wird diese Einstellung gegenüber der EU so deutlich wie im alten Märchen vom „Teuro". Wenn ihr selbst noch zu Schilling-Zeiten fortgegangen seid, wisst ihr, wovon ich rede. Damals konnte man mit 100 Schilling angeblich noch den ganzen Abend durchkommen und Leberkäs-Semmeln wuchsen auf 10-Schilling-Bäumen. Alles war besser, weil nicht zuletzt billiger. Auch mein Vater rechnet heute noch in Schilling um, wenn er im Saturn-Newsletter die Preise von HD-Fernsehern vergleicht—und das, obwohl es inzwischen natürlich 15 Jahre Inflation und damals noch keine HD-Fernseher gab.

Schon seit der Einführung des Euro werde ich das Gefühl nicht los, dass der Mythos von der Teuerung eben nur genau das ist—aber abgesehen von allgemeinen Schlagwörtern wie „Inflation" und „verzerrter Wahrnehmung" hatte auch ich nicht wirklich anschauliche Gegenargumente vorzulegen. Zumindest nicht, bis ich vor kurzem in der Wohnung meiner Eltern in einer antiken Ausgabe von Don Quijote eine Supermarkt-Rechnung aus dem Jahr 1992 fand. Gestern habe ich mich mit diesem alten Kassabeleg als Einkaufsliste auf den Weg zu drei Shops gemacht, um das Märchen ein für alle Mal an Zahlen festzumachen.

Natürlich ist der neue Einkauf nur eine ungefähre Annäherung; was damals der Familia Großmarkt war, ist heute Hofer und gewisse Ernährungs-Trends sind auch an der Rechnung nicht ganz vorübergegangen (Joghurtbutter statt Rahmbutter, Mineralwasser in 1,5-Liter-Plastikflaschen statt in 1-Liter-Glasflaschen). Um das Ergebnis aber so eindeutig wie möglich zu machen, habe ich nach dem Grundsatz „im Zweifel für die alte Liste" geshoppt (also beispielsweise den Preis von 1,5 Litern Wasser genommen und ihn nicht etwa auf 1 Liter runter gerechnet). Das Ganze haben wir der Anschaulichkeit halber grafisch zu einem neuen Kassazettel montiert, damit ihr den direkten Vergleich seht.

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Montage von VICE Media

Dem Inflations-Umrechner der Österreichischen Nationalbank zufolge entsprechen 872,70 Schilling aus dem Jahr 1992 heute einer Kaufkraft von 96,51 Euro. Sicher, man könnte auch einen teureren Kajal-Stift auswählen oder bei Damenbinden extra zu einem höherpreisigen Markenprodukt greifen (zwei Felder, in denen ich leider ziemlich unerfahren bin). Und ja, der Preis einzelner Lebensmittel—allem voran von Fleisch—ist im Vergleich deutlich gestiegen.

Das ändert aber alles nichts daran, dass die Legende vom Teuro erwiesenermaßen Bullshit ist. Was damals umgerechnet 96 Euro kostete, ist heute für etwas mehr als zwei Drittel des Preises zu haben. Das bestätigte mir auf meine Anfrage auch der Pressesprecher der Österreichischen Nationalbank, Dr. Christian Gutlederer. Dass in anderen Sparten die Preise gestiegen sind, wie zum Beispiel bei den Mieten, ist zwar wahr, hat aber nicht unbedingt mit der Währungsumstellung, sondern auch mit dieser kleinen Sache namens Immobilienkrise zu tun.

Am Ende wirkt es ziemlich passend, dass ich die Rechnung ausgerechnet in einer Ausgabe von Don Quijote gefunden habe: Wie's aussieht ist der Kampf gegen den Teuro dasselbe wie Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen.

Markus auf Twitter: @wurstzombie