FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

„Ich will da nie wieder rein. Die sind doch alle verrückt!“

Die ehemalige US-Botschaft in Teheran ist in einen anti-amerikanischen Schrein umgewandelt worden. Touristen haben nur selten Zugang. Eine Begegnung mit Zeitzeugen, Geheimdokumenten und reichlich Revolutionspropaganda.

Als die bewaffneten Männer von der anderen Straßenseite anfangen zu rufen und zu gestikulieren, zuckt Saba zusammen. „Sie wollen, dass wir zu ihnen kommen“, flüstert sie. In ihre Stimme mischt sich ein Hauch Panik. Die Iranerin, die anders heißt, hatte von Anfang an nicht zu der ehemaligen US-Botschaft im Zentrum Teherans, in der heute die Elitetruppe des iranischen Regimes, die Revolutionsgarde, ein Quartier hat, kommen wollen. Das sei eine blöde, gefährliche Idee, hatte sie gesagt. Schließlich hatte sie eingewilligt, wenn auch nur sehr widerwillig. Vor der Botschaft war Saba sofort auf die andere Straßenseite gewechselt und hatte dort leise gemahnt, schnell und bloß unauffällig die Fotos von den anti-amerikanischen Propagandamalereien auf der Wand zu machen, deren grelle Farben mit dem Grau der gegenüberliegenden Hochhäuser kontrastieren. Nach ein paar Schnappschüssen von einem Totenkopf mit der Krone der Freiheitsstatur, dessen Lippen sich zu einem fleischlosen Grinsen verzerren, hatte sie ungeduldig mit der Zunge geschnalzt.

Anzeige

Jetzt klingt Sabas Stimme tonlos: „Wir müssen da rüber.“ Die beiden ganz in Schwarz gekleideten Männer, die am Tor lehnen, lächeln breit. Über ihnen hängt ein riesiges Plakat von den verrosteten Lautsprechern der Botschaft: Zerrissene Fotos von Präsident Carter und der amerikanischen Fahne fügen sich zu einem ausgeblichenen, lila-stichigen Mosaik zusammen. „Open Day“, sagt einer der Männer freundlich und macht eine einladende Handbewegung. Heute sei die Botschaft anlässlich des Jubiläums der Befreiung der Botschaft geöffnet, übersetzt Saba, die Ausländer seien höchst willkommen sich die „US Den of Espionage“ anzuschauen: Amerikanische Spionagehöhle, so heißt die ehemalige Botschaft in Teheran, seitdem iranische Studenten sie im November 1979 stürmten und die Mitarbeiter 444 Tage lang als Geisel nahmen.

Zwei Iranerinnen zupfen ihren Chador zurecht und posieren dann vor einer etwas angerosteten Rakete im Innenhof. Im Bau der Rakete klebt ein grinsender Totenkopf. Vor der Eingangstür liegt ein Fußabtreter, auf dem „Down with the USA“ steht. Im düsteren Erdgeschoss sitzen ein paar Männer auf Plastikstühlen und reden leise. Einer von ihnen lotst die Besucher durch eine dicke Tür in den ersten Stock. Er deutet zu einer jungen Frau in einem schwarzen Chador, die mit einem kanadischen Touristen vor einer Vitrine mit einer grauen Maschine steht. „Aus Deutschland? Willkommen!“ Die Führung habe gerade erst begonnen. Sie lächelt breit und erzählt vom unglaublichen Mut der Studenten, den „Kindern des Revolutionsführers Chomeini“, die in die Botschaft stürmten und hinter der dicken Eisentür hier, im ersten Stock, „Unglaubliches“ fanden: Die Spionagezentrale der Amerikaner mit der damals modernsten Technik. Sie deutet auf einen Raum, in dem drei Plastikfiguren hinter einer dicken Glasscheibe um einen Tisch sitzen und grimmig schauen: Ein abhörsicherer Raum, in dem die Amerikaner ihre terroristischen Aktionen planten, erklärt sie, ohne eine Mine zu verziehen. Sie habe gehört, dass jede amerikanische Botschaft so einen Raum habe. Sie zuckt die Schultern: Verwundern würde sie das jedenfalls nicht.

Anzeige

Die junge Frau deutet dann auf eine etwas verblichene, graue Maschine in einer Vitrine: „Damit wurde sogar der Schah abgehört, obwohl er sich beschwert hat.“ Das habe sie in der Schule gelernt. Sie schüttelt den Kopf. „Könnt ihr euch vorstellen, was die Amerikaner heute für Sachen haben? Vielleicht einen Mantel, der unsichtbar macht!“ Sie lacht. In ihrem Englisch schwingt der leichte Akzent ihrer Kindheit in Neuseeland mit. Eigentlich studiert sie gerade Übersetzungswissenschaften. Auch sie ist zum ersten Mal in der Botschaft: Die Führung macht sie freiwillig, erzählt sie stolz. Geld bekomme sie dafür keins.

Im nächsten Raum wuseln mehrere iranische Kamerateams zwischen den Vitrinen, ein Mann positioniert seinen kleinen Sohn für ein Foto vor der dicken Eisentür, die zum Raum führt, in dem geheime Botschaften verschickt wurden. „Da drüben, das ist eine der Eroberinnen“, wispert die junge Reiseführerin. Eroberer, Märtyrer—so nennt sie die Studenten, die die Botschaft stürmten. Sie deutet in eine Ecke, wo eine ganz in Schwarz gehüllte Frau von zwei ebenso verhüllten Journalistinnen befragt wird. Die Eroberin blickt rüber und winkt. Sie wolle den Ausländern etwas mitteilen, übersetzt die Führerin. Das Lächeln der Frau ist sanft, ihre Augen von Lachfalten umsäumt. „Die amerikanische Regierung ist nicht vertrauenswürdig“, die Eroberin schüttelt den Kopf und zieht ihren dicken Chador dichter. Selbst ihren engsten Freunden würden die Amerikaner nicht vertrauen. Die beiden Journalistinnen richten die Kamera auf das Gespräch, bald umringen die iranischen Kamerateams die Eroberin und die Ausländer, ein Iraner filmt mit seinem Smartphone: Die NSA und Angela Merkels Handy füllen die Hauptnachrichtensendungen im Iran.

Die Frau macht eine ausladende Handbewegung unter ihrem Chador: Die ganzen Geräte in den Räumen seien doch der Beweis, dass ohne die Stürmung der Botschaft die Revolution nie überlebt hätte. Sie meint die Revolution, die den Schah stürzte und mit der Errichtung des islamischen Gottesstaates endete. Sie selbst hätte sich nach zwei Tagen den Studenten angeschlossen, erzählt sie. Ihre Eltern seien stolz auf sie gewesen, die 20-jährige Tochter, die mit einem Gewehr in der Hand die Geiseln und die Revolution bewachte. An eine Geisel, einen jungen Mann, kann sie sich noch gut erinnern. „Er hatte solche Angst!“ Sie lächelt sanft: Sie selbst hätte nie Angst gehabt. Konnte sie die Waffe auch bedienen? „Ja.“ Die Antwort ist schnell, bestimmt. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu, dass es natürlich besser sei, wenn ihre Kinder nie eine Waffe bedienen müssten, dass Regierungen sich besser an einen Tisch setzen sollten, als aufeinander zu schießen. Jetzt wolle sie eine Frage stellen: Ob denn nun die Muslime oder aber die Amerikaner die wahren Terroristen seien? Sie beantwortet die Frage selbst: Natürlich seien es die USA, die Israel beschützten. Sie schüttelt den Kopf: Das erkläre sie ihren Studenten an der Universität in Teheran, wo sie Geschichte unterrichte, auch immer so.
„Ich hoffe, dass ihr jetzt einen besseren Eindruck von der Revolution habt“, sagt sie zum Abschied und zieht ihren Chador unter ihrem Kinn zusammen. Sie dreht sich noch einmal um: Nach der Revolution habe sie eine ausländische Freundin gehabt—eine Amerikanerin. Dann geht sie zum nächsten Kamerateam, das darauf wartet, sie zu interviewen.

In der Ecke steht Saba und schüttelt den Kopf. „Seid ihr völlig verrückt“, ihre Stimme klingt wütend—und auch ein bisschen ängstlich. „Jetzt kommt ihr in die Hauptnachrichtensendungen!“ Sie dreht sich weg, als sich die Studentin dazugesellt. Das, was die Eroberin gemacht hat, hätte sie sich nie getraut. Sie zieht die Gruppe weiter zum nächsten Raum, in dem, wieder hinter einer etwas verstaubten Vitrine, dünne Büchlein mit der Aufschrift „Top Secret“ ausgestellt sind. Das seien die geheimen CIA-Dokumente, die von den Botschaftsmitarbeitern zerschreddert und von den Studenten wieder zusammengesetzt wurden. Im nächsten Raum deutet sie auf ein schwarz-weißes Foto, auf dem ein paar Männer einen Tisch decken: Ein Weihnachtsessen, das großzügige Geschenk der Revolution an die Geiseln.

Ein Mann gesellt sich zu der Gruppe: Das Museum werde jetzt geschlossen, weil eine Feier für die Eroberer und Märtyrer der Revolution anstehe. Er entschuldigt sich. Im Innenhof schließen ein paar junge Männer eine Musikanlage an, andere schleppen Plastikstühle aus dem Erdgeschoß. Der kanadische Backpacker macht noch schnell ein paar Fotos von der Botschaft. Draußen, ein paar Schritte die Straße hinunter, hockt ein alter Mann auf dem Boden, neben ihm liegen farblich sortiert hellblaue und türkise Gebetsketten auf einem kleinen Tuch. An der Wand über ihm zielt ein Gewehr in den Farben der amerikanischen Fahne auf ein junges Paar, das händchenhaltend an dem Mann vorbeischlendert. Die Frau, deren Kopftuch locker über ihrem Pferdeschwanz hängt, kichert und drückt sich fest an ihren Freund. Die beiden ignorieren das Gewehr, die Gebetsketten und die Wache, die sorgfältig das dicke Eisentor zur Botschaft schließt.  Saba hastet die Straße hinunter und bleibt an der nächsten U-Bahnstation stehen: „Ich will da nie wieder rein. Die sind doch alle verrückt!“ Sie schüttelt den Kopf.