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Wie ein Linzer Arzt zum Meth-Abhängigen wurde

Der „Meth-Doktor" ist in Linz eine Szenegröße und hat sich vom Mediziner konsequent zum Junkie hinuntergearbeitet. Uns erzählt er seine Lebensgeschichte und wie es soweit kommen konnte.
Bild von Meth
Foto: Wikimedia Commons

M. sitzt neben mir. Das geht ganz gut so, denn da muss er mich nicht die ganze Zeit ansehen. Es soll kein falscher Eindruck entstehen: Er ist kein versiffter Junkie. Für einen, der seit zwei Jahren auf Meth ist, hat er sich ganz gut im Griff. Wer ihn kennt, der kennt auch seine Lederjacke, die er ständig anhat. Es ist ein teures Stück—von früher, als er noch Arzt war und ein gutes Einkommen hatte. Die Wohnung war gerade abbezahlt, M. hatte eine Beziehung und gerade ein vier Jahre altes Kind.

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Das war alles vor diesem einen Mai 2012. Damals hat M. noch im Plasmazentrum gearbeitet, Leichenbeschauungen gemacht hat und im Mai in Gosau den Gemeindearzt vertreten. Man nannte ihn noch „Herr Doktor" und er war mit jemandem zusammen—wenn auch unglücklich.

Irgendwann war eine unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin entstanden. Es fehlte die körperliche Komponente, die aus einer Zweckgemeinschaft oder einer Freundschaft eine Beziehung macht und die uns in regelmäßigen Abständen mit Dopamin versorgt.

„Dopamin ist die geilste Droge der Welt", sagt M. „Der Körper produziert sie selbst und schüttet sie aus, wenn er richtig stimuliert wird—beim Orgasmus zum Beispiel." 1919, im Geburtsjahr von Hans Hass und der Waldorfschule wurde ein chemischer Ersatzstoff für Dopamin kristallin synthetisiert: Methamphetamin. „Man kann zwar eine Dopamin-Ausschüttung auch durch Kokain erreichen, aber das ist kein Vergleich zu Meth", sagt M. „Zehn Stunden Euphorie, das sind zehn Stunden ohne Selbstzweifel."

Nach einem Monat Praxisvertretung im hintersten Winkel des Salzkammergutes kommt M. wieder nach Linz. Er muss unter Menschen, geht in die Altstadt, kommt im ehemaligen Lokal der Linzer Drogenszene Coretto an und trifft ein paar alte Bekannte. Die bieten ihm Meth an—warum auch nicht, man kann ja mal probieren. Zweimal passiert nichts, bei der dritten Line erwischt er dann guten Stoff und die Fahrt beginnt. Dazu gibt er sich zu Hause Breaking Bad, vier Staffeln am Stück. Dass dabei Meth-Kochen nicht so schlecht wegkommt, ist bekannt.

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Immer wieder suchte er den Rausch—im Glauben, die Droge im Griff zu haben. Seine Außenwirkung ist eine andere. Er hat sich zunehmend verändert, der Drogenkonsum beeinflusst sein Verhalten, wegen Kleinigkeiten kommt es zu heftigen Ausbrüchen. Auch seine Lebensgefährtin begann das zu spüren.

M. begann währenddessen zu schreiben. Nach der Arbeit im Plasmazentrum saß er in Cafés und tippte seine Texte in die Tasten seines Nokia-Telefons. Es war mühsam und langwierig, aber es verschaffte ihm auch Befriedigung, erzählt M., denn so konnte er seine Euphorie kanalisieren. Seine Lebensgefährtin versuchte ihn immer wieder zu erreichen, und immer wieder drückte er den Anruf weg, denn er musste weiterschreiben. Irgendwann verlor er dann die Geduld und die Kontrolle über seine Emotionen, hob ab und schrie sie an. Als er am späten Nachmittag nach Hause kam, war sie weg und mit ihr der gemeinsame Sohn. Seitdem ist er alleine.

Damals wurde auch der Konsum mehr. Er wäre nie unter Wirkung von Meth vor seinen Sohn getreten, er wollte nicht wie ein Junkie vor ihm stehen und wirres Zeug faseln. Allein in der Wohnung konnte er drauf sein wie er wollte und die Symptome seines Selbstmitleids mit Meth behandeln. „Wenn du Meth durch die Nase einnimmst, wirkt es direkt auf dein Gehirn. Wenn du spritzt, dann wirkt es im Herzen. Das ist ein viel emotionaleres Erlebnis." Deshalb greift M. von nun an zum Besteck.

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Anfang November verschätzt er sich. Offensichtlich noch unter Wirkung, tritt er im Plasmazentrum seinen Dienst an. Ein Notfall, wie er immer wieder vorkommen kann, passiert. Ein Spender kollabiert—eigentlich ein Routineprogramm. Aber M. ist überfordert und verliert die Beherrschung: Er schreit eine der Schwestern an und ist offensichtlich nicht mehr Herr der Lage. Der Leiter des Zentrums wir informiert und bittet M. zu einem Gespräch, M. schiebt Beziehungsprobleme vor, er wird beurlaubt.

Im Meth-Rausch lässt er sich von einem Taxi durch die Stadt führen, bis die Fahrerin bemerkt, dass er nicht bezahlen kann. Sie liefert ihn bei der Polizei ab.

Ob sein Drogenproblem zu diesem Zeitpunkt schon im Plasmazentrum bekannt war lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es stellt sich die Frage, warum das medizinisch geschulte Fachpersonal des Zentrums, das durchaus im Zuge des Tagesgeschäfts mit Drogenpatienten in Berührung kommt, die Symptome nicht erkannt hat.

Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits seine Wohnung verloren, lebt bei einem Bekannten aus der Linzer Drogenszene und schläft ab und zu in seinem Auto. Bis er in diesem November den Schlüssel verliert und kein Geld mehr hat. Im Meth-Rausch lässt er sich von einem Taxi ziellos durch die Stadt führen, bis die Fahrerin bemerkt, dass er die Fahrt nicht bezahlen kann. Sie liefert ihn bei der Polizei ab. Das Ergebnis: Drei Tage Verwahrung, dann für 18 Tage in die Landesnervenklinik und zwar just auf die Station, auf der er einst als Stationsarzt gearbeitet hat. Anschließend beginnt er eine Therapie.

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M. lernt in der Klinik eine Frau kennen, sie führen sogar eine Art Beziehung, die ihm hilft. Er findet darin wieder Halt und ist sogar etwas mehr als drei Monate ohne Konsum. Und doch kommt es, wie es muss. „Ein Rückfall verschreckt die meisten anständigen Frauen", sagt er. „Und damit ist auch meine natürliche Dopaminquelle versiegt. Da bleibt nur ein Weg". Und den verfolgt M. nun wieder konsequent.

Foto vom Autor

Im Mai 2013 hat M. wieder mal Praxisvertretung in der Gosau. Wie jedes Jahr ist er der einzige Arzt der Salzkammergutgemeinde. Das bedeutet 24 Stunden Verfügbarkeit, denn er ist für die Bevölkerung der erste Ansprechpartner für alle Gesundheitsfragen—von der kleinen Erkältung bis zur Krebserkrankung. Und er ist auf Meth.

An seinem letzten Tag hat er zusätzlich noch im Notdienst in Linz. Er ist schlecht drauf und müde. Deshalb zieht er sich in den Ruheraum des Krankenhauses zurück und als eine Schwester ihn wecken will, verweigert er. Dazu kommt, dass er in den letzten Monaten bei drei Gerichtsverhandlungen als Zeuge gegen verschiedene Dealer aussagen musste und selbst wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtmitteln vorbestraft war. Die Staatsanwaltschaft erstattet Meldung bei der Ärztekammer, in Summe ergibt das ein Disziplinarverfahren.

Der Vorwurf: Suchtmittelkonsum und Schädigung des Ansehens des Berufsstandes. Das Ergebnis: 150,- Euro Strafe und die Aufforderung ein psychiatrisches Gutachten zu erbringen. Sein Therapeut verweigert, ihm wird ein Gutachter in Niederösterreich zugewiesen. Allerdings hat er immer gute Ausreden und schiebt den Termin ein ums andere Mal auf.

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Sein ganzes erspartes Geld, sein Wohnungsanteil, alles fließt in seine Sucht. Er kann nicht mehr im Plasmazentrum arbeiten, darf keine Notdienste mehr versehen, nicht einmal den Toten darf er mehr die Augen schließen. Man sieht ihn rastlos durch die Stadt wandern—meist mit einer Flasche Fruchtsaft, denn er weiß, dass er sich dazu zwingen muss, zu trinken, denn unter Meth spürt man nicht, wie man dehydriert. Die Zombies der Altstadt grüßen ihn, er gehört längst zur Drogenszene.

Dabei hat er nur getan, was wir in Österreich am liebsten tun: Symptome bekämpfen und die Ursachen ignorieren, bis es nicht mehr weiter geht.

Die braven Bürger hören währenddessen auf, ihn zu grüßen, weil sie erkennen, dass er nicht mehr zu ihnen gehört. Auch die Polizei hat ihn im Blick: Immer wieder wird er angehalten, seine Taschen werden kontrolliert und er wird zu allen möglichen Drogengeschichten befragt. Der Tonfall ist der eines Exekutivbeamten, der mit einem Junkie spricht. M. empört das und leistet Widerstand, was oft auf der Wache endet. Die Gesellschaft hat ihren Respekt vor dem Arzt verloren.

Suchtbiographien verlaufen in Wellen. Wie es ein Ab gibt, so gibt es auch ein Auf. Nur werden die Gipfel immer niedriger und die Täler immer tiefer. M. hat den letztmöglichen Termin zur Begutachtung wahrgenommen. Das Gespräch ist neutral und fair verlaufen. Es wird darüber entscheiden, ob M. von der Ärzteliste gestrichen wird. Das könnte der nächste Schlag sein. Wieder eine Zurückweisung, wieder eine Frustration, wieder ein Grund für Drogenkonsum.

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Während M. auf das Resultat wartet, denkt er über seine Zukunft nach. Er will ein Therapiezentrum für Suchtkranke aufbauen, denn er versteht die Süchtigen. Er weiß, dass die Droge nur eine Symptomatik ist—sie ist nur die Krücke, auf der der Lahme geht. Die Krankheit selbst liegt in der Seele und nur dort kann sie behandelt werden.

M. ist das beste Beispiel dafür, dass Junkies nicht nur aus der sozialen Unterschicht kommen. Sein Beruf als Arzt hat dazu geführt, dass viele Menschen in seinem Umfeld versucht haben das Problem zu ignorieren, so konnte er trotz seines Meth-Konsums weiterhin Menschen behandeln. Am Ende stehen nun alle da und zeigen mit dem Finger auf ihn, denn er hätte es doch besser wissen müssen. Dabei hat er nur das getan, was wir in Österreich am liebsten tun: Symptome bekämpfen und die Ursachen ignorieren, bis es nicht mehr weiter geht.

Matthias auf Twitter: @m_kreuziger


Titelbild: Psychonaught | Wikimedia Commons | cc by 1.0