FYI.

This story is over 5 years old.

Rassismus

Der italienische Fußball hat noch immer ein Rassismusproblem

„„Schwarze sind in Ordnung, solange sie in ihrem eigenen Land bleiben."” Immer wieder werden schwarze Fußballspieler in Italien Opfer von Fremdenfeindlichkeit.
Foto: imago/Gribaudi

Die italienische Trainerlegende Arrigo Sacchi kann man einfach nur als Rassisten bezeichnen. In einem Versuch, seine Unzufriedenheit über den Zustand des italienischen Fußballs auszudrücken, hat der ehemalige Trainer des AC Mailand und der italienischen Nationalmannschaft Folgendes von sich gegeben:

„„Ich bin definitiv kein Rassist und meine Vergangenheit als Trainer unterstreicht das auch … Aber wenn ich mir das Torneo di Viareggio anschaue, würde ich sagen, dass da zu viele schwarze Spieler mitmachen. Italien fehlt es an Würde und Stolz. Es sollte verboten sein, dass in unseren Vereinen 15 ausländische Spieler im Kader stehen."

Anzeige

Dann fuhr er fort, dass er äußerst unglücklich darüber sei, dass ein Team bei dem Jugendturnier „vier „farbige Jungs" aufgestellt habe—um sofort wieder auf seine Trainerkarriere hinzuweisen, ganz so, als sei sie ein perfektes Schutzschild gegen jegliche Rassismus-Anschuldigungen. Aber sind wir mal ehrlich: Wenn schon jemand einen Satz mit den Worten „„Ich bin definitiv kein Rassist, aber…" beginnt, sollte klar sein, dass am Ende nur etwas Rassistisches kommen kann.

Diese Kommentare haben angeblich auch den Noch-Präsidenten der FIFA, Sepp Blatter, schockiert. Genau den Mann also, der selber schon zum Besten gab, dass Personen, die Opfer von Rassismus werden, den Vorfall doch einfach durch einen Handschlag mit dem Missetäter aus dem Weg räumen sollten.

Arrigo Sacchi. Foto: Elena Torre/WikiMedia Commons

Lasst uns also mal Tacheles reden: Sacchi ist ein Rassist und wohl auch geistig ein wenig beschränkt, so wie es sich für einen guten Rassisten eben gehört. Doch das wahre Problem sind nicht die Äußerungen einer einzelnen—wenn auch bekannten—Person, sondern die Tatsache, dass der italienische Fußball sowie die Gesellschaft in Italien (aber auch anderswo in Europa) Rassismus einen sicheren Unterschlupf gewähren. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Carlo Tavecchio—Präsident des italienischen Fußballverbands—von der UEFA für sechs Monate gesperrt wurde, weil er gemeint hatte, dass afrikanische Spieler Bananen essen und italienischen Fußballern den Platz in der Mannschaft wegnehmen würden. Ja, du liest richtig: Die Person hinter diesen Äußerungen ist kein Geringerer als der mächtigste Mann des italienischen Fußballs. Rein zufällig war unter den Teams, die Tavecchio nach dessen Entgleisung ihre volle Unterstützung aussprachen, auch der AC Mailand, wo der gute Herr Sacchi einst als Trainer große Erfolge feierte.

Anzeige

Stichwort AC Mailand: Drei ehemalige Milan-Spieler wurden in jüngerer Vergangenheit Opfer rassistischer Äußerungen vonseiten gegnerischer Fans. Während eines Spiels gegen Atalanta Bergamo schmissen Fans der gegnerischen Mannschaft Bananen in Richtung Kevin Constant. Und Kevin-Prince Boateng hat nach 25 Minuten in einem Spiel gegen den unterklassigen Verein Pro Patria aus Protest das Spielfeld verlassen, nachdem er bei jeder Ballberührung mit Affenlauten verhöhnt worden war.

Und dann wäre da noch Mario Balotelli, der wohl so gut wie kein Zweiter weiß, wie sich in Italian Rassismus anfühlt. Balotelli sah sich schon fliegenden Bananen, Affenlauten und diversen rassistischen Beschimpfungen aus unzähligen gegnerischen Fankurven ausgesetzt. Zudem scheint Rassismus auch so ziemlich das einzige zu sein, das Roma- und Lazio-Fans miteinander verbindet. Balotelli wurde auch während Länderspielreisen von italienischen Fans beleidigt, die verunglimpfende Banner ausrollten oder auch schon mal das Trainingsgelände stürmten, um ihm rassistische Äußerungen an den Kopf zu werfen und ihm mitzuteilen, dass es so etwas wie einen schwarzen Italiener nicht gebe. Diese Haltung schließt dann wiederum den Kreis zu Tavecchios Kommentaren: Wir sind keine Rassisten, und Schwarze sind in Ordnung, solange sie in ihrem eigenen Land bleiben. Der hat es sich übrigens auch nicht nehmen lassen, gegen den französischen Juventus-Star Paul Pogba rassistisch zu poltern.

Anzeige

In Italien wird Rassismus unter dem Vorwand eines ausgeprägten Nationalstolzes offen zur Schau gestellt. Roberto Calderoli—Mitglied der einwanderungsfeindlichen Lega Nord und früherer Reformminister—ist ein gutes Beispiel dafür. Calderoli meinte nämlich über Italiens erste schwarze Ministerin, Cécile Kyenge, sie würde ihn an einen Orang-Utan erinnern.

Calderoli diente übrigens unter Silvio Berlusconi, der einst über Barack Obama scherzte, dass der ganz schön braungebrannt sei. Und—wer hätte es gedacht—natürlich hat Silvio auch seinen Glaubensgenossen Carlo Tavecchio nach dessen rassistischen Äußerungen in Schutz genommen.

Aber zurück zur erschreckenden Causa Kyenge: Cécile Kyenge wurde im April 2013 zur Integrationsministerin ernannt—mit dem Ziel, den rund vier Millionen Ausländern im Land zu helfen, denn die machen rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Nach ihrer Ernennung wurde sie wiederholt Ziel rassistischer Beleidigungen. Auch wurden schon Bananen in ihre Richtung geworfen, als sie gerade eine Rede hielt. Zudem wurden blutbefleckte Puppen an Orten, wo sie auftreten sollten, von Unbekannten abgelegt. Ein Lokalpolitiker hat sogar schon dazu aufgerufen, Frau Kyenge zu vergewaltigen. Ob sie nun von stellvertretenden Bürgermeistern oder dem Weinbauer Fulvio Bressan kamen, Cécile Kyenge musste sich schon so ziemlich alle denkbaren Beleidigungen—von „„Nutte" bis „„dreckiger schwarzer Affe"—gefallen lassen. Mittlerweile hat sie der italienischen Politik den Rücken gekehrt und ist Mitglied des Europäischen Parlaments.

Anzeige

Eines ihrer „„Verbrechen"—neben ihrer Hautfarbe, versteht sich—war ihr Beschluss, Italiens umstrittenes Staatsangehörigkeitsgesetz reformieren zu wollen. Aktuell müssen Kinder von Einwanderern warten, bis sie 18 Jahre alt sind, um italienische Staatsbürger werden zu können. Und dafür haben sie dann genau ein Jahr Zeit. Nur scheitert das Verfahren—ein einziger bürokratischer Albtraum mit Unmengen von Papierarbeit, Fragen und Anhörungen—oft an bisweilen hanebüchenen Auflagen. Kyenge wollte das ändern und den Prozess vereinfachen. Was vielen in Italien so gar nicht geschmeckt hat.

Fußball-„Fans" von Lazio Rom. Foto: imago/Ulmer

Wenig überraschend, wirst du wohl sagen, wenn du dich noch an die Rassenausschreitungen in Italien aus dem Jahr 2010 erinnerst. Das TIME-Magazin schrieb dazu Folgendes:

„Die Ausschreitungen in Rosarno, die Berichten zufolge damit begannen, dass drei italienische Jugendliche mit Luftgewehren auf afrikanische Einwanderer geschossen haben, hat Italien—ein Land, das auf seine Maxime „„Bella Figura" sehr stolz ist—in eine tiefe Krise gestürzt. Rund 2.500 Migranten leben im Tal von Rosarno in Kalabrien und folgen dort den saisonalen Jobs in der Landwirtschaft. Vielen von ihnen wurde politisches Asyl gewährt, oder sie halten sich anderweitig legal in Italien auf. Aber ob nun legal oder illegal im Land, die Migranten unterstehen einem von der Mafia geführten Beschäftigungssystem—caporalato genannt—, dessen Methoden an ein modernes Chain-Gang-System erinnert. Der Mafia-Experte Roberto Saviano sagt, dass die, die sich gegen zu niedrige Löhne oder schlechte Arbeitsbedingungen auflehnen, erschossen werden. „„Das Ganze gleicht einem militärischen System", so Saviano im Interview mit der TIME. „„Die örtlichen Farm- und Fabrikbesitzer sichern sich die Dienste der Mafia, damit die ihnen neue Arbeitskräfte beschafft. Viele Migranten warten am Straßenrand, Mafia-Mitglieder sammeln sie dann auf und bringen sie zu ihren neuen Arbeitsplätzen. Wenn sie sich beschweren, werden sie einfach umgebracht."

Die Einwanderer leben in Zelten oder Baracken ohne Zugang zu sanitären Anlagen und haben auch keine Krankenversicherung. Sie haben sehr lange Arbeitstage und verdienen weniger als drei Euro pro Stunde. Man kann also getrost von moderner Sklaverei sprechen. Das wirklich Traurige ist aber, dass sie dort in gewisser Hinsicht immer noch besser behandelt werden als in Italiens großen Städten. „Die Afrikaner erzählen, dass ihnen die italienischen Mädchen in Kalabrien wenigstens in die Augen schauen, was sie im Norden nicht machen würden.

Was den Angriff auf die afrikanischen Einwanderer betrifft, wurde am Ende nur einer der Angeklagten verurteilt—wobei Rassismus als mögliches Motiv explizit ausgeschlossen wurde. Außerdem wurde noch ein weiterer Italiener freigesprochen, der mit einem Bulldozer in eine Gruppe Migranten gefahren ist. Es gibt für die afrikanischen Einwanderer in Italien also keine Gerechtigkeit, obwohl sie weiterhin von der Mafia wie Sklaven gehalten werden.

Sacchi hat sich also geirrt, Italien hat gar nicht seine Identität oder seinen Nationalstolz verloren. Seine rassistischen Überzeugungen stehen wunderbar im Einklang mit gewissen Teilen der italienischen Kultur—damals wie heute. Es bleibt ein Land mit fremdenfeindlichen Tendenzen. Der Fisch stinkt also schon vom Kopf her. Und das Schlimmste: Italien ist bei Weitem nicht das einzige Land, auf das diese Beschreibung zutrifft.