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Die US-Regierung will der Presse den Mund verbieten

Barrett Brown sitzt seit fast einem Jahr ohne Verhandlung im Gefängnis. Dem Journalisten drohen 100 Jahre Haft, da er einen Link mit vertraulichen Informationen geteilt hat.

Foto: Nikki Loehr

Barrett Brown sitzt seit fast einem Jahr ohne Verhandlung im Gefängnis. Falls ihr den Fall nicht verfolgt habt: Dem 31-jährigen Journalisten droht fast ein Jahrhundert Gefängnis, weil er einen Link geteilt hat, der—innerhalb eines Archivs von 5 Millionen E-Mails—Kreditkarteninformationen aus einem Hackerangriff auf die Firma Stratfor enthielt (Jeremy Hammond, der eigentliche Hacker, geht für 10 Jahre ins Gefägnis). Außerdem soll Barrett die Familie eines FBI-Agenten bedroht haben, der das Haus seiner Mutter durchsuchte, und er soll versucht haben, seinen Laptop vor den Bundesagenten zu verstecken.

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Die Flut der NSA-Enthüllungen Edward Snowdens hat noch einmal besondere Aufmerksamkeit auf Barrett gelenkt, der sich hauptsächlich darauf konzentrierte, eine Partnerschaft zu untersuchen, die für viele Leute besonders unangenehm ist—die Verbindung zwischen privaten Sicherheitsfirmen, Überwachung, Spionagefirmen und der amerikanischen Regierung.

Barretts Website, ProjectPM, hatte ein kleines Team von Nachforschenden dazu genutzt, um sich zugespielte E-Mails, Nachrichtenartikel und öffentliche Firmeninformationen anzuschauen, um herauszufinden, was die Industrie tatsächlich macht und wie sie dem Weißen Haus dient. Teilweise ist es Barrett zu verdanken, dass wir über Dinge wie Persona Management Bescheid wissen—eine von der US-Regierung und ihren Vertragspartnern verwendete Technologie, die dazu genutzt wird, online Informationen über nicht existierende Personen, sogenannte Handpuppen, in Umlauf zu bringen.

Außerdem verbreitete er Informationen über TrapWire, ein Überwachungsprogramm, das weltweit in Sicherheitskameras eingebaut wird und „genauer ist als jede Gesichtserkennungstechnologie.“ Als das in der Zeit vor Snowden öffentlich gemacht wurde, spielten es die großen Pressekanäle als „keine große Sache“ herunter. Wir wissen immer noch nicht, wie mächtig TrapWire ist, aber dank Stratfors Hack und Barretts Nachforschungen wissen wir immerhin, dass es existiert.

Jeder, der daran interessiert ist, mit ProjectPM zusammenzuarbeiten, kann diesem Aufruf zum Handeln folgen: „Wenn es dich kümmert, dass der Überwachungsstaat sich sowohl in seinen Möglichkeiten als auch in seinen Absichten stetig erweitert, ohne dass die Bevölkerung des Westens effektiv etwas dagegen unternimmt, kannst du uns helfen, dies zu einer prozessfähigen Quelle für Journalisten, Aktivisten und andere interessierte Parteien zu machen.“ Das fasst die Suche nach Informationen, die in Barretts Fall angeklagt wird, zusammen. Glenn Greenwald hat im Guardian über Barrett Browns Strafverfolgung geschrieben: „Hier sieht man die US-Regierung, wie sie auf jemanden abzielt, den sie eindeutig nicht ausstehen kann, weil sein Werken gegen sie gerichtet ist."

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Barrett soll nächsten Monat vor Gericht erscheinen, aber seine Verteidiger wollen eine Verschiebung erlangen, um weiterhin die Beweismittel der Staatsanwaltschaft durchzugehen. Die Verteidigung besteht darauf, weil sich gerade ein Forensiker die Daten anschaut. Die Beweise der US-Regierung befinden sich auf einer 2-Terabyte-Festplatte und auf zwei DVDs. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, im Grunde genommen, dass a.) die ganzen Daten nur wenig Nützliches hergäben, trotz des Forensikers, und dass b.) die Verteidigung genug Zeit gehabt habe, sich um ihren ganzen Scheiß zu kümmern. Die Staatsanwaltschaft versucht dennoch, die mediale Berichterstattung um Barrett Browns Fall gering zu halten.

In dem Schreiben, das die Regierung gegen die Verlängerung der Verhandlung verfasst hat, ist auch eine längere Passage über Barretts vermeintliche Medienstrategie enthalten. Darin behauptet die Staatsanwaltschaft, Barretts Verteidiger versuchen, sich der Warnung des Richters, „den Fall nicht in die Medien zu bringen“, zu widersetzen. Außerdem steht in dem Schreiben: „Die Regierung hat Gründe zu glauben, dass Browns Anwalt die Verwendung der Medien steuere und/oder ihr zustimme.“

Danach folgt eine Liste, die zeigt, mit welchen Vertretern der Medien Barrett gesprochen hat, mich eingeschlossen. Ich habe dieses Interview jedenfalls nicht über seine Anwälte arrangiert. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs wurde Barrett zudem von anderen Anwälten vertreten. Es scheint wie ein verzweifelter Versuch, Kritiker und Menschen mit anderer Meinung in einem Fall, der ohnehin schon das Wesen des Journalismus und der Informationsfreiheit bedroht, zum Schweigen zu bringen.

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In der Liste der Regierung werden auch die Journalisten Glenn Greenwald und Michael Hastings, der ein Freund von Barrett war, genannt. Hastings selbst sagte: „Barrett Brown ist ein Journalist, schlicht und einfach. Er ist zudem ein Kollege und ein Freund und einer der brillanten, wenn auch höchst unkonventionellen, amerikanischen Schreiber seiner Generation. Ich biete ihm und seiner Familie meine volle Unterstützung und fordere daher respektvoll seine sofortige Freilassung aus der Untersuchungshaft.“

Während der Richter noch wartet, ob er die Verhandlung verlegt und der Presse einen Maulkorb erteilt (die Verteidigung weist darauf hin, dass diese Forderung auf keiner angreifenden oder justizhemmenden Behauptung von Barrett fuße), haben wir einen originalen Artikel von Barrett Brown veröffentlicht. Ihr könnt den Text hier lesen. Darin vergleicht Barrett die Watergate-Ära mit der Wikileaks-Ära. Es geht weniger um die Details seiner Verhandlung.

Barrett Brown ist ein Autor in Gefangenschaft, der es verdient hat, veröffentlicht zu werden, während er mit den Hindernissen des heutigen amerikanischen Justizsystems kämpft. Der Präzedenzfall von einer 100-jährigen Haftstrafe, die eine Verurteilung mit sich bringen kann, ist beängstigend. Aber wie Barrett mir im März erzählt hat, macht er sich keine „fürchterlichen Sorgen“ über die Bestrafung, die ihm droht. Während es schwer fällt, ihm zu glauben, ist es dennoch gewiss beruhigend für jemanden wie mich, der sich tatsächlich darüber sorgt, was eine Haftstrafe wie in diesem Fall für die Zukunft von investigativer Berichterstattung, Internetsicherheit und Journalismus bedeuten kann.

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Wenn Barrett ins Gefängnis muss, weil er in der tiefschwarzen Welt der Onlineüberwachung gewühlt hat, wird es noch schwieriger und gefährlicher werden herauszufinden, was die riesigen Spionagefirmen in Amerika mit ihren mächtigen und geheimen Überwachungsprogrammen alles anstellen. Mit Edward Snowden, der in Russland feststeckt, und Bradley Manning, dem ein Jahrhundert im Gefängnis droht, kann die Welt es sich nicht erlauben, auch noch Barrett zu verlieren.

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